11Os53/23p – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 29. August 2023 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und Mag. Riffel in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Mair als Schriftführerin in der Strafsache gegen * J* und einen Angeklagten wegen Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3a Z 1, Abs 4 zweiter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 17. Jänner 2023, GZ 10 Hv 4/22t 41, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde – soweit für die Behandlung der Nichtigkeitsbeschwerde relevant – * J* der Vergehen der Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
[2] Danach hat sie zu nicht näher bekannten Zeitpunkten (ab 11. Oktober 2019 [US 5]) bis Jänner 2022 ihren Sohn M* am Körper zu verletzen versucht, indem sie diesem in mehreren Angriffen Schläge mit der flachen Hand gegen den Körper versetzte.
[3] Weiters wurde sie gemäß § 259 Z 3 StPO von den im Übrigen gegen sie erhobenen Vorwürfen (Pkt A. der Anklageschrift) freigesprochen, sie habe
„I. zu nicht näher bekannten Zeitpunkten zwischen zumindest 2002 und 31. Mai 2009 Za* in zahlreichen Angriffen am Körper verletzt, teils zu verletzten versucht, indem sie diese mehrmals wöchentlich mit dünnen Ästen, Schuhen, Gürteln oder dem Griff einer Fliegenklatsche schlug, wodurch die Genannte teilweise mehrere Tage sichtbare Wundmale, Striemen oder Rötungen erlitt;
II. gegenüber nachfolgend genannten Personen längere Zeit hindurch, nämlich jeweils länger als ein Jahr, fortgesetzt Gewalt (§ 107b Abs 2 StGB) ausgeübt, und zwar
1. im Zeitraum zwischen 1. Juni 2009 und 16. September 2013 gegenüber ihrer am * 1997 geborenen, zu den Tatzeitpunkten sohin teilweise unmündigen Tochter Za*, indem sie die Genannte in regelmäßigen Abständen, zumindest mehrmals im Monat, durch Versetzen von Ohrfeigen am Körper misshandelte;
2. im Zeitraum zwischen zumindest 2010 und 11. Oktober 2016 gegenüber ihrer am * 2002 geborenen, zu den Tatzeitpunkten sohin unmündigen Tochter Je*, indem sie die Genannte
a. mehrmals wöchentlich
i. am Körper durch Schläge mit der flachen Hand, einem Gürtel oder anderen Gegenständen sowie durch Tritte verletzte (§ 83 Abs 1 StGB), teils zu verletzen versuchte, wodurch diese teilweise Hämatome an den Beinen, dem Oberkörper oder den Armen erlitt;
ii. am Körper durch Schläge mit Brennnesseln oder mit dem Griff einer Fliegenklatsche misshandelte;
b. einmal mit einer Verletzung am Körper gefährlich bedrohte, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem sie ihr gegenüber sinngemäß ankündigte, sie werde sie schlagen (§ 107 Abs 1 StGB);
3. im Zeitraum zwischen 2013 und 30. Jänner 2022 gegenüber ihrem am * 2006 geborenen, zu den Tatzeitpunkten sohin teilweise unmündigen Sohn M*, indem sie
a. ihm zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt zwischen 2013 und 2017 eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich dadurch zuzufügen versuchte, dass sie ihn zu Boden warf und mehrfach auf ihn eintrat (§§ 15, 87 Abs 1 StGB), sodass er schwer Luft bekam;
b. zumindest wöchentlich mit einem Gürtel, mit Brennnesseln, dem Griff einer Fliegenklatsche oder anderen Gegenständen sowie durch Tritte verletzte (§ 83 Abs 1 StGB), teils zu verletzen versuchte, oder misshandelte, wodurch er teilweise Hämatome, mehrere Tage sichtbare Wundmale, Striemen oder Rötungen erlitt.“
Rechtliche Beurteilung
[4] Dagegen richtet sich die (nominell nur) auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.
[5] Soweit die Mängelrüge (Z 5 zweiter und vierter Fall) den Ausspruch, dass die Angeklagte die Tathandlungen zum Nachteil des M* (erst) nach dem 11. Oktober 2019 beging (s US 5 f), als nicht sowie zudem als offenbar unvollständig begründet releviert, spricht sie – mangels Relevanz des Zeitpunkts der ersten Tatbegehung – keine entscheidende Tatsache an. D ie angestrebte Erweiterung des Tatzeitraums stellt nämlich weder den Schuldspruch noch die Subsumtion in Frage (vgl RIS Justiz RS0116736; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 33; zur Unbedenklichkeit aus Z 3 vgl im Übrigen Lendl , WK-StPO § 260 Rz 24), womit dazu getroffene Aussagen als Gegenstand einer Mängelrüge nicht in Betracht kommen (RIS Justiz RS0106268, RS0117499, RS0117264; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 398 f, 406).
[6] Die weitere R üge (Z 5 zweiter Fall), die (pauschal) „betreffend die Tathandlungen zum Nachteil des M*“ eine „fehlende“ Auseinandersetzung mit der Aussage der Zeugin * P* releviert, versäumt schon die deutliche und bestimmte (§§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 285a Z 2 StPO) Bezeichnung konkret festgestellter (entscheidender) Tatsachen, auf welche sich die behauptete Nichtigkeit beziehen soll (vgl Ratz , WK-StPO § 285d Rz 10).
[7] Im Übrigen fanden die Angaben dieser Zeugin – wie die Beschwerde selbst einräumt – sehr wohl und hinreichend ausführlich Berücksichtigung in den Entscheidungsgründen (s US 9 f). Eine darüber hinausgehende Erörterung sämtlicher Details der Aussagen der genannten Zeugin ist unter dem Aspekt der Urteilsvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) nicht erforderlich, sie würde vielmehr dem Gebot zu bestimmter, aber gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) zuwiderlaufen ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 428 mwN). Indem die Mängelrüge einzelne Passagen herausgreift und daraus andere Schlüsse zieht, bekämpft sie bloß in dieser Form unzulässig die Beweiswürdigung ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 421), was in der Passage „Bei richtiger Würdigung der Angaben … wären jedenfalls …“ unverhüllt zum Ausdruck kommt.
[8] D as Schöffengericht traf zur – für die Erfüllung des (Grund-)Tatbestands nach § 107b StGB erforderlichen – Regelmäßigkeit der Gewalttaten zum Nachteil des M* Negativfeststellungen (US 6, 9 und 11), die mit Mängelrüge (Z 5) nicht prozessordnungsgemäß bekämpft werden. Stattdessen begehrt die Beschwerdeführerin bloß (wie der von ihr verwendete Begriff verdeutlicht) den Ersatz tatsächlich getroffener Feststellungen durch für ihren Standpunkt günstigere (in Richtung § 107b Abs 1, Abs 3a Z 1, Abs 4 zweiter Fall StGB) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld . Ein Feststellungsmangel wird solcherart nicht prozessförmig geltend gemacht (RIS-Justiz RS0118580 [T25]).
[9] Das abschließende, auf der – wie dargestellt – bloß vermeintlichen Grundlage eines (im zweiten Rechtsgang zu erzielenden ) anklagekonformen Schuldspruchs der Angeklagten wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3a Z 1, Abs 4 zweiter Fall StGB zum Nachteil des M* aufbauende Beschwerdevorbringen, wonach die „vom Erstgericht festgestellten, zumindest versuchten Körperverletzungen zum Nachteil der Za* und Je*“ nicht verjährt seien, weshalb die Angeklagte „auch wegen d[ies]er Tathandlungen … schuldig zu sprechen“ sei, beruht auf der urteilsfremden Prämisse, das Erstgericht hätte einen solchen Schuldspruch nach §§ 15 Abs 1, 83 Abs 1 StGB tragende Feststellungen sowohl zur objektiven wie insbesondere auch zur subjektiven Tatseite getroffen (vgl aber insbesondere US 11, wo es das Erstgericht unmissverständlich offen ließ, ob es tatsächlich zu tatbildlichen [versuchten] Körperverletzungen zum Nachteil der beiden Töchter gekommen war [„… allfällige Vergehen …“]; vgl auch US 5, 9). Damit verfehlt sie von vornherein den Bezugspunkt materiell rechtlicher Nichtigkeit (RIS Justiz RS0099810; vgl zum Ganzen auch RIS Justiz RS0127315).
[10] In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war d ie Nichtigkeitsbeschwerde daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).