11Os39/23d – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 29. August 2023 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, und Mag. Fürnkranz und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und Mag. Riffel in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Mair als Schriftführerin in der Strafsache gegen * W* wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB, AZ 5 U 40/21f des Bezirksgerichts Horn, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau als Beschwerdegericht vom 8. Juni 2022, GZ 11 Bl 9/22i 5, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Leitner und der Privatbeteiligten * M* zu Recht erkannt:
Spruch
Der Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau vom 8. Juni 2022, GZ 11 Bl 9/22i 5, verletzt § 31 Abs 6 Z 1 StPO.
Text
Gründe:
[1] Mit Beschluss vom 28. April 2022, GZ 5 U 40/21f 16, verhängte das Bezirksgericht Horn im Strafverfahren gegen * W* wegen § 83 Abs 2 StGB über * M* gemäß § 242 Abs 3 StPO eine Geldstrafe und verpflichtete sie zum Ersatz der durch ihr Ausbleiben verursachten Kosten, weil die (im Verfahren auch Privatbeteiligte) Genannte bei der Hauptverhandlung am 27. April 2022 ungeachtet der an sie ergangenen Vorladung (ON 13) als Zeugin (ON 1) nicht erschienen ist.
[2] Dieser Beschluss wurde Mag. * als Privatbeteiligtenvertreter der M* (vgl ON 6 S 1 und ZV ON 16 S 3) am 2. Mai 2022 und M* am 5. Mai 2022 (durch Hinterlegung) zugestellt.
[3] Rechtsanwalt Mag. * war mit (seit 21. Juli 2022 rechtskräftigem) Beschluss des Bezirksgerichts Horn vom 30. Dezember 2021, GZ 7 P 16/13s 242, gemäß § 271 ABGB für M * auch einstweilig (§ 120 AußStrG) zum gerichtlichen Erwachsenenvertreter für die Vertretung gegenüber Verwaltungsbehörden und Gerichten bestellt worden (ON 16 Anhang, ON 40).
[4] Gegen den Beschluss vom 28. April 2022, GZ 5 U 40/21f 16, überreichte M* beim Bezirksgericht Horn am 19. Mai 2022 eine Beschwerde mit der wesentlichen Begründung, dass sie dem Gericht ihr Fernbleiben vorab schriftlich mitgeteilt habe (ON 22).
[5] Mit Beschluss vom 8. Juni 2022, GZ 11 Bl 9/22i 5, wies die Einzelrichterin des Landesgerichts Krems an der Donau die Beschwerde als verspätet zurück, weil Beschwerden gegen Beschlüsse gemäß § 88 Abs 1 StPO binnen 14 Tagen ab Bekanntmachung des Beschlusses einzubringen seien. Die Beschwerdefrist sei bereits mit der Zustellung an den für die Beschwerdeführerin für die Vertretung vor Gerichten und Verwaltungsbehörden bestellten Erwachsenenvertreter am 2. Mai 2022 in Gang gesetzt worden (ON 28).
[6] In ihrer gegen diesen Beschluss der Einzelrichterin erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes führt die Generalprokuratur Folgendes aus :
„1./ Über Beschwerden gegen vom Bezirksgericht verhängte Ordnungsstrafen hat gemäß § 31 Abs 6 Z 1 StPO das Landesgericht als Senat von drei Richtern zu entscheiden ( Danek/Mann , WK-StPO § 243 Rz 9). Dieser Bestimmung zuwider hat jedoch lediglich eine Einzelrichterin des Landesgerichts Krems an der Donau über die verfahrensgegenständliche Beschwerde entschieden.
2./ Durch die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters wird die Handlungsfähigkeit der betroffenen Person gemäß § 242 Abs 1 ABGB nicht mit konstitutiver Wirkung beschränkt. Lediglich unter der besonderen Voraussetzung, dass ansonsten ein erheblicher und unwiederbringlicher Nachteil für die betroffene Person zu befürchten wäre, kann das Gericht im Wirkungsbereich der Erwachsenenvertretung eine solche Beschränkung in Form eines Genehmigungsvorbehalts gemäß § 242 Abs 2 ABGB anordnen. Ist dies – wie hier – nicht erfolgt, so kann die betroffene Person wirksame Rechtshandlungen auch innerhalb des Wirkungskreises des gerichtlichen Erwachsenenvertreters vornehmen, wenn sie über die hiefür erforderliche Entscheidungsfähigkeit verfügt (vgl Schauer in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG I² § 120 Rz 30, Parapatits in Kletečka/Schauer , ABGB-ON 1.03 § 242 Rz 1 bis 8 und § 272 Rz 25).
Selbst eine durch Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters in ihrer Prozessfähigkeit eingeschränkte Person wäre dies im Strafverfahren aber nur insoweit, als das Strafverfahrensrecht als lex specialis keine besonderen Anordnungen trifft. § 282 Abs 1 erster Satz (§ 283 Abs 2 erster Satz) StPO sieht für die Rechtsmittelbefugnis gegen Urteile im Strafverfahren ausdrücklich eine Sonderregelung vor. Indem die Vorschrift des § 282 Abs 1 StPO neben dem Angeklagten zusätzlich noch dessen Sachwalter die Rechtsmittelbefugnis zugesteht, kann dieser sie dem Angeklagten folgerichtig nicht nehmen (RIS Justiz RS0117396, RS0103637 [T3 und T4]; Ratz , WK-StPO § 282 Rz 33; Fabrizy/Kirchbacher , StPO 14 § 282 Rz 3). Auch bei Beschwerden – wenn auch (wie hier) von Zeugen gemäß § 243 Abs 1 iVm § 242 Abs 3 StPO – kann kein anderer Maßstab gelten (vgl RIS-Justiz RS0117396).
Ob der für den betreffenden Zeugen bestellte gerichtliche Erwachsenenvertreter für diesen im Strafverfahren als Opfer- und Privatbeteiligtenvertreter einschreitet, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle.
Ausgehend von dem solcherart – neben jenem des gerichtlichen Erwachsenenvertreters – eigenen Anfechtungsrecht des Betroffenen (vgl Schwaighofer , WK StPO § 275 Rz 10; Ratz , WK-StPO § 282 Rz 26) bleibt demnach auch die Zustellung eines Beschlusses gemäß § 242 Abs 3 StPO an einen gerichtlichen Erwachsenenvertreter für die Auslösung der dem Betroffenen zur Ausübung seiner eigenen Rechtsmittelbefugnis gemäß § 88 Abs 1 StPO zur Verfügung stehenden Frist ohne Bedeutung.
Fallaktuell wurde der angefochtene Beschluss des Bezirksgerichts Horn vom 28. April 2022, GZ 5 U 40/21f 16, über die Verhängung der Ordnungsstrafe und die Auferlegung der Kosten – neben dem gerichtlichen Erwachsenenvertreter – der betroffenen Zeugin am 5. Mai 2022 (korrekt zu eigenen Handen [ Danek/Mann , WK-StPO § 242 Rz 11]) zugestellt.
Die von der betroffenen Zeugin * M* persönlich am 19. Mai 2022 erhobene Beschwerde ist daher rechtswirksam und wurde auch rechtzeitig (am letzten Tag der Frist) eingebracht. Sie hätte demnach nicht im Sinn des § 89 Abs 2 StPO als unzulässig zurückgewiesen werden dürfen, sondern wäre gemäß § 89 Abs 1 StPO inhaltlich zu prüfen gewesen.“
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
Rechtliche Beurteilung
[7] Bei Ordnungsstrafen gegen ausgebliebene Zeugen und Sachverständige nach § 242 Abs 3 StPO geht es – wie die Generalprokuratur zutreffend geltend macht – nicht um „Entscheidungen […] über die Kosten des Strafverfahrens nach dem 18. Hauptstück und […] über die Bestimmung der Gebühren der Sachverständigen und Dolmetscher nach dem Gebührenanspruchsgesetz, BGBl. Nr. 136/1975“, womit die Zurückweisung der Beschwerde der M* durch die Einzelrichterin des Landesgerichts § 31 Abs 6 Z 1 StPO (Art 83 Abs 2 B-VG) verletzt, welcher das Verfahren über Rechtsmittel und Rechtsbehelfe gegen andere als in Abs 5 angeführte Beschlüsse des Bezirksgerichts dem Landesgericht als Senat von drei Richtern zuweist (vgl auch § 243 Abs 3 StPO iVm § 33 Abs 2 letzter Satz StPO im Verfahren vor dem Schöffengericht sowie Ratz , Verfahrensführung und Rechtsschutz nach der StPO 2 Rz 134 f zum Verfahren nach §§ 242 Abs 3, 243 StPO und Rz 51 zu den Kosten des Strafverfahrens nach dem 18. Hauptstück).
[8] Zur Beseitigung des von der Generalprokuratur angefochtenen Beschlusses nach § 292 letzter Satz StPO sieht sich der Oberste Gerichtshof nicht veranlasst, weil auch der funktionell zuständige Senat von drei Richtern (§ 31 Abs 6 Z 1 StPO) die Beschwerde als verspätet (§ 89 Abs 2 StPO) zurückzuweisen gehabt hätte.
[9] Der Beschluss des Bezirksgerichts Horn vom 28. April 2022, GZ 5 U 40/21f 16, mit welchem über die als Zeugin ausgebliebene M* nach § 242 Abs 3 StPO eine Ordnungsstrafe verhängt worden war, wurde nämlich schon deshalb M* gegenüber durch Zustellung an ihren einstweiligen Erwachsenenvertreter – die Beschwerdefrist des § 88 Abs 1 zweiter Satz StPO auslösend – bekanntgemacht, weil dieser M* in deren Eigenschaft als Privatbeteiligte (durchgehend) als „Vertreter […] zur Seite“ stand (§ 73 erster Satz StPO) und § 83 Abs 4 erster Satz StPO Zustellung an den Vertreter anstelle des Vertretenen ausdrücklich verlangt, ohne nach der Art der zuzustellenden Erledigung – hier gegen M* als ausgebliebene Zeugin – zu differenzieren (vgl im Übrigen RIS Justiz RS0129965; 15 Os 158/14w).
[10] Die von der Generalprokuratur aufgeworfene Frage vom Erwachsenenvertreter gesonderter Beschwerdelegitimation mit Ordnungsstrafen belegter „Ausgebliebener“ (§ 242 Abs 3 StPO) in analoger Anwendung des § 282 Abs 1 erster Satz StPO kann hier dahinstehen. Denn auch bei Bejahung dieser Frage würde für die (Wirksamkeit der) Zustellung von Erledigungen nichts von § 83 Abs 4 erster Satz StPO Abweichendes gelten (vgl Ratz , WK-StPO § 285 Rz 2, 11, 13, § 286 Rz 2, § 291 Rz 1, § 294 Rz 8 f, 14, § 478 Rz 2, 5).