5Ob108/23b – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P* GmbH, *, vertreten durch Mag. Dr. Dirk Just, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S* GmbH, *, vertreten durch Dr. Thomas Ebner, Rechtsanwalt in Wien und die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei A* GmbH, *, vertreten durch Lattenmayer, Luks Enzinger Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 402.016,03 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. April 2023, GZ 2 R 45/23m 187, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die Beklagte als Bauherrin beauftragte ein Tochterunternehmen der Klägerin mit Schlitzwandarbeiten bei ihrem Tiefbauvorhaben. Die Klägerin ist in sämtliche Rechte und Pflichten der mit ihrer Tochterfirma abgeschlossenen Verträge eingetreten. Die Nebenintervenientin war mit Architektenleistungen und der örtlichen Bauaufsicht beauftragt. Es bestand die Gefahr eines Grundbruchs (zu dem es kommt, wenn der Wasserdruck von unten größer ist als das Gewicht der überlagernden Bodenschichten), sodass eine Grundwasserabsenkung und Wasserhaltungsmaßnahmen vom Tochterunternehmen der Klägerin (idF nur: Klägerin) und dem mit der Statik beauftragten Unternehmen diskutiert wurden. Im Zug einer zweiten Auftragserweiterung erteilte die Beklagte zusätzlich zu den Schlitzarbeiten auch den Auftrag zur Grundwasserabsenkung mittels Bohrbrunnen, Injektionen und Regiearbeiten. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob – neben dem unstrittig beauftragten Herstellen der erforderlichen Brunnen und Pegel, dem Betreiben der Pumpen und der Überwachung, ob eine Pumpe ausfällt – auch das Feststellen der Pegelhöhen innerhalb und außerhalb der Baugrube, das Auswerten dieser Ergebnisse, deren Vergleich mit den Grundlagen der statischen Berechnung, das Anordnen der erforderlichen ergänzenden Maßnahmen und die Dokumentation dieser Tätigkeit in die Leistungspflicht der Klägerin fiel.
[2] Die Klägerin begehrt offenen Werklohn in Höhe des Klagebetrags.
[3] Die Beklagte bestreitet ihre Zahlungspflicht wegen des Verschuldens der Klägerin am Grundbruch, die Auftragserweiterung habe die Pegelüberwachung mitumfasst.
[4] Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, dass das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe. Die Überwachung der Pegelhöhen sei nicht Auftragsumfang gewesen.
[5] Das Berufungsgericht wies mittels Teilurteil das Klagebegehren im Umfang von 31.349,87 EUR sA ab (dieser Betrag ergibt sich aus den Kosten des Tauchereinsatzes von 17.569,07 EUR und einem Zehntel der Kosten der Baustelleneinrichtung/Arbeitsplattform von insgesamt 137.808 EUR, somit 13.780,80 EUR). Die Pegelüberwachungs- und Analysetätigkeit sei eine von der Klägerin geschuldete Werkleistung gewesen, die sie nicht erbracht habe. Im Übrigen hob es das Zwischenurteil auf und verwies die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.
[6] Die Revision betreffend das Teilurteil ließ es nicht zu, weil die Vertragsauslegung anhand der konkreten Verhältnisse nicht über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung habe.
[7] Die gegen das Teilurteil gerichtete außerordentliche Revision der Klägerin zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.
Rechtliche Beurteilung
[8] 1.1. Der Beurteilung, ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, kommt in der Regel keine darüber hinausgehende Bedeutung zu (RIS-Justiz RS0042776). Die einzelfallbezogene Beurteilung rechtsgeschäftlicher Erklärungen rechtfertigt eine Anrufung des Obersten Gerichtshofs daher nur dann, wenn aus Gründen der Rechtssicherheit die Korrektur einer unhaltbaren, durch die Missachtung fundamentaler Auslegungsregeln zustande gekommenen Entscheidung geboten ist (RS0042776 [T22]). Eine erhebliche Rechtsfrage liegt nicht schon etwa dann vor, wenn auch die vom Rechtsmittelwerber angestrebte Vertragsauslegung als vertretbar angesehen werden könnte (RS0042776 [T2, T23]). Die behauptete Abweichung des Berufungsgerichts von höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu den Auslegungsgrundsätzen nach §§ 914 f ABGB ist nicht zu erkennen, eine im Einzelfall korrekturbedürftige Fehlbeurteilung liegt nicht vor.
[9] 1.2. Zwar ist bei der Vertragsauslegung zunächst vom Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung auszugehen. Die Auslegung darf aber dabei nicht stehen bleiben, weil nach § 914 ABGB bei der Auslegung von Verträgen nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern die Absicht der Parteien zu erforschen und der Vertrag so zu verstehen ist, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht (RS0017915; RS0017865). Unter der Parteiabsicht ist der redlicherweise zu unterstellende Geschäftszweck zu verstehen (RS0017756). Abzustellen ist darauf, wie der andere Teil die Erklärung verstehen musste (RS0113932 [T13]). Zum Verständnis des erkennbar erklärten Parteiwillens ist das gesamte Verhalten der Vertragsteile zu berücksichtigen, auf den Geschäftszweck und die Interessenlage ist Bedacht zu nehmen (RS0113932 [T11]). Lässt sich so kein eindeutiger Sinn ermitteln, ist die Willensäußerung so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht, wofür die Umstände der Erklärung und die im Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche heranzuziehen sind. Findet der ermittelte Sinn im Wortlaut der Erklärung noch eine Stütze, handelt es sich um eine einfache Vertragsauslegung (RS0017797 [T6]). Treten nach Abschluss des Geschäfts Konflikte auf, die die Parteien nicht bedacht und daher auch nicht ausdrücklich geregelt haben, ist unter Berücksichtigung der übrigen Geschäftsbestimmungen und des von den Parteien verfolgten Zwecks zu fragen, welche Lösung redliche und vernünftige Parteien vereinbart hätten, also eine ergänzende Vertragsauslegung vorzunehmen (RS0017797 [T7]; RS0113932). Als Mittel der ergänzenden Vertragsauslegung kommen der hypothetische Parteiwille, die Übung des redlichen Verkehrs, der Grundsatz von Treu und Glauben und die Verkehrsauffassung in Betracht, wobei die Lücke so zu schließen ist, wie es der Gesamtregelung des Vertrags gemessen an der Parteiabsicht am besten entspricht (RS0017832).
[10] 1.3. An diesen in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen hat sich das Berufungsgericht orientiert. Während das Erstgericht sich im Wesentlichen auf die Wortauslegung der Auftragsunterlagen (insbesondere der zweiten Auftragserweiterung) stützte, schloss das Berufungsgericht aus dem Auftragsumfang „Grundwasserabsenkung mittels Bohrbrunnen, Injektionen und Regiearbeiten“ um 80.000 EUR unter Berücksichtigung der Vorgespräche und der Positionen 05.11.36 und 05.11.37 in der Auftragsgrundlage, die Beklagte hätte gegenüber der Klägerin als Fachfirma davon ausgehen dürfen, dass diese in ihre Kostenprognose und das Anbot alle Leistungen aufnehmen werde, die die Erweiterung des Auftrags auf die Grundwasserabsenkung erforderte. Warum die Beklagte das „Einrichten, Betreiben und Räumen der Überwachungsanlage“ nur auf die Pumpen und nicht auch auf die Pegelhöhen hätte beziehen dürfen, sei nicht zu erkennen. Auch aus Sicht der Klägerin habe es keinen Anhaltspunkt dafür gegeben, dass die Beklagte das für die Wasserhaltung Erforderliche nur teilweise beauftragen hätte wollen. Ihr als Fachfirma habe klar sein müssen, dass bei ordnungsgemäßer Grundwasserabsenkung die Pegelhöhen zu beobachten und daraus entsprechende Schlüsse zu ziehen seien. Dass die örtliche Bauaufsicht die Leistungen nicht eingefordert oder kontrolliert habe, ändere nichts, weil sie schlicht darauf nicht Bedacht genommen habe und deren nachträgliches Versäumnis für die Auslegung des Werkvertrags nicht von Bedeutung sei.
[11] 1.4. Dem hält die Klägerin die Wortlautinterpretation und das Fehlen der Position „Überwachung der Pegelhöhe“ in der Auftragserweiterung entgegen. Die Beklagte oder die Nebenintervenientin hätten die Pegelüberwachung beauftragen müssen. Eine Fehlbeurteilung, die ein Eingreifen des Obersten Gerichtshofs erforderlich machen würde, zeigt sich damit aber nicht auf.
[12] 1.5. Dass die der zweiten Auftragserweiterung zugrunde liegenden Dokumente die Position „Überwachung der Pegelhöhe“ nicht enthalten, haben die Vorinstanzen berücksichtigt. Das Berufungsgericht schloss aber aus dem gesamten Auftragswerk unter Bedachtnahme auf die Vorgespräche über die Notwendigkeit der Grundwasserabsenkung und der Wasserhaltung in nicht zu beanstandender Weise, dass aus Sicht eines redlichen Erklärungsempfängers die Überwachung der Pegelhöhe enthalten sein musste. Der Beklagten die Redlichkeit mit dem Argument abzusprechen, sie habe von der Notwendigkeit der Pegelabsenkung gewusst, geht dabei ins Leere. Einerseits enthielt nach den Feststellungen die Statik ./M betreffend die Baugrubensicherung noch den Hinweis darauf, dass das abgesenkte Grundwasserniveau durch ausreichende Pegelüberwachung vom ausführenden Unternehmen sicherzustellen sei (selbst wenn sich eine Bezugnahme auf diese Statik in der zweiten Auftragserweiterung nicht mehr fand). Andererseits wusste die Klägerin als Fachunternehmen von der Notwendigkeit der Pegelbeachtung oder musste zumindest davon wissen. Aus dem Umstand alleine, dass über Maßnahmen hiezu im Vorgespräch der zweiten Auftragserweiterung nicht explizit gesprochen worden war, durfte sie daher nach der im Einzelfall jedenfalls vertretbaren Auslegung des Berufungsgerichts nicht ohne Weiteres davon ausgehen, die Beklagte werde die für eine effiziente Grundwasserabsenkung und Wasserhaltung erforderliche Überwachung der Pegel extern beauftragen.
[13] 1.6. Auch dass aus dem Umstand, dass die Beklagte und die Nebenintervenientin trotz Wassereintritts keine Messprotokolle bei der Rechtsvorgängerin der Klägerin angefordert hatten, keine relevanten Schlüsse auf die Parteiabsicht zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu ziehen sind, ist nicht zu beanstanden.
[14] 2. Soweit die Klägerin argumentiert, Ursache des hydraulischen Grundbruchs sei (auch) der weitere Aushub ohne entsprechende Prüfung und Einholung von Messdaten im Auftrag der Beklagten bzw der Nebenintervenientin gewesen, ist ihre Revision nicht gesetzesgemäß ausgeführt, weil nach den Feststellungen (nur) die mangelnde Überwachung der Pegelhöhe und damit der nicht beachtete Wasseraustritt sowie das Nichterkennen des mangelnden Erfolgs der Entlastungsbohrungen Ursache des hydraulischen Grundbruchs gewesen waren. Darauf ist daher nicht weiter einzugehen.
[15] 3.1. Gemäß § 273 ZPO kommt dem Gericht die Befugnis zu, die Höhe des Anspruchs nach freier Überzeugung festzusetzen (RS0040459). Ob § 273 Abs 1 ZPO anzuwenden ist, ist eine Verfahrensfrage. Dabei entscheiden richterliche Erfahrung, allgemeine Lebenserfahrung oder auch die Zwischenergebnisse des bereits teilweise durchgeführten Beweisverfahrens (RS0040431). Die Anwendbarkeit richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls, sodass einer solchen Entscheidung regelmäßig keine darüber hinausgehende Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukommt (RS0040494). Nur gravierende, an die Grenzen des Missbrauchs gehende Fehler der Ermessensentscheidung könnten auch in dritter Instanz noch über ein außerordentliches Rechtsmittel aufgegriffen und korrigiert werden (RS0007104). Dies ist hier nicht der Fall.
[16] 3.2. Das Berufungsgericht wendete bei der Position „Baustelleneinrichtung/Arbeitsplattform“ in Höhe von insgesamt 137.808 EUR § 273 ZPO insoweit an, als es davon ausging, die Kosten der Arbeitsplattform seien nach allgemeiner Erfahrung nicht mit und ohne Grundbruch gleich hoch. Die Ausmittlung seines Prozentsatzes begründete es mit den bisherigen Ergebnissen des Beweisverfahrens.
[17] 3.3. Zwar fehlen nähere Feststellungen zur Position „Baustelleneinrichtung/Arbeitsplattform“ noch, sie sind auch nach Auffassung des Berufungsgerichts im Ausmaß des (noch offenen) Betrags von 90 % der gesamten Rechnungsposition erforderlich. Dessen ungeachtet ist nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht davon ausging, bei ursprünglicher Beauftragung wären die Kosten für die Baustelleneinrichtung/Arbeitsplattform um jedenfalls 10 % niedriger gewesen. Der hiezu geltend gemachte Mangel des Berufungsverfahrens liegt daher nicht vor, was keiner weiteren Begründung bedarf (§ 510 Abs 3 ZPO).
[18] 3.4. Wenn auch die Bemessung nach § 273 ZPO selbst als rechtliche Beurteilung grundsätzlich revisibel ist (RS0111576; RS0040322), zeigt die Klägerin hier keinen korrekturbedürftigen Fehler der Ermessensentscheidung des Berufungsgerichts auf. Dem unter Hinweis auf das jeweilige Prozessvorbringen und die bisherigen Beweisergebnisse ermittelten Ausmaß von Sowiesokosten für die Arbeitsplattform von nicht höher als 90 % der tatsächlich verrechneten Rechnungsposition setzt die Klägerin nichts Substanzielles entgegen. Ihr Hinweis auf das Sachverständigengutachten greift zu kurz, weil dieses die Aufwendungen der Klägerin nur insoweit als auftragsgemäß und angemessen verrechnet beurteilte, als dies aufgrund der vorliegenden Unterlagen nachvollziehbar sei. Gerade zur Frage, in welchem Umfang die Kosten für die Arbeitsplattform tatsächlich Sowiesokosten sind, wird noch ein ergänzendes Beweisverfahren durchzuführen sein. Die Teilabweisung bezog sich nur auf das Vorbringen der Klägerin, die Plattform sei zwar ohne Grundbruch nicht zwingend notwendig gewesen, allerdings hätte es diesfalls Sowiesokosten wegen eines 5 Meter höheren Bohrniveaus und der Erschwernisse aufgrund beengter Verhältnisse bei der Bohrung im Schacht gegeben. Dass diese Sowiesokosten nicht die volle Höhe der verrechneten Position erreichen, stützte sich daher nicht auf die Ausführungen des Sachverständigen, sondern auf die allgemeine Erfahrung. Auch insoweit ist daher keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung zu erkennen.
[19] 4. Damit war die Revision zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dies nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).