13Os24/23p – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Juli 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz Hummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Richteramtsanwärter Mag. Wunsch in der Strafsache gegen E* V* wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 zweiter Fall und 15 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 12. Jänner 2023, GZ 37 Hv 64/22a 54, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Der Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde E* V* des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 und 4 StGB (I/1) sowie der Verbrechen der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB (I/2) und des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 zweiter Fall und 15 StGB (II) schuldig erkannt.
[1] Danach hat sie
(I) am 5. November 2010 in M*
1) als Zeugin in einem Ermittlungsverfahren nach der Strafprozessordnung vor der Kriminalpolizei bei ihrer förmlichen Vernehmung zur Sache falsch ausgesagt, indem sie gegenüber Beamten des Landeskriminalamts Niederösterreich wahrheitswidrig behauptete, dass * K* mit ihrem am 6. August 2006 geborenen Sohn C* V* dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen habe, und
2) * K* dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt, dass sie ihn, wie zu 1) beschrieben, einer von Amts wegen zu verfolgenden, mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohten Handlung, nämlich des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB, falsch verdächtigte, obwohl sie wusste, dass die Verdächtigung falsch ist, sowie
(II) in N* und andernorts gewerbsmäßig (unter Verwirklichung der Kriterien des § 70 Abs 1 Z 3 erster Fall StGB) und mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Nachgenannte durch Vorspiegelung einer Traumatisierung und Pflegebedürftigkeit ihres am 6. August 2006 geborenen Sohnes C* V* aufgrund eines schweren sexuellen Missbrauchs, somit durch Täuschung über Tatsachen, in zahlreichen Angriffen zu Handlungen verleitet oder zu verleiten versucht, die die betroffenen Institutionen in einem jeweils 5.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen schädigten oder schädigen sollten, und zwar
am (richtig) 14. Dezember 2010 (US 4) Verfügungsberechtigte der P* zur Auszahlung von Pflegegeld (§ 15 StGB),
vom 14. Dezember 2010 bis zum März 2014 Verfügungsberechtigte des F* zur Auszahlung einer erhöhten Familienbeihilfe im Gesamtbetrag von 5.532 Euro,
am 4. April 2012 sowie vom 13. März 2013 bis zum 1. März 2022 (US 5) Verfügungsberechtigte der P* zur Auszahlung von Pflegegeld im Gesamtbetrag von 66.060,10 Euro, wobei sie außerdem eine Erhöhung des Pflegebedarfs des C* V* und eine Retraumatisierung aufgrund einer Drohung durch einen Nachbarn im Mai 2012 behauptete,
vom Dezember 2013 bis zum März 2014 und vom Juli 2015 bis zum Februar 2022 Verfügungsberechtigte der P* zur Gewährung beitragsloser Versicherungszeiten im Rahmen der Sozialversicherung für Zeiten der Pflege naher Angehöriger, wodurch diese im Gesamtbetrag von 35.113,91 Euro am Vermögen geschädigt wurde, und
vom 11. Juli 2014 bis zum 29. November 2021 Verfügungsberechtigte der B* (auch unter Vorspiegelung ihrer Arbeitswilligkeit) zur Auszahlung einer Mindestsicherung im Gesamtbetrag von 67.849,00 Euro (US 6).
Rechtliche Beurteilung
[2] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 10 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten.
[3] Die Verfahrensrüge (Z 4) moniert die Abweisung (ON 51.4 S 81) des Antrags auf Beischaffung eines technischen Protokolls des elektronischen Aktes und Beurteilung durch einen Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Informationstechnik zum Beweis dafür, dass „vor der ON 2.8“ eine E Mail der Zeugin * H* an die * Sch* gelöscht wurde und anschließend auch ein Bericht über die Zusammenfassung von Abteilungsinspektor T*, „weil in dieser E-Mail entlastende Beweise genannt wurden, nämlich, dass C* an jenem Tag 2010 zumindest fünf Minuten unbeaufsichtigt war und sich daraus ergibt, dass der Vorfall stattgefunden haben kann und damit auch die Verleumdung nicht wissentlich erfolgt ist“ (ON 51.4 S 80).
[4] Nach den Angaben der Zeugin * H* in der Hauptverhandlung war am angesprochenen Tag alles unauffällig und der Sohn der Angeklagten immer in ihrer Nähe, weiters stellte sie klar, dass sie selbst keine E-Mail verfasst habe (ON 51.4 S 27 f, 33).
[5] Im Hinblick auf die Behauptung der Angeklagten, sie habe im elektronischen Akt etwas gesehen, was nicht mehr vorhanden sei (ON 51.4 S 33), hielt die Vorsitzende fest, dass nach der Erfahrung des Gerichts in einem solchen Fall ein Löschungsvermerk ersichtlich sein müsste (ON 51.4 S 55).
[6] Davon ausgehend ließ der Antrag offen, weshalb die angestrebte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis dennoch hätte erwarten lassen. Solcherart war er auf im Hauptverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung gerichtet (RIS Justiz RS0118444; Ratz , WK StPO § 281 Rz 330).
[7] Soweit die Beschwerde das Unterbleiben amtswegiger Beweisaufnahmen kritisiert (Z 5a als Aufklärungsrüge), versäumt sie die – zur prozessförmigen Ausführung des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes gebotene – Darlegung, wodurch die Beschwerdeführerin an sachgerechter Antragstellung in der Hauptverhandlung gehindert gewesen sei (RIS-Justiz RS0115823).
[8] Nach den Feststellungen des Erstgerichts beschloss E* V* zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts eine Traumatisierung ihres am 6. August 2006 geborenen Sohnes C* V* samt daraus resultierender Pflegebedürftigkeit vorzutäuschen und wollte sie sich auf diese Weise von verschiedenen Stellen Sozialleistungen im höchstmöglichen Ausmaß erschleichen. In Umsetzung ihres Plans beging sie mehrere Betrugshandlungen mit einem (von vornherein) intendierten, jeweils 5.000 Euro übersteigenden Gesamtschaden, und zwar unter anderem am 13. März 2013 zum Nachteil der P*, wobei diese durch die Auszahlung von Pflegegeld einen Gesamtschaden von 66.060,10 Euro erlitt (US 5 f), am 23. Oktober 2013 zum Nachteil der P*, wobei diese durch die Nichtbezahlung von Beiträgen einen Gesamtschaden von 35.113,91 Euro erlitt (US 6), sowie am 11. Juli 2014 zum Nachteil der B*, wobei diese durch die Auszahlung von Sozialleistungen aus dem Titel der Mindestsicherung einen Gesamtschaden von 67.849 Euro erlitt (US 6). Diese Taten beging sie jeweils in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung (auch) von schwereren Betrügereien längere Zeit hindurch, nämlich jedenfalls mehrere Jahre, ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, das nach einer jährlichen Durchschnittsbetrachtung den Betrag von 400 Euro monatlich übersteigt (US 7).
[9] Soweit die Subsumtionsrüge (Z 10) Konstatierungen zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 148 zweiter Fall StGB vermisst, dabei aber die dargestellten, genau dazu getroffenen Feststellungen (US 3 bis 7) übergeht, verfehlt sie den Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS Justiz RS0099810).
[10] Der Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) zuwider verstößt die aggravierende Wertung der zweifachen Deliktsqualifikation (bezogen auf § 146 StGB, US 16) nicht gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB), weil sowohl der zweite Strafsatz des § 148 StGB als auch jener des § 297 Abs 1 StGB eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren vorsieht und der angesprochene Umstand demnach nicht die aktuelle Strafdrohung bestimmt.
[11] Auf die von der Angeklagten als Ergänzung zur Nichtigkeitsbeschwerde eingebrachte Eingabe war schon deshalb nicht einzugehen , weil das Gesetz nur eine Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde zulässt (RIS Justiz RS0100152 [T13]).
[12] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.
[13] Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).
[14] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.