3Ob92/23k – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch Rohracher Winkler Rechtsanwälte GesbR in Kitzbühel, gegen die beklagte Partei S* GmbH, *, vertreten durch Tinzl Frank Rechtsanwälte-Partnerschaft in Innsbruck, wegen 594.194,13 EUR sA, und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 16. März 2023, GZ 1 R 216/22g-97, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Am 3. August 2017 geriet die damals 15 jährige Klägerin auf einer vom beklagten Seilbahnunternehmen betriebenen Mountaincart-Strecke in einer lang gezogenen Linkskurve durch einen Fahrfehler über den rechten Streckenrand hinaus, fuhr rund 30 Meter über die Böschung hinab und prallte gegen einen Baum. Dadurch wurde sie lebensbedrohlich im Wirbelsäulenbereich verletzt.
[2] Die Vorinstanzen wiesen das von der Klägerin gegen die Beklagte erhobene Schadenersatz- und Feststellungsbegehren ab. Die Klägerin sei – wie alle Teilnehmer der von der Beklagten angebotenen Fun-Aktivität – ausreichend auf die damit verbundenen Risiken und die Möglichkeit von Verletzungen hingewiesen worden. Vor dem Unfall habe die Klägerin bereits mehrere Abfahrten unternommen und die Strecke gekannt, die an der Unfallstelle übersichtlich gewesen sei und keine Hindernisse aufgewiesen habe.
[3] Die außerordentliche Revision dagegen ist mangels einer Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität zurückzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
[4] 1.1 Die Frage, in welchem Umfang über mögliche Gefahren aufzuklären bzw zu warnen ist und aus welchen Gründen das Unterlassen einer Aufklärung schuldhaft ist, kann immer nur aufgrund der besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls beantwortet werden und ist daher keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RS0111165 [T1, T3]). Dies gilt auch für gefährliche Spaß- oder Trendsportarten (vgl etwa 8 Ob 15/22x [Canyoningtour]; 2 Ob 105/21m [Tandemparagleitflug]; 4 Ob 39/18s [Mountainbike auf Freeride-Parcours]; 8 Ob 73/18w [Jumpbag-Schanze]; 4 Ob 34/16b und 1 Ob 156/17y [„Blobbing“]). Gleiches gilt auch für die Art und Weise, mit der diese Aufklärung vorzunehmen ist (vgl 1 Ob 156/17y).
[5] 1.2 Die Revisionswerberin meint, es fehle „jegliche höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage von Aufklärungspflichten eines Betreibers einer Risikosportart gegenüber Minderjährigen“; es müsse eine deutlich höhere Sorgfaltspflicht des Betreibers bestehen, weil Minderjährige unter dem besonderen Schutz der Gesetze stünden. Dabei übersieht sie allerdings, dass nach ständiger Rechtsprechung die Beantwortung bloß abstrakter Rechtsfragen nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs ist (RS0111271 [T2]). Das Berufungsgericht kam zu dem Ergebnis, dass die damals 15 jährige Klägerin durch die Maßnahmen der Beklagten über die Funktionsweise und (regelkonforme) Benutzung des Mountaincarts sowie über die Beschaffenheit der Strecke (Nutzungsbedingungen, die der Mutter der Klägerin ausgehändigt und von dieser unterfertigt wurden, Einschulungsvideo mit allen sicherheitsrelevanten Informationen) hinreichend aufgeklärt war. Außerdem hätten im konkreten Fall schon deswegen keine besonderen, zusätzlichen Aufklärungs- oder Hinweispflichten gegenüber der Klägerin bestanden, weil sie zuvor bereits mehrfach (am Vortag zweimal und am Unfallstag auch schon einmal) die Fahrt problemlos bewältigt hatte. Dass in dieser Beurteilung eine aufzugreifende Fehlbeurteilung liegen würde, zeigt die Revisionswerberin nicht auf. Damit stellt sich aber die Frage nach allfälligen besonderen Aufklärungspflichten eines Betreibers von Fun-Sportveranstaltungen gegenüber minderjährigen Teilnehmern im vorliegenden Fall nicht.
[6] 1.3 Aus der Bezugnahme des Rechtsmittels auf die Aufklärungspflichten eines behandelnden Arztes gegenüber minderjährigen Patienten ergibt sich ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage. Beim ärztlichen Behandlungsvertrag setzt die Einwilligung des Patienten voraus, dass der Patient über die Bedeutung des geplanten medizinischen Eingriffs und seine möglichen Folgen hinreichend aufgeklärt wurde (vgl RS0026499). Der Vertrag über die Teilnahme an einer Fun-Sportveranstaltung ist damit nicht vergleichbar.
[7] 2. Entgegen der Rechtsansicht der Klägerin steht die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die von der Beklagten angeordnete Helmpflicht und das für Kinder bis 12 Jahren sowie unter 150 cm Körpergröße geltende Benutzungsverbot die Verletzungsgefahren indiziere, in keinem Widerspruch zur vorhandenen Rechtsprechung zum Umfang von Aufklärungspflichten der Anbieter von Fun-Sportarten.
[8] 3. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).