JudikaturOGH

3Ob23/23p – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Juli 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin I*, vertreten durch Rechtsanwälte Gruber Partnerschaft KG in Wien, gegen den Antragsgegner J*, wegen Einwendungen gegen den Anspruch (§ 35 EO), über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 14. Dezember 2022, GZ 23 R 408/22f 42, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Purkersdorf vom 15. Oktober 2022, GZ 1 FAM 8/19i 34, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Der den Oppositionsantrag der Antragstellerin abweisende Beschluss des Rekursgerichts wird, soweit er den Zeitraum von 1. Mai 2017 bis 31. August 2020 betrifft, bestätigt.

Im Übrigen Umfang, nämlich soweit der Oppositionsantrag den Zeitraum 1. September 2020 bis 31. Dezember 2020 betrifft, werden die Entscheidungen der Vorinstanzen einschließlich ihrer Kostenentscheidungen aufgehoben und es wird dem Erstgericht insoweit die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1] Die Antragstellerin ist die Mutter des im Jahr 2001 geborenen Antragsgegners.

[2] Die Mutter begehrte in ihrem ersten Oppositionsantrag, den Anspruch aus der Unterhaltsverpflichtung vom 10. Oktober 2018 „ab Mai 2017“ für erloschen zu erklären, „soweit er den Betrag von monatlich 250 EUR“ übersteige, und das Exekutionsverfahren zu 4 E 975/19b des Bezirksgerichts Purkersdorf einzustellen.

[3] In einem weiteren Oppositionsantrag beantragte die Mutter, sie von der Unterhaltspflicht für ihren Sohn „ab Jänner 2020“ zu entheben und die Exekutionsverfahren 12 E 1777/20h des Bezirksgerichts Hietzing und 5 E 1698/20z des Bezirksgerichts Oberpullendorf einzustellen. Seit April 2020 betreue sie ihre schwerstbehinderte Tochter selbst. Dafür sei sie in Pflegekarenz gegangen und habe ihren Resturlaub verbraucht. Ab 1. September 2020 habe sie ihre Berufstätigkeit von zuvor 28 auf 10 Stunden pro Woche einschränken müssen, um die Pflege und Betreuung für die Tochter leisten zu können, die außerhalb des möglichen Besuchs der – montags bis freitags je von 9:00 Uhr bis 17:00 Uhr geöffneten – Tagesstruktur erforderlich sei. Mit der notwendigen Deckung des Bedarfs der Tochter sei ihr gesamtes Einkommen verbraucht und sie müsse laufend Schulden eingehen, um den Bedarf der Tochter decken zu können. Der Sohn müsse sich deshalb eine Reduktion seines Unterhaltsanspruchs gefallen lassen.

[4] Der Sohn wendete zusammengefasst ein, es sei nicht nachvollziehbar, dass die Mutter ihre Berufstätigkeit einschränken habe müssen. Die Schwester sei aufgrund ihrer schweren Behinderung seit Jahren in verschiedenen Einrichtungen stationär untergebracht gewesen; es sei zweifelhaft, dass nun eine Fremdunterbringung nicht mehr möglich und die persönliche Betreuung durch die Mutter erforderlich sei. Es sei ausschließlich der Vater zur Nutzung der ihm überlassenen Wohnung berechtigt, weshalb insoweit kein Naturalunterhalt der Mutter vorliege. Die Mutter verfüge über Vermögen, darunter ein Sparguthaben, das sie selbst als Rücklage für seinen Unterhalt angelegt, dafür aber nicht verwendet habe.

[5] Mit einem – bereits rechtskräftigen – Teilbeschluss sprach das Erstgericht aus, dass der Anspruch des Antragsgegners auf monatlichen Unterhalt in Höhe von 470 EUR ab 1. Jänner 2021 zur Gänze erloschen sei.

[6] Nunmehr erklärte das Erstgericht den Anspruch des Antragsgegners auf einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 470 EUR für den Zeitraum von 1. Mai 2017 bis 31. Dezember 2018 mit einem Teilbetrag von monatlich 105 EUR sowie für 1. Jänner 2020 bis 31. Dezember 2020 (soweit rechnerisch [allenfalls] nachvollziehbar: ebenfalls mit dem Teilbetrag von 105 EUR monatlich) für erloschen. Das Mehrbegehren wies es ab.

[7] Bei der Mutter ergebe sich für die Jahre 2017 bis 2020 eine Einkommensminderung. Der Betreuungsaufwand für die Tochter habe sich bis April 2020 nicht verändert. Die Tochter werde jeweils von Montag bis Freitag zwischen 9:00 Uhr und 17:00 Uhr in der Tagesstruktur betreut. Abgesehen von der Berücksichtigung der Einkommensminderung komme ein weiterer prozentueller Abzug ab April 2020 nicht in Betracht, ebenso wenig eine Anspannung der Mutter auf eine Vollzeitbeschäftigung.

[8] Das Rekursgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es den Oppositionsantrag zur Gänze abwies.

[9] Die Mutter habe ihr Begehren für den Zeitraum vom 1. Mai 2017 bis 31. Dezember 2019 nur auf solche Umstände gestützt, die vor der (Unterhalts )Titelschaffung gelegen seien, weshalb ihr Begehren für diesen Zeitraum schon aus diesem Grund nicht habe erfolgreich sein können. Außerdem sei für den genannten Zeitraum auch kein Exekutionsverfahren mehr anhängig. Insoweit sei der Oppositionsantrag daher jedenfalls abzuweisen. Für den Zeitraum ab 1. Jänner 2020 stehe zwar fest, dass die Mutter ihre Arbeitstätigkeit mit September 2020 von zuvor 28 auf 10 Wochenstunden reduziert habe, allerdings ergebe sich aus dem Sachverhalt kein Anhaltspunkt dafür, dass sie nicht auch weiterhin im bisherigen Ausmaß hätte arbeiten können. Zur angeblich notwendigen Reduktion ihres Beschäftigungsausmaßes habe die Mutter erst in ihrer Rekursbeantwortung detaillierteres Vorbringen erstattet.

[10] Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nachträglich zu, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob eine Anspannung der für den Sohn unterhaltspflichtigen Mutter zusätzlich zu ihren Betreuungsleistungen für die behinderte Tochter gerechtfertigt sei.

[11] In ihrem Revisionsrekurs wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung beantragt die Mutter, die Entscheidung dahin abzuändern, dass die Unzulässigkeit der Unterhaltsexekution ausgesprochen werde, und zwar für den Zeitraum von 1. Mai 2016 (gemeint offenbar: 1. Mai 201 7 ) bis 31. Dezember 2019 im monatlich 250 EUR übersteigenden Umfang und für das Jahr 2020 zur Gänze. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

[12] Der Sohn erstattete keine Revisionsrekurs-beantwortung.

Rechtliche Beurteilung

[13] Der Revisionsrekurs ist zulässig und betreffend den Zeitraum 1. September 2020 bis 31. Dezember 2020 im Sinn seines Aufhebungsantrags berechtigt.

[14] 1. Die vom Rekursgericht für den Zeitraum 1. Mai 2017 bis 31. Dezember 2019 herangezogenen Abweisungsgründe greift die Mutter in ihrem Revisionsrekurs inhaltlich nicht erkennbar auf. In diesem Umfang hat es daher bei der vom Rekursgericht entschiedenen Antragsabweisung zu bleiben.

[15] 2. Für den Zeitraum 1. Jänner 2020 bis 31. August 2020 ist schon nach dem Vorbringen der Mutter eine relevante Umstandsänderung nicht erkennbar. Sie behauptet zwar, seit April 2020 ihre schwerstbehinderte Tochter selbst betreut zu haben, doch hat sie diese Zeit bis Ende August durch Urlaub und Pflegekarenz überbrückt. Während dieser Monate liegt eine relevante Änderung der Einkommenssituation der Mutter nicht auf der Hand und sie hat eine solche auch nicht konkretisiert.

[16] 3. Für die Monate September bis Dezember 2020 ist die Reduktion der Arbeitstätigkeit der Mutter unstrittig, doch steht das von ihr in dieser Zeit erzielte Einkommen nicht fest. Die Mutter bestreitet in ihrem Revisionsrekurs aber nicht konkret, dass die Tochter in dieser Zeit wochentags tatsächlich zwischen 9:00 Uhr und 17:00 Uhr jeweils in einer Tagesstruktur untergebracht war oder werden konnte. Die Mutter macht in diesem Zusammenhang nur geltend, sie habe ihre Berufstätigkeit wegen der umfangreich erforderlichen Betreuungsleistungen für die Tochter reduzieren müssen; eine geeignete stationäre Unterbringung der Tochter habe sie trotz intensiver Suche nicht finden können.

[17] 4. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Anspannungsgrundsatz nicht anzuwenden, wenn der Verzicht auf die Erzielung eines höheren Einkommens durch berücksichtigungswürdige Gründe gerechtfertigt ist (vgl RS0047566). Dies kann auch hier gelten, soweit Betreuungsleistungen so umfangreich oder belastend sind, dass eine Arbeitstätigkeit der Mutter im bisherigen Umfang nicht mehr zumutbar ist. Die Beurteilung, ob dies zutrifft, etwa weil – wie die Mutter vorbrachte – die schwerstbehinderte Tochter besonders nachtaktiv ist oder in manchen Zeiträumen (zB wegen der COVID Pandemie) weniger Tagesbetreuung in Anspruch genommen werden konnte, lässt sich für den noch fraglichen Zeitraum mangels Feststellungen zu dieser Tatfrage nicht beurteilen.

[18] 5. Das Verfahren erweist sich damit (nur noch) hinsichtlich des Oppositionsantrags der Mutter für den Zeitraum von 1. September 2020 bis 31. Dezember 2020 als ergänzungsbedürftig. Zu diesen Monaten wird festzustellen sein, ob beachtliche Gründe dafür vorlagen, dass die Mutter wegen des besonderen Betreuungsaufwands für die Tochter trotz möglicher Aufenthalte in der Tagesstruktur ihr Beschäftigungsausmaß auf 10 Stunden reduzieren musste, und wie sich dies auf das Einkommen und damit auf die Bemessungsgrundlage für den Unterhaltsanspruch des Antragsgegners auswirkte. Erst danach wird das Ausmaß der Unterhaltspflicht der Mutter abschließend beurteilt werden können.

[19] 6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 78 AußStrG.

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