1Ob43/23i – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers Dipl. Ing. W*, vertreten durch Mag. Manuela Prohaska, Rechtsanwältin in Wien, gegen die Antragsgegnerin D*, vertreten durch Mag. Barbara Glöckner Volcic, Rechtsanwältin in Wien, wegen Unterhalts, über den ordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts Eisenstadt vom 17. Jänner 2023, GZ 20 R 154/22d 112, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Oberwart vom 10. August 2022, GZ 6 Fam 18/20t 100, teilweise abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Der Schriftsatz des Antragstellers vom 30. Juni 2023 wird zurückgewiesen.
II. Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller ist schuldig, der Antragsgegnerin die mit 626,52 EUR (darin enthalten 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] I. Jeder Partei steht nur eine einzige Rechtsmittelschrift oder Rechtsmittelgegenschrift zu. Weitere Nachträge oder Ergänzungen sind unzulässig. Der nach Erhebung de s Revisionsrekurses eingebrachte Schriftsatz des Antragstellers vom 30. 6. 2023 ist daher zurückzuweisen (RS0041666; RS0100170).
[2] II. Der Vater war zur Leistung eines monatlichen Unterhalts für seine volljährige Tochter von 847 EUR verpflichtet. Seit Dezember 2020 zahlte er keinen Unterhalt mehr.
[3] D ie Tochter schloss im Juli 2020 eine (vierjährige) landwirtschaftliche Fachschule mit ausgezeichnetem Erfolg ab. Im August 2020 meldete sie sich zum Fernstudium zur Erlangung der Berufsreifeprüfung in der Europa-Akademie Dr. R* an, mit dem sie im September 2020 beg ann . B ei Einhaltung des Studienzeitplans hätte sie die Vorbereitungszeit auf die erforderlichen Prüfungen im Februar 2022 beenden können. Z um e hest möglichen Prüfungstermin am 24. 6. 2021 für die Prüfung im Fachbereich „Gesundheit und Soziales“ konnte sie allerdings nicht antreten, weil sie den Anmeldeschluss versäumte. Sie bestand diese Prüfung indes knapp drei Monate später. Für die Prüfungen in Mathematik und Englisch stellte sie einen falschen Zulassungsa ntrag, sodass ihr im Juni 2021 ein falscher Zulassungsbescheid ausgestellt wurde.
[4] Das Rekursgericht enthob den Vater ab 1. 9 . 202 1 von seiner Unterhaltsverpflichtung.
[5] Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ es nachträglich zur Frage zu, ob es sich bei der Europa-Akademie Dr. R* um eine „Schule“ und/oder eine zweite Berufsausbildung handle, welche geeignet sei, ein Aufschieben des Eintritts der Selbsterhaltungsfähigkeit zu rechtfertigen.
[6] Mit seinem (von der Tochter beantworteten) ordentlichen Revisionsrekurs zielt der Vater darauf ab, bereits ab 1. 1. 2021 von seiner Unterhaltsverpflichtung enthoben zu werden ; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
[7] Der ordentliche Revisionrekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts (§ 71 Abs 1 AußStrG) nicht zulässig .
[8] 1. Das Kind, das über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt, ist bereits selbsterhaltungsfähig (RS0047621). Es verliert somit den Unterhaltsanspruch, wenn es die Aufnahme einer zumutbaren Erwerbstätigkeit aus Verschulden unterlässt (RS0047621 [T1]). Nach ständiger Rechtsprechung haben unterhaltspflichtige Eltern ihrem Kind allerdings nicht nur eine abgeschlossene Berufsausbildung entsprechend ihrem Stand und Vermögen zu gewähren, sondern auch zu seiner höherwertigen weiteren Berufsausbildung beizutragen, wenn es die dafür erforderlichen Fähigkeiten besitzt, das Studium ernsthaft und zielstrebig betreibt und den Eltern nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen eine Beteiligung an den Kosten des Studiums des Kindes möglich und zumutbar ist (RS0047580).
[9] Demgegenüber ist b ei einer Zweitausbildung das Weiterbestehen des Unterhaltsanspruchs an strengere Voraussetzungen gebunden als jene, die für die Finanzierung der Erstausbildung maßgeblich sind (RS0107722 [T6]).
[10] 2. Personen ohne Reifeprüfung können nach Maßgabe des Berufsreifeprüfungsgesetzes (BRPG) durch die Ablegung der Berufsreifeprüfung die mit der Reifeprüfung einer höheren Schule verbundenen Berechtigungen erwerben, unter anderem wenn sie – wie die Tochter hier – eine mindestens dreijährige mittlere Schule erfolgreich absolviert haben (§ 1 Abs 1 Z 3 BRPG). Das Absolvieren einer Berufsreifeprüfung ermöglicht einen uneingeschränkten Zugang zum Besuch von Universitäten, Hochschulen, Fachhochschulen, Akademien und Kollegs (vgl § 1 Abs 2 BRPG). Die Berufsreifeprüfung ist nach § 1 Abs 3 BRPG eine Externistenprüfung i Sd § 42 des Sch UG .
[11] Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist ein Vorbereitungslehrgang zur Ablegung einer Externistenreifeprüfung an einer Volkshochschule ein in § 42 SchUG ausdrücklich normierter Bildungsweg, dem angesichts der steigenden Anforderungen des modernen Lebens steigende Bedeutung zukommt. Solange der Unterhaltsberechtigte diesen Bildungsweg zielstrebig verfolgt und die vorgeschriebenen Vorprüfungen zügig ablegt, muss er sich nicht wie ein Selbsterhaltungsfähiger behandeln lassen (1 Ob 661/88 zur Rechtslage noch vor Einführung des BRPG; siehe zu einem vergleichbaren Fall [Abendkurs zur Absolvierung der Berufsreifeprüfung] auch 3 Ob 51/18y).
[12] Die Schulausbildung ist – wie sich aus der vom Vater selbst zitierten Entscheidung 10 ObS 65/90 [zur Maturaschule Dr. R*] ergibt – nicht auf eine Ausbildung an öffentlichen Schulen oder Privatschulen, denen das Öffentlichkeitsrecht verliehen wurde, beschränkt (RS0089658 [T6]). Ob und inwieweit der Besuch einer „Maturaschule“ einen Anspruch auf Qualifikation der Maturaschulzeiten als Ersatzzeiten nach dem ASVG begründen kann, ist im Zusammenhang mit dem Unterhaltsanspruch der Tochter gegenüber ihrem Vater irrelevant.
[13] 3. Auf dieser Grundlage ist der Berufsreifeprüfungslehrgang, der der Vorbereitung auf die Ablegung der Berufsreife prüfung dient, hier nicht als zweite Berufsausbildung, sondern als weiterführende Ausbildung im Sinn eines mehrstufigen Ausbildungsgangs anzusehen, nachdem sich die Tochter – wie sie unbestritten vorgebracht hat – für ein Hochschulstudium (Veterinärmedizin) unmittelbar im Anschluss an die landwirtschaftliche Fachschule entschieden hatte (vgl 1 Ob 703/87 [zu einem mit Reifeprüfung abschließenden Aufbaulehrgang im Anschluss an die Handelsschule]).
[14] Ob die für das Weiterbestehen eines Unterhaltsanspruchs bei einer (echten) Zweitausbildung verlangten strengeren Voraussetzungen vorliegen (vgl RS0107722), insbesondere eine vom Vater in Zweifel gezogene besondere Eignung (überdurchschnittliche Begabung) der Tochter für den eingeschlagenen Bildungsweg, kann daher dahin gestellt bleiben.
[15] Aus der Feststellung, dass die Tochter d ie Aufnahmeprüfung für einen Lehrgang zur Vorbereitung auf die Berufsreifeprüfung an ihrer landwirtschaftlichen Fachschule nicht bestand e n hat, ergibt sich (noch) nicht ihre fehlende Eignung für die Ablegung der Berufsreifeprüfung, zumal sie die Schule selbst mit ausgezeichnetem Erfolg ab geschlossen hat . Denn hier bleibt offen, ob ihre Aufnahme an den erforderlichen intellektuellen Fähigkeiten oder an den Aufnahmekapazitäten der Fachschule scheiterte.
[16] D ie Frage, wann ein Kind seinen Unterhaltsanspruch verliert, weil es die Ausbildung nicht zielstrebig verfolgt, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden (vgl RS0047580 [T3]). Dabei kommt es nach der Rechtsprechung auf den ex post zu betrachtenden Studienfortgang unter Berücksichtigung der durchschnittlichen bzw angemessenen Studiendauer an (RS0110600).
[17] Die Ansicht des Rekursgerichts, dass die Tochter die weiterführende Ausbildung erst seit Sommer 2021 nicht mehr zielstrebig verfolgt hat, weil sie die Prüfungen nicht zum ehestmöglichen Termin in Angriff genommen hat, begegnet im Einzelfall keinen Bedenken . Dass, wie der Vater meint, die Tochter den Lehrgang von Anfang an nicht er ns thaft und zielstrebig betrieben hätte, steht nicht fest. Insofern ist auf die bestandene Prüfung im Fach „Gesundheit und Soziales“ zu verweisen.
[18] 4. Insgesamt zeigt der Vater keine entscheidungserhebliche – vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende – Fehlbeurteilung d urch das Rekursgericht auf.
[19] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 Abs 2 erster Satz AußStrG. Die volljährige Tochter hat auf die fehlende Zulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen, sodass ihr die Kosten ihrer Rechtsmittelbeantwortung zustehen (RS0122774). Der Ansatz nach TP 3C RATG beträgt bei einer Bemessungsgrundlage von 6.776 EUR richtig 325 EUR, für die Revisionsrekursbeantwortung gebührt aber nur der einfache Einheitssatz (§ 23 RATG).