JudikaturOGH

11Os59/23w – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Juli 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Juli 2023 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und Mag. Riffel in Gegenwart des Richteramtsanwärters Obergruber LL.M. als Schriftführer in der Strafsache gegen * S* wegen des Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 19. Jänner 2023, GZ 27 Hv 105/22k 18, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * S* des Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er sich zwischen 1. Jänner 2018 und 22. März 2022 in T* in unzähligen Zugriffen mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz Güter, die ihm anvertraut worden sind, nämlich die in Parkautomaten befindlichen und ihm im Zuge der Entleerungen anvertrauten Bargeldbestände in einer Gesamthöhe von ca 100.000 Euro zugeeignet.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und b, 10a und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Die Mängelrüge (Z 5 fünfter Fall) spricht mit der Kritik, bei Wiedergabe der Aussage einer Zeugin habe das Erstgericht anstelle des von dieser genannten Betrags von „ ca. 3.000 Euro“ (ON 2.7, 4) einen solchen von [exakt] „3.000 Euro“ (US 4) genannt, mangels Relevanz für die Beantwortung (hier) der Schuld- oder der Subsumtionsfrage k eine entscheidende Tatsache an ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 398 ff) und zeigt solcherart auch k eine Aktenwidrigkeit auf (RIS Justiz RS0099431; Ratz , WK StPO § 281 Rz 468).

[5] Welche Konstatierungen über die zum Alleingewahrsam des – ohne Aufsicht agierenden ( Salimi in WK 2 StGB § 133 Rz 38) und die zuvor von ihm entnommenen Geldbeträge auf sein privates Konto einzahlenden bzw für sich selbst verwendenden (US 3) – Angeklagten getroffenen Feststellungen (US 3) hinaus noch geboten gewesen wären und inwiefern die festgestellte Absicht (§ 5 Abs 2 StGB), sich „unrechtmäßig zu bereichern“ und dabei in Ansehung des im Gesamtausmaß von rund 100.000 Euro zugeeigneten Gesamtbetrags – auch in Ansehung der Wertgrenze von 5.000 Euro (§ 133 Abs 2 erster Fall StGB) – eventualvorsätzlich zu handeln (§ 5 Abs 1 StGB, US 3), zur Erfüllung des subjektiven Tatbestands unzureichend sei, zeigt die nicht an den getroffenen Feststellungen orientierte Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht auf (RIS Justiz RS0116565, RS0099810; Ratz , WK StPO § 281 Rz 581, 584).

[6] Soweit mit Blick auf die strafmildernd berücksichtigte, im Juni 2022 erfolgte Rückzahlung des Schadensbetrags durch den Angeklagten (US 5, 9), die dieser nach dem Beschwerdevorbringen unter Verweis auf seine Verantwortung ausschließlich durch eine Kreditaufnahme seitens seines Bruders leisten konnte (ON 17 S 5), ein Feststellungsmangel zum Vorhandensein eines – den Bereicherungsvorsatz allenfalls ausschließenden – präsenten Deckungsfonds behauptet wird, lässt die Beschwerde offen, inwiefern ein solcher im vorliegenden Fall von Bedeutung sein sollte, werden doch Indizien für einen im Tatzeitpunkt gegebenen Erstattungswillen nicht dargetan. Ein präsenter Deckungsfonds liegt im Übrigen nur vor, wenn der Täter im Zeitpunkt der Zueignungshandlung zum sofortigen oder zumindest unverzüglichen Ersatz (in Höhe der zugeeigneten Sache) willens und fähig ist und die Ersatzfähigkeit nicht von Entscheidungen Dritter abhängt (vgl RIS Justiz RS0094326, RS0094283 [T4], RS0094486 [T3]).

[7] Die weitere Rechtsrüge (Z 9 lit b), die tätige Reue (§ 167 StGB) releviert, orientiert sich prozessordnungswidrig nicht am festgestellten Sachverhalt in seiner Gesamtheit ( Ratz , WK StPO §§ 581 und 584), wonach der Angeklagte bei seinem am 28. März 2022 mit dem Bürgermeister der G emeinde geführten Gespräch den veruntreuten Betrag mit 3.000 Euro bezifferte und lediglich ankündigte, den gesamten Schaden bezahlen zu wollen, anlässlich seiner am Folgetag erstatteten Selbstanzeige die Tatbegehung (bloß) ab Mitte des Jahres 2020 zugestand (US 4 f) und am 25. Mai 2022 zwischen de m Arbeitgeber des Angeklagten und der Marktgemeinde T* eine Vereinbarung über die – im Wege des Arbeitgebers – erst am 3. Juni 2022 durch den Angeklagten in Höhe von 100.000 Euro (vollständig) geleistete Schadensgutmachung getroffen wurde (US 4 f).

[8] Inwieweit dennoch von einer rechtzeitigen und vollständigen Schadensgutmachung iSd § 167 Abs 2 oder 3 StGB auszugehen sein solle (RIS Justiz RS0095214, RS0112227, RS0095376, RS0090642, vgl auch Kirchbacher/Ifsits in WK 2 StGB § 167 Rz 29 ff, 48 ff [78, 80, 82, 84, 107, 114, 120]), wird mit Verweis auf die allgemeine mündliche, weder betragsmäßig sowie bezüglich der Leistungsfrist bzw der Leistungszeitpunkte konkretisierte Zusage gegenüber dem Bürgermeister der Marktgemeinde und mit Blick auf den auch anlässlich der Selbstanzeige bei der Polizei unterbliebenen Erlag des gesamten Schadensbetrags nicht methodengerecht dargelegt ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 588).

[9] Ein Urteil ist aus § 281 Abs 1 Z 10a StPO nichtig, wenn die darin enthaltenen Feststellungen bei richtiger Rechtsansicht die Nichtanwendung der Diversion nicht zu tragen vermögen oder wenn Ergebnisse der Hauptverhandlung auf einen Umstand hindeuten, der für die positive Beurteilung der diversionellen Voraussetzungen den Ausschlag gäbe, das Gericht aber keine Feststellungen getroffen hat. Nicht anders als im Fall von Rechts- und Subsumtionsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 und 10 StPO) ist somit Gegenstand der Diversionsrüge der Vergleich der im Urteil getroffenen Konstatierungen mit den Diversionskriterien (RIS Justiz RS0119091, RS0119092, RS0124801; Ratz , WK StPO § 281 Rz 659).

[10] Nach den maßgeblichen Urteilsfeststellungen hat der Angeklagte seine Tathandlungen in zumindest 123 Zugriffen über einen mehr als vierjährigen Tatzeitraum in Bezug auf einen insgesamt in Höhe von ca 100.000 Euro unrechtmäßig zugeeigneten, solcherart die Wertgrenze des § 133 Abs 2 erster Fall StGB um das 20-fache überschreitenden Gesamtbetrag begangen (US 3).

[11] Weshalb bei gebotener Gesamtbewertung ( Schroll/Kert , WK StPO § 198 Rz 24) dieser Konstatierungen die Schuld des Angeklagten, auch unter Berücksichtigung der ohnehin erwogenen geständigen Verantwortung, des bisher ordentlichen Lebenswandels, des auffallenden Widerspruchs der Tatbegehung zum sonstigen Verhalten und der Schadensgutmachung (US 9 und 11), nicht als schwer gemäß § 32 StGB iVm § 198 Abs 2 Z 2 StPO anzusehen sei ( Schroll/Kert , WK StPO § 198 Rz 31) und einem diversionellen Vorgehen auch generalpräventive Erwägungen nicht entgegenstehen sollten, legt die Rüge mit bloßem Verweis auf den Strafrahmen des § 133 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB und der Behauptung „überschießender Schadensgutmachung“ sowie der Bereitschaft zu „etwaigen zusätzlichen Auflagen“ nicht dar. Ein Überwiegen der Erschwerungsgründe ist für ein Unterbleiben diversionellen Vorgehens im Übrigen nicht erforderlich ( Schroll/Kert , WK StPO § 198 Rz 24).

[12] Soweit die Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) hinsichtlich der Feststellungen, wonach lediglich der Angeklagte auf die neue Software für die Parkraumbewirtschaftung (und die damit verbundenen Kontrollmöglichkeiten) eingeschult war und somit als Einziger von den genauen Abläufen Kenntnis hatte (US 3 f), in der ausschließlich gegen ein diversionelles Vorgehen sprechenden und auch nicht anlässlich der Strafbemessung aggravierend gewerteten (US 9) „Vertrauensposition des Angeklagten“ (US 11) eine unzulässige Doppelverwertung (§ 32 Abs 2 StGB) erblickt, orientiert sie sich nicht am Urteilsinhalt.

[13] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen.

[14] Über die Berufung des Angeklagten wird das Oberlandesgericht zu entscheiden haben (§ 285i StPO).

[15] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rückverweise