3Nc6/23x – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. *, und 2. *, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Zur Führung des Verfahrens ist das Bezirksgericht Rohrbach zuständig.
Der Beschluss des Bezirksgerichts Rohrbach vom 23. März 2023, GZ 2 Ps 35/23s 19, wird aufgehoben.
Text
Begründung:
[1] Der im Sprengel des Bezirksgerichts Rohrbach wohnhafte K* S*, stellte als Pflegevater der im Kopf dieser Entscheidung genannten Kinder am 21. 2. 2023 anwaltlich vertreten beim Bezirksgericht Meidling, in dessen Sprengel die beiden Kinder derzeit in einem Krisenzentrum wohnhaft sind, einen obsorgerechtlichen Antrag.
[2] Das Bezirksgericht Meidling sprach mit Beschluss vom 22. 2. 2023 in limine litis aus, zur („weiteren“) Führung des Verfahrens nicht zuständig zu sein, und überwies die Rechtssache an das Bezirksgericht Rohrbach. Es begründete seine Entscheidung damit, dass nach § 109 Abs 1 JN das Gericht, in dessen Sprengel die Minderjährigen ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, zur Führung des Pflegschaftsverfahrens zuständig sei. Die beiden Kinder hätten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Sprengel des Bezirksgerichts Rohrbach. Ihr Aufenthalt im Krisenzentrum sei kein gewöhnlicher.
[3] Das Bezirksgericht Rohrbach sprach mit Beschluss vom 23. 3. 2023 aus, die Pflegschaftssache nicht zu übernehmen, und retournierte den Akt an das Bezirksgericht Meidling. Wesentliche Begründung des Bezirksgerichts Rohrbach hierfür war, der Aufenthalt der Kinder im Krisenzentrum sei entgegen der Ansicht des überweisenden Gerichts sehr wohl ein gewöhnlicher; beide Kinder seien dort mit Hauptwohnsitz gemeldet.
[4] Das Bezirksgericht Meidling legt den Akt – nach nunmehr vorliegender Rechtskraft beider Beschlüsse (vgl den in dieser Rechtssache ergangenen Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 19. 4. 2023, 3 Nc 6/23x, ON 11) – dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt nach § 47 JN vor.
Dazu wurde erwogen:
Rechtliche Beurteilung
[5] Der Beschluss des Bezirksgerichts Meidling auf Überweisung der Rechtssache an das Bezirksgericht Rohrbach erging nicht nach § 111 JN, sondern nach § 44 JN.
[6] Bei der Entscheidung über einen negativen Kompetenzkonflikt ist auf eine allfällige Bindungswirkung des ersten Beschlusses Bedacht zu nehmen. Um Kompetenzkonflikte nach Möglichkeit von vornherein auszuschließen, nimmt der Gesetzgeber in Kauf, dass allenfalls auch ein an sich unzuständiges Gericht durch eine unrichtige Entscheidung gebunden wird (RS0046391). Das Adressatgericht kann im Fall der Überweisung gemäß § 44 Abs 1 JN seine Unzuständigkeit nicht mit der Begründung aussprechen, das überweisende Gericht sei zuständig (RS0046315 [T2, T3]; RS0081664 [T3]). Im Fall einer solchen Überweisung bleibt der Überweisungsbeschluss für das Adressatgericht solange maßgebend, als er nicht in höherer Instanz rechtskräftig abgeändert wird (RS0081664).
[7] Diese Bindungswirkung hat das Bezirksgericht Rohrbach missachtet. Sein Beschluss, mit dem es erklärte, die Pflegschaftssache nicht zu übernehmen, ist – ohne auf die Frage der Unrichtigkeit des Überweisungsbeschlusses einzugehen (RS0002439 [T2, T9]) – aufzuheben.