21Ds13/22g – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 13. Juni 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Gitschthaler als weiteren Richter sowie die Rechtsanwälte Dr. Hausmann und Univ. Prof. Dr. Harrer als Anwaltsrichter in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, AZ D 18/21, über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Senatsvorsitzenden des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 9. Juli 2022 nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH Geo 2019 den
Beschluss
gefasst:
Spruch
In Stattgebung der Beschwerde wird der angefochtene Beschluss aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich verwiesen.
Text
Gründe:
[1] Mit dem vorliegenden Beschluss wies „der Senatsvorsitzende des Disziplinarrats“ der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich den – im Hinblick auf die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen das in der Disziplinarsache AZ D 18/21 ergangene Erkenntnis des genannten Disziplinarrats vom 31. Jänner 2022 – am 21. Juni 2022 eingebrachten Antrag des Disziplinarbeschuldigten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab.
[2] Dies mit der – zusammengefassten – Begründung, aus der Verantwortung des Disziplinarbeschuldigten, aufgrund der im Zusammenhang mit anderen Schriftsätzen von der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich geübten Praxis auch bei der Erhebung einer Berufung von der Zulässigkeit bzw Gültigkeit einer Einbringung per E-Mail ausgegangen zu sein, lasse sich angesichts der klaren Gesetzeslage und Rechtsprechung kein entschuldbarer Rechtsirrtum ableiten. A ußerdem könne aufgrund des von ihm zu verantwortenden Organisationsverschuldens nicht von einem unabwendbaren bzw unvorhersehbaren Ereignis gesprochen werden. Ü berdies sei das Rechtsmittel schon dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt worden, weshalb der Antrag schon in dieser Hinsicht ins Leere gehe.
Rechtliche Beurteilung
[3] Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Disziplinarbeschuldigten.
[4] Darin zeigt der Wiedereinsetzungswerber zutreffend auf, dass der angefochtene Beschluss alleine vom „Senatsvorsitzenden des Disziplinarrats“ und damit von einem unzuständigen Organ der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich gefasst wurde.
[5] Nach § 77 Abs 2 letzter Satz DSt entscheidet über einen Antrag auf Wiedereinsetzung die Disziplinarbehörde, bei der die versäumte Prozesshandlung vorzunehmen war, fallaktuell demnach – weil es sich um die Frist zur Einbringung der Berufung handelt und diese bei dem Disziplinarrat einzubringen ist, der die angefochtene Entscheidung gefällt hat (§ 48 Abs 1 DSt) – der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich (B998/2013, 28 Os 14/14i).
[6] Nach § 15 Abs 1 DSt verhandelt und entscheidet der Disziplinarrat in Senaten, wobei dessen Entscheidungen (Erkenntnisse, Beschlüsse) mit einfacher Stimmenmehrheit gefasst werden (Abs 6 leg cit). Eine gesonderte Bestimmung, wonach der Vorsitzende des Disziplinarrats alleine entscheidungsbefugt wäre (vgl § 41 Abs 1 DSt), gibt es im Zusammenhang mit Wiedereinsetzungsanträgen nicht; eine entsprechende Befugnis besteht – außer in den gesetzlich ausdrücklich geregelten Fällen – nur in Bezug auf die Zurückweisung von als unzulässig bewerteten Anträgen (vgl 20 Os 9/15x).
[7] Der angefochtene Beschluss, welcher den in Rede stehenden Antrag jedoch inhaltlich behandelt und die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Ergebnis verweigert (vgl Lewisch , WK StPO § 364 Rz 62), hätte daher im Senat gefasst werden müssen (vgl 28 Os 13/14t).
[8] In Stattgebung der Beschwerde war der angefochtene Beschluss daher aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich zu verweisen.
[9] Dieser wird im Übrigen zu erwägen haben, in welcher Hinsicht das laut Vorbringen des Wiedereinsetzungsantrags in der Unmöglichkeit einer ausreichenden Kontrolle der Abfertigung des Rechtsmittels zu erblickende Hindernis, die Berufung am 19. Mai 2022 prozessordnungsgemäß und demnach fristgerecht zu erheben, auch noch am Tag nach der unzulässigen Einbringung des Rechtsmittels im E Mail Weg bestanden hätte und der Wiedereinsetzungsantrag selbst demnach trotz seiner erst am 21. Juni 2022 erfolgten Einbringung noch nicht verfristet gewesen wäre (§ 364 Abs 1 Z 2 StPO iVm § 77 Abs 2 DSt).