13Os14/23t – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 31. Mai 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz Hummel LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Rechtspraktikant Mag. Wunsch in der Strafsache gegen * R* und andere Angeklagte wegen Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten * R* sowie die Berufung des Angeklagten * H* gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 2. Dezember 2022, GZ 616 Hv 1/22a 561, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreter der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner, und der Privatbeteiligten, Mag. Höllwarth und Dr. Öhlböck, der Angeklagten * R* und * H* sowie der Verteidiger Mag. Haas, Mag. Lesigang und Mag. Schweitzer zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.
Den Angeklagten * R* und * H* fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurden * R*, * A* und * H* jeweils eines Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB (I und II), die beiden Letztgenannten in Form der Begehung durch Unterlassung (§ 2 StGB), und der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (III) schuldig erkannt.
[2] Danach haben sie in der Nacht zum 26. Juni 2021 in W* * W* unbemerkt sieben Stück MDA hältige Ecstasy Tabletten in ein Getränk gemischt, es ihr zu trinken gegeben, sie sodann an den Oberarmen gepackt und mit der durch die MDA Überdosierung stark beeinträchtigten und wehrlosen W* unter Ausnützung dieses Zustands den vaginalen, R* überdies den analen Geschlechtsverkehr vollzogen, wobei das Opfer schließlich durch die Suchtmittelvergiftung (MDA Intoxikation) erstickte, und dadurch * W*
(I) vorsätzlich getötet, und zwar R*,
(II) durch Unterlassung (§ 2 StGB) vorsätzlich getötet, und zwar A* und H* im einverständlichen Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB), indem sie es nach Erkennen des durch das beschriebene deliktische Verhalten (auch) von ihnen herbeigeführten lebensbedrohlichen Zustands des Opfers vorsätzlich unterließen, zur Abwendung des Todes geeignete Hilfsmaßnahmen, insbesondere die zeitgerechte Verständigung der Rettung, zu ergreifen, obwohl sie zufolge ihres gefahrbegründenden Vorverhaltens rechtlich in besonderer Weise dazu verhalten waren, und
(III) mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs (und einer diesem gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung [ Philipp in WK 2 StGB § 201 Rz 20 und 25]) genötigt, und zwar R*, A* und H* im einverständlichen Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB).
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die aus § 345 (richtig) Abs 1 Z 7 und 9 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten * R*.
[4] Die Rüge stützt den Vorwurf der Anklageüberschreitung (Z 7) darauf, der Schuldspruch wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB sei ohne „Ausdehnung bzw. Modifikation“ der auf „das Delikt des § 201 Abs 4 StGB“ (ersichtlich gemeint: § 201 Abs 2 letzter Fall StGB) gerichteten Anklage erfolgt. Damit verfehlt sie den Bezugspunkt des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes, weil dieser auf die Relation der Anklage zu den an die Geschworenen gestellten und von ihnen bejahten (§§ 330 f StPO) Fragen (§§ 310 ff StPO) abstellt. Sofern das Beschwerdevorbringen in diesem Sinn zu verstehen ist, unterlässt es den insoweit gebotenen Vergleich des angeklagten Lebenssachverhalts mit dem von der in Rede stehenden Frage an die Geschworenen umfassten Lebenssachverhalt (RIS Justiz RS0113142 [T19] und RS0102147 [T2]; Ratz , WK StPO § 281 Rz 502 und § 345 Rz 10; Lewisch , WK StPO § 267 Rz 1). Auf der solcherart maßgebenden Sachverhaltsebene sind die Anklage und die angesprochene (bejahte) Eventualfrage nach dem Verbrechen des Mordes aber deckungsgleich.
[5] Hinzugefügt sei, dass der von der Judikatur bei erheblichen rechtlichen Abweichungen des Urteils von der Anklage im schöffengerichtlichen Verfahren als vom Regelungsbereich des § 281 Abs 1 Z 8 StPO erfasst angesehene Schutzzweck einer § 262 StPO entsprechenden Information (dazu eingehend mwN Ratz , WK StPO § 281 Rz 542 ff) im geschworenengerichtlichen Verfahren gerade durch die – in der Bedeutung des § 345 Abs 1 Z 4 StPO nichtigkeitsbewehrten – Bestimmungen über die Offenlegung der Fragen an die Geschworenen (§ 310 Abs 1 und 3 StPO) erreicht wird.
[6] Ein Mangel des Wahrspruchs im Sinn der Z 9 des § 345 Abs 1 StPO liegt nur dann vor, wenn der Wahrspruch zufolge seiner Undeutlichkeit, seiner Unvollständigkeit oder seines inneren Widerspruchs kein verlässliches Bild von der Meinung der Geschworenen abgibt und damit als Basis für ein Urteil unbrauchbar ist (RIS Justiz RS0101195), was hier nicht zutrifft:
[7] Der Beschwerde zuwider ist die Antwort der Geschworenen nicht undeutlich (Z 9 erster Fall), weil sie klar erkennen lässt, welche subsumtionsrelevanten Umstände die Geschworenen als erwiesen angesehen haben (RIS Justiz RS0100999 und RS0101020 [T7]), indem sie die Frage bejaht haben, ob der Angeklagte R* das Opfer – durch detailliert beschriebene Tathandlungen – vorsätzlich getötet hat. Sprachliche Ungenauigkeiten, die sich daraus ergeben, dass die Geschworenen hinsichtlich der Mittäter von der Begehung durch Unterlassung im Sinn des § 2 StGB ausgegangen sind und sie deswegen die Wortfolge „im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit * A* und * H* als Mittäter (§ 12 StGB)“ aus der Eventualfrage 1 gestrichen haben (§ 330 Abs 2 zweiter Satz StPO; Swiderski , WK StPO § 330 Rz 9 [US 4]), vermögen hieran nichts zu ändern. Auch eine Mehrdeutigkeit der Antwort der Geschworenen (RIS Justiz RS0101020) resultiert daraus nicht.
[8] Eine widersprüchliche Antwort (Z 9 dritter Fall), also die Feststellung von Tatsachen, die einander nach den Gesetzen logischen Denkens ausschließen (RIS Justiz RS0100971 und RS0101003), wird nicht substantiiert behauptet.
[9] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß §§ 344, 288 Abs 1 StPO zu verwerfen.
Zu den Berufungen der Angeklagten R* und H* :
[10] Das Geschworenengericht verhängte (je unter Bedachtnahme auf § 28 Abs 1 StGB, bei H* zudem in Anwendung des § 19 Abs 1 und 4 JGG) jeweils nach § 75 StGB über R* die lebenslange und über H* eine neunzehnjährige Freiheitsstrafe (US 13 f).
[11] Dabei wertete es erschwerend jeweils das Zusammentreffen von zwei Verbrechen (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) und die Tatbegehung unter Anwendung von Gewalt als Volljähriger gegen eine minderjährige Person (§ 33 Abs 2 Z 1 StGB), bei R* ferner drei – die Voraussetzungen des § 39 Abs 1a StGB erfüllende – Vorverurteilungen wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender Taten (§ 33 Abs 1 Z 2 StGB) und den raschen Rückfall (vgl Ebner in WK 2 StGB § 33 Rz 11 sowie RIS Justiz RS0091041 und RS0108868 [T2]). Mildernd wertete es bei R* keinen Umstand, bei H* das Alter unter 21 Jahren (§ 34 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB), den bisher ordentlichen Lebenswandel (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB) und die Tatbegehung durch Unterlassung (§ 34 Abs 1 Z 5 StGB). Zudem nahm es Rücksicht (§ 32 Abs 2 zweiter Satz StGB) auf die „von den Angeklagten durch die Tathandlungen und deren Ausführung demonstrierte gleichgültige – zur Degradierung ihres Opfers zum Objekt führende – Haltung gegenüber der körperlichen Integrität, der sexuellen Selbstbestimmung und insbesondere dem Leben anderer“ (US 19 f).
[12] Den – jeweils eine Herabsetzung des Strafmaßes anstrebenden – Berufungen der Angeklagten R* und H* kommt keine Berechtigung zu.
Zur Berufung des R*:
[13] Der Berufungswerber kritisiert die zu hohe Gewichtung seiner Vorverurteilungen, weil diesen „keine Gewalttaten im engeren Sinne“, sondern „der Verkauf von Suchtmitteln“ zugrunde gelegen sei. Dem ist zu erwidern, dass Anknüpfungspunkt des Erschwerungsgrundes des § 33 Abs 1 Z 2 StGB allein die Verurteilung wegen einer auf der gleichen schädlichen Neigung (§ 71 StGB, zum Begriff eingehend Jerabek/Ropper in WK 2 StGB § 71 Rz 1 ff) beruhenden Tat ist, was auf die im Urteil referierten Verurteilungen wegen Suchtmitteldelinquenz (US 15 f), die sich (auch) gegen das Rechtsgut „Leib und Leben“ richten ( Jerabek/Ropper in WK 2 StGB § 71 Rz 8, RIS Justiz RS0091972 [insbesondere T10]), zutrifft. Fallbezogen kommt hinzu, dass gerade die Tathandlung, die nach dem Wahrspruch letztlich zum Erstickungstod des Opfers führte, die Verabreichung eines Suchtmittels gewesen ist.
[14] Mit dem Einwand, beim Tatbestand des § 75 StGB sei „der dolus specialis wohl die häufigste Form des Vorsatzes, da es dem Täter geradezu darauf ankommt das Opfer zu töten“ (§ 5 Abs 2 StGB), aus welchem Grund es bei dem „nur“ mit bedingtem Vorsatz (§ 5 Abs 1 StGB) handelnden R* nicht der Verhängung der Höchststrafe bedürfe, übersieht der Berufungswerber, dass Grundlage für die Bemessung der Strafe stets die Schuld des jeweiligen Täters ist (§ 32 Abs 1 StGB) und den Maßstab für die Bewertung der Schuld die Modellfigur des mit den rechtlich geschützten Werten verbunden Menschen gibt ( Fabrizy/Michel Kwapinski/Oshidari , StGB 14 § 32 Rz 2).
Zur Berufung des H*:
[15] Dem Rechtsmittelvorbringen zuwider blieb der Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 5 StGB nicht „gänzlich unbeachtet“ (US 20).
[16] Die Behauptung, H* sei unter dem Einfluss des R* gestanden und habe aus Angst vor diesem die Rettung nicht gerufen, weshalb der Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 4 StGB heranzuziehen sei, findet im Urteilssachverhalt keine Deckung.
[17] Unter Berücksichtigung der vom Geschworenengericht lückenlos erfassten und – entgegen der Berufung des H* – zutreffend gewichteten Erschwerungs- und Milderungsgründe (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) sowie der nach den Kriterien des § 32 Abs 2 und 3 StGB relevanten Umstände erweist sich auf der Grundlage der außergewöhnlich hohen Schuld der Angeklagten R* und H* (§ 32 Abs 1 StGB) das vom Geschworenengericht jeweils gefundene Strafmaß einer Herabsetzung nicht zugänglich.
[18] Den Berufungen war daher ein Erfolg zu versagen.
[19] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.