9ObA29/23i – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Thomas Stegmüller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Robert Hauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ing. A*, vertreten durch Celar Senoner Weber Wilfert, Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei A* AG, *, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kündigungsanfechtung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Februar 2023, GZ 7 Ra 89/22t 70, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Nach ständiger Rechtsprechung kann die Beweiswürdigung im Revisionsverfahren nicht überprüft werden, es sei denn, das Berufungsgericht hätte sich mit der Beweisfrage überhaupt nicht auseinandergesetzt (RIS Justiz RS0043371). Das Berufungsgericht ist gehalten, sich mit der Beweisrüge überhaupt auseinanderzusetzen und seine Überlegungen dazu in seinem Urteil festzuhalten (RS0043150). Dabei ist es aber nicht verpflichtet, sich mit jedem einzelnen Argument des Berufungswerbers auseinanderzusetzen (vgl RS0040180; vgl RS0043371 [T18]). Im Ergebnis kommt es also nicht darauf an, dass das Berufungsgericht sich besonders ausführlich mit den beweiswürdigenden Erwägungen auseinandersetzt, sondern darauf, dass es sich mit den Kernargumenten des Rechtsmittelwerbers inhaltlich befasst und sich in logisch nachvollziehbarer Weise dazu äußert ( Lovrek in Fasching/Konecny , Zivilprozessgesetze 3 IV/1, § 503 ZPO Rz 79). Dies ist hier der Fall (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
[2] 2. Eine Aktenwidrigkeit liegt nur bei einem Widerspruch zwischen dem Inhalt eines bestimmten Aktenstücks einerseits und dessen Zugrundelegung und Wiedergabe durch das (Rechtsmittel-)Gericht andererseits vor (RS0043347; RS0007258). Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit kann dagegen nicht als Ersatz für eine im Verfahren dritter Instanz generell unzulässige Beweisrüge herangezogen werden (RS0117019). Letzteres versucht aber die außerordentliche Revision des Klägers , wenn sie behauptet, für bestimmte im Berufungsverfahren angegriffene Feststellungen lägen keine (ausreichenden) Beweisergebnisse vor.
[3] 3.1. In seiner Rechtsrüge weist der Kläger zwar zunächst zutreffend darauf hin, dass sich das Berufungsgericht mit den von ihm in der Berufung geltend gemachten rechtlichen Feststellungsmängeln zur Frage seiner wesentlichen Interessenbeeinträchtigung durch die Kündigung der Beklagten nicht auseinandergesetzt habe. Dies aber ausdrücklich deshalb, weil das Berufungsgericht selbst unter Zugrundelegung der vom Kläger behaupteten wesentlichen Interessenbeeinträchtigung die Sozialwidrigkeit der Kündigung nach einer Interessenabwägung mit dem Vorliegen personenbezogener Kündigungsgründe (§ 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG) verneint hat. Diese Abwägung der Interessen kann naturgemäß nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls erfolgen und stellt regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0051818 [T8]).
[4] 3.2. Nach herrschender Rechtsprechung müssen die in der Person des Arbeitnehmers gelegenen Gründe, die der Arbeitgeber zur Rechtfertigung der Kündigung gemäß § 105 Abs 3 Z 2 lit a ArbVG geltend machen kann, nicht so gravierend sein, dass sie die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über den Kündigungstermin hinaus unzumutbar machen (RS0051888 [T14]) oder gar das Gewicht eines Entlassungsgrundes erreichen (9 ObA 20/19k Pkt 4.). Sie müssen aber die betrieblichen Interessen soweit nachteilig berühren, dass sie bei objektiver Betrachtungsweise einen verständigen Betriebsinhaber zur Kündigung veranlassen würden und die Kündigung als gerechte, dem Sachverhalt adäquate Maßnahme erscheinen lassen. Werden die betrieblichen Interessen in erheblichem Maße berührt, überwiegen sie das (wesentliche) Interesse des Arbeitnehmers an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses (RS0051888).
[5] 3.3. Die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts hält sich im Rahmen des den Gerichten bei einer solchen Abwägung eingeräumten Beurteilungsspielraums. Dabei hat es dem Kläger – ausgehend von dem vom Erstgericht festgestellten und im Berufungsverfahren überprüften – Sachverhalt zusammenfassend zur Last gelegt, dass dieser seine „soziale Unverträglichkeit“, die er bis zum Zeitpunkt der Kündigung weder eingesehen noch eingestellt habe und seine ebenfalls andauernden Minderleistungen, bei denen es in den letzten Jahren vor der Kündigung zu keiner Besserung gekommen sei, eine vom Dienstgeber auf Dauer nicht zu tolerierende und eine die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung rechtfertigende Situation dargestellt hätten. Obwohl die Beklagte jahrelang versucht habe, den Kläger durch zahlreiche Gespräche und die Betrauung mit unterschiedlichen Tätigkeiten in den Arbeitsalltag zu integrieren, habe diese Fürsorge am Verhalten des Klägers nichts geändert. Das fortgesetzte Verhalten des Klägers, bei dem das Ausmaß der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung mit der Dauer zugenommen habe und sich daran bis zum Ausspruch der Kündigung trotz unmissverständlicher Hinweise auf die Notwendigkeit einer Verbesserung nichts geändert habe, ließe bei objektiver Betrachtung eine Weiterbeschäftigung für die Beklagte in einem erheblichen Ausmaß als nachteilig erscheinen, sodass die Kündigung des Klägers als unausweichliche und alternativlose Reaktion des Dienstgebers erscheine.
[6] Dass die Beklagte im Kündigungsanfechtungsverfahren die personenbezogenen Kündigungsgründe konkret behaupten und beweisen muss, ließ das Berufungsgericht bei dieser Beurteilung keineswegs unberücksichtigt. Die Entscheidung 9 ObA 347/97p, die die Revision für ihren gegenteiligen Standpunkt ins Treffen führt, ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar, liegt ihr doch ein gänzlich anderer Sachverhalt zugrunde.
[7] 4. Die Kündigungsanfechtung des Klägers wegen Vorliegens eines verpönten Motivs im Sinne des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG scheitert schon daran, dass der Kläger dieses nicht glaubhaft machen konnte. Vielmehr steht fest, dass der Grund für die Kündigung des Klägers in seiner mangelnden Selbstreflexion, seiner Selbstüberschätzung sowie mangelnder sozialer Verträglichkeit und mangelnder Leistung lag.
[8] Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen.