JudikaturOGH

3Ob219/22k – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Mai 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Exekutionssache des Antragstellers A*, vertreten durch Dr. Sven Rudolf Thorstensen, Rechtsanwalt in Wien, gegen die verpflichtete Partei M*, vertreten durch Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen vorläufiger Kontenpfändung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 28. Oktober 2022, GZ 47 R 244/22p 209, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 22. August 2022, GZ 64 E 634/22y 160, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Die Bekanntgabe des Antragstellers vom 8. Mai 2023 wird zurückgewiesen.

II. Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der erstgerichtliche Beschluss wiederhergestellt wird.

Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens vorläufig selbst zu tragen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens endgültig selbst zu tragen.

Text

Begründung:

zu I. :

[1] Nach ständiger Rechtsprechung steht jeder Partei nur eine einzige Rechtsmittelschrift oder Rechtsmittelgegenschrift zu. Weitere Rechtsmittel (gegen )schriften, Nachträge oder Ergänzungen sind selbst dann unzulässig, wenn sie innerhalb der gesetzlichen Frist angebracht werden (RS0041666). Im Hinblick darauf ist die Eingabe des Antragstellers, mit der er (lange nach Ablauf der Revisionsrekursfrist) sein Revisionsrekursvorbringen ergänzen will, zurückzuweisen.

zu II. :

[2] Der Antragsteller verfügt über einen rechtskräftigen und vollstreckbaren Zahlungstitel gegen die in Malta ansässige Antragsgegnerin (Anbieterin von Online Glücksspiel). Er beantragte die Erlassung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, wobei er ein zu pfändendes Bankkonto in Malta anführte und im Übrigen die Einholung von Kontoinformationen in sämtlichen anderen Mitgliedstaaten beantragte, weil die Antragsgegnerin in der gesamten EU Glücksspiele anbiete. Zur Gefährdung brachte er im Wesentlichen vor, dass die Antragsgegnerin bereits in anderen Verfahren, in denen es rechtskräftige und vollstreckbare Urteile gegen sie gebe, Vermögen beiseite geschafft habe. Konkret habe eine näher bezeichnete Rechtsanwälte OG für drei Mandanten, die Zahlungstitel gegen die Antragsgegnerin erwirkt hätten, beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien Anträge auf Bewilligung der Forderungsexekution eingebracht und als Drittschuldner insbesondere die Dimoco Europe GmbH (im Folgenden: Drittschuldnerin) angeführt. Die Antragsgegnerin betreibe unter anderem ein Online Casino über Handydienstanbieter, wobei die Glücksspiel und Sportwetteinsätze direkt mit der Handyrechnung abgerechnet würden und die Zahlungsabwicklung über die Drittschuldnerin erfolge, die die Spiel- und Wetteinsätze an die Antragsgegnerin transferiere; die Antragsgegnerin habe daher regelmäßig Forderungen gegen die Drittschuldnerin. Letztere habe in ihren Drittschuldnererklärungen angegeben, dass die Antragsgegnerin zwar Guthaben bei ihr zur Verfügung gehabt habe, dieses Vertragsverhältnis jedoch aufgelöst worden sei. Es sei lediglich ein Restguthaben bei der Drittschuldnerin verblieben, mit dem die damals betriebenen Forderungen zur Gänze befriedigt worden seien. Eine Nachfrage bei der Drittschuldnerin habe ergeben, dass nicht diese das Vertragsverhältnis aufgelöst habe, sondern vielmehr die Antragsgegnerin nach Einlangen der ersten Pfändungen; die Drittschuldnerin bedauere dies, weil ein gutes Geschäftsfeld wegfalle, zumal das Konto von der Antragsgegnerin für die gesamten Zahlungsströme in Österreich verwendet worden sei. Hintergrund der Vertragsbeendigung sei gewesen, dass die Antragsgegnerin sich mit einer Vielzahl von Spielerklagen in Österreich auseinandersetzen müsse, die sie alle verloren habe und noch verlieren werde. Der Vorstand der Antragsgegnerin habe sich deshalb entschlossen, die Vertragsbeziehung zur Drittschuldnerin zu beenden, um in weiterer Folge den Gläubigern die Vollstreckung ihrer Forderungen zu erschweren. Durch dieses Vorgehen habe die Antragsgegnerin den Tatbestand des § 162 StGB iVm § 3 VbVG erfüllt; dazu legte der Antragsteller (unter anderem) eine entsprechende Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt vor.

[3] Das Erstgericht erließ den Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung antragsgemäß. Es sei gerichtsnotorisch, dass bereits mehrere eingeleitete Exekutionsverfahren gegen die Antragsgegnerin ins Leere gegangen seien. Weiters sei bereits in anderen Exekutionsverfahren bescheinigt worden, dass die Antragsgegnerin, wenn sie von einer gegen sie geführten Forderungsexekution Kenntnis erlange, das Vertragsverhältnis mit dem betreffenden Drittschuldner aufkündige, um ihr Vermögen dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen. Somit bestehe aufgrund konkreter Handlungen des Schuldners, Vermögenswerte zu verschieben, die Gefahr, dass ohne den Kontopfändungsbeschluss die spätere Vollstreckung der Forderung des Gläubigers unmöglich oder erschwert werde.

[4] Die Antragsgegnerin erhob gegen den Kontenpfändungsbeschluss Widerspruch. Die vom Antragsteller behauptete Verschiebung von Vermögenswerten habe nicht stattgefunden. Im Fall der Vertragsbeendigung mit der Drittschuldnerin habe das Landesgericht Wiener Neustadt zu AZ 15 Bl 69/21i festgestellt, dass es zu keiner Vermögensverschiebung gekommen sei, weshalb der Antrag auf Fortführung des Verfahrens gegen die beiden Geschäftsführer der Antragsgegnerin und gegen diese selbst wegen § 3 VbVG, § 162 Abs 1 und 2 und § 163 StGB abgewiesen worden sei.

[5] Mit Beschluss vom 22. August 2022 gab das Erstgericht dem Widerspruch der Antragsgegnerin gegen die vorläufige Kontenpfändung nicht Folge. Der dem Pfändungsbeschluss zugrunde gelegte Sachverhalt, durch den die erforderliche Gefährdung bewiesen worden sei, sei durch die mit dem Widerspruch vorgelegte Urkunde nicht entkräftet worden. Aus der Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt durch das Verhalten der (Vorstände der) Antragsgegnerin den Tatbestand der §§ 162, 163 StGB nicht als verwirklicht angesehen habe, sei für diese nichts zu gewinnen. Die Staatsanwaltschaft habe die mangelnde subjektive Tatseite nämlich daraus abgeleitet, dass die Antragsgegnerin bei Kündigung des Vertrags mit der Drittschuldnerin nicht das gesamte Vermögen vom Konto behoben, sondern ein Guthaben von 100.000 EUR belassen habe, weshalb es für die dortigen Gläubiger zu keiner Vermögensverringerung gekommen sei. Dieser Umstand könne aber nichts daran ändern, dass die Antragsgegnerin ihre Geschäftsbeziehung mit der Drittschuldnerin eingestellt habe, um weiteren Gläubigerforderungen auf dem österreichischen Rechtsweg zu entgehen. Die von der Antragsgegnerin vorgelegte Entscheidung des Landesgerichts Wiener Neustadt stütze sogar die Behauptung des Antragstellers, dass die Antragsgegnerin Vermögen aus Österreich verbracht habe, um es dem Zugriff der vielen österreichischen Gläubiger zu entziehen bzw den Zugriff darauf erheblich zu erschweren. Der Vorsatz der Antragsgegnerin, keine Zahlungen zu leisten und ihr Vermögen, sofern eines gefunden werde, zu verbringen, resultiere schon daraus, dass eine Vielzahl von Exekutionsverfahren gegen die Antragsgegnerin geführt würden, von denen sie Kenntnis habe, in denen sie aber bisher – trotz vorauszusetzender ausreichender Liquidität – keine Zahlungen geleistet habe.

[6] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragsgegnerin Folge und änderte den angefochtenen Beschluss dahin ab, dass der Pfändungsbeschluss widerrufen wurde. Gegenstand des Rekursverfahrens sei nur die Frage, ob die Voraussetzungen des Art 7 Abs 1 EuKoPfVO gegeben gewesen seien. Aus der vom Antragsteller vorgelegten Stellungnahme der Antragsgegnerin gegenüber dem „First Hall Civil Court“ ergebe sich bloß, dass ein nicht näher spezifizierter, als offenkundig bezeichneter Verstoß gegen den maltesischen ordre public vorgebracht werde, nicht aber, worin genau dieser gelegen sei oder dass es bereits eine rechtskräftige Entscheidung eines maltesischen Gerichts zu diesem Einwand gebe. Damit sei weder vorgebracht noch bescheinigt, dass eine Exekutionsführung gegen die Antragsgegnerin in Malta aussichtslos oder erheblich erschwert wäre. Schon aus diesem Grund sei die Gefahr einer Exekutionsvereitelung oder erschwerung zu verneinen. Aus dem zur Bescheinigung der Verschiebung von Vermögenswerten in Österreich vorgelegten Aktenvermerk über ein Telefonat mit dem Geschäftsführer der Drittschuldnerin ergebe sich bloß, dass das Vertragsverhältnis von der Antragsgegnerin und nicht von der Drittschuldnerin aufgelöst worden sei; hingegen ergebe sich der Grund für die Beendigung des Vertragsverhältnisses daraus nicht. Der zeitliche Zusammenhang mit einer Exekutionsbewilligung bedeute noch nicht, dass diese kausal für die Vertragsauflösung gewesen sei. Es sei auch nicht bescheinigt, dass die Antragsgegnerin mit keinem anderen Unternehmen eine Vertragsbeziehung habe oder sämtliches Vermögen aus Österreich abgezogen habe. Nach dem Inhalt des Beschlusses des Landesgerichts Wiener Neustadt sei auch die objektive Tatseite nicht verwirklicht worden, weil eine Vermögensverringerung bei der Antragsgegnerin nicht eingetreten sei. Insgesamt sei es dem Antragsteller daher nicht gelungen, eine Gefährdung iSd Art 7 Abs 1 EuKoPfVO zu behaupten und zu bescheinigen.

[7] Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.

[8] Mit seinem außerordentlichen Revisionsrekurs begehrt der Antragsteller die Wiederherstellung der erstgerichtlichen Kontopfändung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[9] Die Antragsgegnerin beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsrekursbeantwortung , den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

[10] Der Revisionsrekurs ist wegen einer vom Obersten Gerichtshof aufzugreifenden Fehlbeurteilung des Rekursgerichts zulässig und berechtigt .

Rechtliche Beurteilung

[11] 1. Gemäß Art 7 Abs 1 EuKoPfVO setzt die Erlassung eines Beschlusses zur vorläufigen Kontopfändung (unter anderem) voraus, dass der Gläubiger hinreichende Beweismittel vorgelegt hat, die das Gericht zu der berechtigten Annahme veranlassen, dass eine Sicherungsmaßnahme in Form eines Beschlusses zur vorläufigen Pfändung dringend erforderlich ist, weil eine tatsächliche Gefahr besteht, dass ohne diese Maßnahme die spätere Vollstreckung der Forderung des Gläubigers gegenüber dem Schuldner unmöglich oder sehr erschwert wird.

[12] 2. Der Gläubiger muss die ohne die Kontenpfändung bestehende Gefährdung der späteren Vollstreckung seiner Forderung nicht beweisen, sondern bloß glaubhaft machen, also bescheinigen ( Köllensperger in Schumacher/Köllensperger/Trenker , EuKoPfVO Art 7 Rz 4 mwN). Wenngleich es nach dem Wortlaut des Art 7 Abs 1 EuKoPfVO nicht darauf ankommt, dass die drohende Verschlechterung der Vollstreckungsaussichten in einem dem Schuldner zurechenbaren Verhalten begründet sein muss, wird doch aus ErwG 14, Abs 3 deutlich, dass auch die EuKoPfVO – wie § 379 Abs 2 Z 1 EO – einen subjektiven Maßstab anlegt; als Beispiele für eine Gefahr werden nämlich ausschließlich bestimmte Verhaltensweisen des Schuldners genannt, konkret, dass er seine Vermögenswerte aufbraucht, verschleiert oder vernichtet oder aber unter Wert oder in einem unüblichen Ausmaß oder durch unübliche Handlungen veräußert, noch bevor der Gläubiger die Vollstreckung der bestehenden oder einer künftigen gerichtlichen Entscheidung erwirken kann (vgl Köllensperger in Schumacher/Köllensperger/Trenker Art 7 EuKoPfVO Rz 11).

[13] 3. Es kann deshalb im vorliegenden Fall die Rechtsprechung zu § 379 Abs 2 Z 1 EO herangezogen werden. Danach genügt ein rein passives Verhalten des Antragsgegners wie das unbegründete Nichtzahlen fälliger Forderungen, für die ein Exekutionstitel besteht, für die Annahme einer Gefährdung nicht (vgl RS0005400). Die Veräußerung des Vermögens des Schuldners rechtfertigt nur dann die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, wenn zu besorgen ist, dass aus dem Vermögen des Schuldners unberechtigterweise einige Gläubiger begünstigt werden oder dass der Schuldner beabsichtigt, den Erlös dem Zugriff des Gläubigers zu entziehen (RS0005390). Der bloße Umstand, dass der Schuldner ein Kontoguthaben von einem Mitgliedstaat in einen anderen transferiert, reicht für sich allein noch nicht aus (vgl Höllwerth in Deixler Hübner § 422 EO Rz 7 mwN).

[14] 4. Mit seiner Argumentation, aus dem vom Antragsteller vorgelegten Aktenvermerk über das Telefonat vom 22. Februar 2021 ergebe sich der Grund für die Beendigung des Vertragsverhältnisses zwischen der Antragsgegnerin und der Drittschuldnerin nicht, ignoriert das Rekursgericht die Feststellung des Erstgerichts im Kontenpfändungsbeschluss, wonach die Antragsgegnerin, wenn sie von einer gegen sie geführten Forderungsexekution Kenntnis erlange, das Vertragsverhältnis mit dem betreffenden Drittschuldner aufkündige, um ihr Vermögen dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen. Damit hat der Antragsteller aber die für die Erlassung des Kontenpfändungsbeschlusses notwendige Gefährdung hinreichend bescheinigt. Das bescheinigte systematische, von Gläubigerschädigungsabsicht getragene Vorgehen der Antragsgegnerin ist nämlich mit dem bloßen Transfer eines Kontoguthabens in einen anderen Mitgliedstaat keinesfalls vergleichbar. Darauf, ob eine Exekutionsführung gegen die Antragsgegnerin in Malta prinzipiell möglich wäre, kommt es hier nicht an, weil nach dem bescheinigten Sachverhalt davon auszugehen ist, dass die Antragsgegnerin auch in diesem Fall Maßnahmen setzen würde, um dem Antragsteller den Zugriff auf ihr Vermögen zumindest erheblich zu erschweren.

[15] 5. Auch die von der Antragsgegnerin in ihrem Widerspruch – und ihr folgend vom Rekursgericht – hervorgehobene Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen die Antragsgegnerin bzw die Abweisung des Fortführungsantrags ist in diesem Zusammenhang nicht von entscheidender Bedeutung. Relevant ist nämlich nicht, ob die bescheinigte Vorgangsweise der Antragsgegnerin in früheren Exekutionsverfahren einen Straftatbestand (in objektiver und subjektiver Hinsicht) erfüllt hat, sondern nur, ob die Gefahr besteht, dass die Vollstreckung der titulierten Forderung des Antragstellers ohne die Kontenpfändung gefährdet ist. Dies ist, wie oben dargelegt, hier als bescheinigt anzusehen.

[16] 6. In Stattgebung des berechtigten Revisionsrekurses ist daher die erstgerichtliche Entscheidung wiederherzustellen.

[17] 7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 422 Abs 1 iVm § 393 Abs 1 EO. Gemäß § 422 Abs 1 EO sind auf einen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung subsidiär die Bestimmungen über einstweilige Verfügungen anzuwenden. Gemäß § 393 Abs 1 EO werden einstweilige Verfügungen stets auf Kosten der antragstellenden Partei getroffen, unbeschadet eines ihr zustehenden Anspruchs auf Ersatz dieser Kosten. Ein Kostenzuspruch an den obsiegenden Antragsteller scheidet daher derzeit aus (vgl RS0005671). Dem Gegner ist die Abwehr des Sicherungsantrags nicht gelungen; aufgrund seiner Erfolglosigkeit hat er gemäß § 402 EO sowie §§ 40 und 50 ZPO keinen Kostenersatzanspruch (1 Ob 147/97t mwN).

Rückverweise