JudikaturOGH

4Nc6/23d – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Mai 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka als weitere Richter in der Pflegschaftssache des Minderjährigen A*, geboren am * 2012, AZ 1 Ps 19/23f des Bezirksgerichts Völkermarkt, infolge Vorlage zur Entscheidung nach § 111 Abs 2 JN den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Akt wird dem Bezirksgericht Völkermarkt zurückgestellt.

Text

Begründung:

[1] Die Staatsanwaltschaft Klagenfurt trat von der Verfolgung des Minderjährigen, der gemeinsam mit seiner Mutter mit einem gefälschten Pass reiste, gemäß § 190 Z 1 StPO aus dem Grund des § 4 Abs 1 JGG zurück. Laut Melderegister war der Minderjährige vom 31. 12. 2022 bis 2. 1. 2023 in einer Unterkunft in St. Georgen im Attergau im Sprengel des Bezirksgerichts Vöcklabruck gemeldet. Dennoch sandte die Staatsanwaltschaft Klagenfurt die Benachrichtigung nach § 33 Abs 2 JGG (Verständigung von der Beendigung des Strafverfahrens) – offenbar versehentlich – an das Bezirksgericht Völkermarkt.

[2] Das Bezirksgericht Völkermarkt fasste am 3. 2. 2023 den Beschluss (ON 4), wonach es zur „weiteren“ Führung des Verfahrens nicht zuständig sei und überwies das Verfahren an das Bezirksgericht Vöcklabruck, weil der Minderjährige dort seinen Aufenthalt habe und stellte seinen Beschluss dem Bezirksgericht Vöcklabruck zu.

[3] Das Bezirksgericht Vöcklabruck verweigerte die Übernahme unter Hinweis auf den fehlenden Aufenthalt „in Vöcklabruck“ und retournierte den Akt an das Bezirksgericht Völkermarkt. Dieses stellte seinen Übertragungsbeschluss wiederum nicht den Parteien zu, sondern legte den Akt sofort dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN vor.

[4] Der Oberste Gerichtshof trug mit Beschluss vom 16. 3. 2023 dem Bezirksgericht Völkermarkt die Zustellung des Beschlusses auf (4 Nc 6/23d). In der Folge wurde der Über trag ungsbeschluss zugestellt und erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.

[5] Das Bezirksgericht Völkermarkt legte den Akt neuerlich mit dem Ersuchen um Entscheidung nach § 111 Abs 2 JN vor.

Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Rechtliche Beurteilung

[6] Im vorliegenden Fall handelt es sich in Wahrheit nicht um eine Zuständigkeitsübertragung nach § 111 Abs 1 JN, weil diese voraussetzt, dass ein Pflegschaftsverfahren beim übertragenden Gericht anhängig geworden ist. Voraussetzung dafür ist, dass die Zuständigkeit dieses Gerichts rite begründet wurde (vgl Fucik in Fasching/Konecny ³ § 111 JN Rz 1). Dies ist hier jedoch nicht der Fall: Die Anzeige (Abschlussbericht) der Staatsanwaltschaft Klagenfurt wurde offenbar nur irrtümlich an das Bezirksgericht Völkermarkt (statt an das gemeinte Bezirksgericht Vöcklabruck) übermittelt.

[7] Damit handelt es sich beim Beschluss ON 4 rechtlich nicht um die Übertragung eines Pflegschaftsverfahrens, sondern um einen Überweisungsbeschluss nach § 44 JN. Dieser Beschluss ist zwischenzeitig in Rechtskraft erwachsen. Ein rechtskräftiger Überweisungsbeschluss bindet aber das Adressatgericht (überwiesene Gericht, RS0046315; RS0002439). Das Bezirksgericht Vöcklabruck, das die seiner Ansicht nach bestehende Unzuständigkeit auch nicht beschlussmäßig aussprach, hat demnach das weitere Verfahren zu führen. Für eine Beschlussfassung des Obersten Gerichtshofs besteht daher weder nach § 111 Abs 2 JN noch nach § 47 JN Raum.

Rückverweise