6Ob17/23b – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer Zeni Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S* B*, vertreten durch Claus Berthold Rechtsanwaltspartnerschaft KG in Mistelbach, gegen die beklagten Parteien 1. Mag. F* L*, 2. Dr. B* G*, beide *, vertreten durch Mag. Gunter Österreicher, Rechtsanwalt in Hollabrunn, wegen 11.667,67 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 22. November 2022, GZ 20 R 172/22t 51, mit dem der Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Hollabrunn vom 5. April 2022, GZ 2 C 1021/20g 42, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
D em Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin begehrt von den Beklagten zur ungeteilten Hand die Zahlung von Benützungsentgelt bzw Schadenersatz für die Benützung einer im Miteigentum der Klägerin und des Erstbeklagten gestandenen Liegenschaft. Der Erstbeklagte (ihr mittlerweile geschiedener Ehemann) und die Zweitbeklagte (dessen Lebensgefährtin) hätten die Liegenschaft vereinbarungswidrig in einem Zeitraum genutzt, in dem der Klägerin die Nutzung alleine zugestanden wäre.
[2] Das Erstgericht erklärte das bisherige Verfahren hinsichtlich des Erstbeklagten mit Beschluss für nichtig, sprach aus, dass der streitige Rechtsweg unzulässig sei und überwies die Rechtssache betreffend den Erstbeklagten in das außerstreitige Verfahren. Betreffend die Zweitbeklagte wies das Erstgericht das Klagebegehren mit Urteil ab. Beide Entscheidungen erfolgten in einer gemeinsamen Ausfertigung.
[3] Das Rekurs- und Berufungsgericht änderte die erstinstanzliche Entscheidung betreffend die Zweitbeklagte dahin ab, dass es der Klage im Umfang von 8.347,11 EUR sA stattgab, die Entscheidung im Übrigen aufhob und dem Erstgericht insoweit eine neuerliche Entscheidung auftrug. Den – erkennbar mit der Berufung gegen die Klagsabweisung gegenüber der Zweitbeklagten verbundenen – Rekurs der Klägerin gegen den die Rechtssache betreffend den Erstbeklagten in das außerstreitige Verfahren überweisenden Beschluss wies es als verspätet zurück. Zwar stehe einer Partei grundsätzlich die längere Rechtsmittelfrist offen, wenn in eine Ausfertigung ein Urteil und ein Beschluss aufgenommen würden, die bei selbständiger Anfechtung unterschiedlichen Rechtsmittelfristen unterlägen. Die Beklagten bildeten aber keine einheitliche Streitpartei. Im Verhältnis zum Erstbeklagten stünde der Klägerin ausschließlich das Rechtsmittel des Rekurses zu, nicht aber ein solches, das ihr eine längere Rechtsmittelfrist eröffnet hätte. Der Rekurs hätte daher binnen 14 Tagen erhoben werden müssen.
Rechtliche Beurteilung
[4] Der gegen die Zurückweisung ihres Rekurses gerichtete Rekurs der Klägerin ist zulässig; er ist aber nicht berechtigt .
[5] 1.1. Zutreffend hat bereits das Rekursgericht darauf hingewiesen, dass die Überweisung der Rechtssache vom streitigen in das außerstreitige Verfahren der Zurückweisung einer Klage gleichzuhalten ist, wenn mit der Überweisung der Rechtssache eine Veränderung der Anspruchsgrundlage und der anzuwendenden materiellen Bestimmungen verbunden ist (6 Ob 54/22t [ErwGr 1.2.]; RS0103854 [T3, T4]; RS0106813 [T4, T5]). Das ist hier der Fall, zumal bei Unterstellung der Klage unter § 838a ABGB die §§ 825 ff ABGB und nicht die zur Begründung der Klage herangezogenen bereicherungs oder schadenersatzrechtlichen Bestimmungen zur Anwendung gelangen.
[6] 1. 2. Richtet sich ein Rechtsmittel gegen einen Zurückweisungsbeschluss, der im anhängigen Verfahren auf die abschließende Verweigerung des Rechtsschutzes nach einer Klage hinausläuft, ist für die Beurteilung dessen Zulässigkeit § 519 Abs 1 Z 1 ZPO analog anzuwenden (5 Ob 225/21f [ErwGr 1.1]; 6 Ob 236/17z [ErwGr 1.4.]; RS0043802 [T4]). Das Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof ist in einem solchen Fall ein „Vollrekurs“ und ungeachtet der Wertgrenze des § 528 Abs 2 Z 1 ZPO oder des Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zulässig (5 Ob 225/21f [ErwGr 1.1]; Musger in Fasching/Konecny ³ IV/1 § 519 ZPO Rz 72).
[7] Auch der Rekurs der Klägerin ist daher ohne Rücksicht auf das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage zulässig.
2 . Die Beklagten bilden keine einheitliche Streitpartei:
[8] 2.1. Die notwendige Streitgenossenschaft, deren Wesen darin besteht, dass der Klageanspruch nach der Natur des Rechtsverhältnisses oder nach ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung nur von allen an einem Rechtsverhältnis Beteiligten oder gegen sie erhoben werden kann, liegt im Zweifel nur vor und führt zur Klageabweisung, wenn wegen Nichterfassung aller Teilhaber die Gefahr unlösbarer Verwicklungen durch verschiedene Entscheidungen entsteht, was nach den Umständen des besonderen Falls zu beurteilen ist (RS0035479). Eine einheitliche Streitpartei (notwendige Streitgenossenschaft) ist also dann gegeben, wenn die Gemeinschaftlichkeit der rechtserzeugenden Tatsachen zwangsläufig zu einer Einheitlichkeit der Entscheidung führen muss und eine unterschiedliche Beurteilung für oder gegen die einzelnen Streitgenossen unmöglich ist (RS0035496 [T5]). Sie liegt daher dann nicht vor, wenn trotz Gemeinsamkeit des rechtserzeugenden Sachverhalts keine rechtliche Notwendigkeit zu einer in jedem Fall einheitlichen Entscheidung gegeben ist, abweichende Entscheidungen also nicht zu unlösbaren Verwicklungen führen (RS0035473). Die Frage, ob eine einheitliche Streitpartei vorliegt, ist immer nach der materiellen Beurteilung des Streitgegenstands zu beantworten (RS0035468).
[9] 2.2. Zwar bilden mehrere Mitmieter eine Rechtsgemeinschaft bürgerlichen Rechts nach § 825 ABGB und damit im Kündigungs- oder Auflösungsprozess des gemeinsam begründeten Mietverhältnisses eine notwendige Streitgenossenschaft nach § 14 ZPO (RS0013160; RS0013416 [T6, T19]). Mag aber auch eine Solidarverpflichtung von Mitmietern aus dem Bestandvertrag auf Zahlung des Mietzinses bestehen, so schafft dies allein noch keine einheitliche Streitpartei (vgl RS0035606); die auf Zahlung des Mietzinses in Anspruch genommenen Mitmieter bilden daher keine notwendige Streitgenossenschaft (4 Ob 204/11w [ErwGr 2.]; RS0035606 [T5]).
[10] 2.3. Der Hinweis auf die erörterte Judikatur zu Mitmietern stützt den Standpunkt der Klägerin daher nicht. Gründe, weshalb eine unterschiedliche Beurteilung betreffend das behauptete solidarisch geschuldete Benützungsentgelt – anders als bei Mitmietern – für oder gegen die einzelnen Beklagten unmöglich sei oder zu unlösbaren Verwicklungen führen würde, legt der Rekurs nicht dar und sind auch sonst nicht erkennbar. Es entspricht vielmehr ständiger Judikatur, dass eine Solidarverpflichtung, sei es aus einem Vertragsverhältnis oder aus dem Gesetz, grundsätzlich keine einheitliche Streitpartei schafft (7 Ob 17/10s [ErwGr 6.1.]; RS0035606).
[11] Zutreffend hat das Rekursgericht daher das Vorliegen einer einheitlichen Streitpartei verneint.
[12] 3.1. Der Partei steht nach der Rechtsprechung im Allgemeinen für die Anfechtung einer Entscheidung die längere Rechtsmittelfrist offen, wenn in eine Ausfertigung mehrere Beschlüsse oder ein Urteil und ein Beschluss aufgenommen werden, die bei selbständiger Anfechtung unterschiedlichen Rechtsmittelfristen unterliegen (RS0002105).
[13] 3.2. Bei Anwendung dieses Grundsatzes kommt es jedoch auf die konkrete Situation der Partei an, die ein Rechtsmittel erhebt. Die Klägerin hat die beiden Beklagten zwar aus dem Titel der Solidarhaftung in Anspruch genommen, sodass eine subjektive Klagenhäufung (mehrere Personen treten als Kläger oder Beklagte auf) vorlag; eine einheitliche Streitpartei iSd § 14 ZPO, bei der über ein einheitliches Rechtsverhältnis entschieden wird, sodass aus diesem Grund die Personenmehrheit als einheitliche Partei aufgefasst wird, war aber eben nicht zu beurteilen. Dass die Klägerin gegen die Abweisung ihres Begehrens gegenüber der Zweit beklagten innerhalb der Frist von vier Wochen eine Berufung erheben konnte, blieb für ihr Prozessrechtsverhältnis zum Ers tbeklagten daher ohne Belang. Da ihre Klage gegen den Erst beklagten in das außerstreitige Verfahren überwiesen wurde, stand ihr im Verhältnis zu dieser Gegenpartei ausschließlich das Rechtsmittel des Rekurses und nicht auch ein solches, das ihr eine längere Rechtsmittelfrist eröffnet hätte, zur Verfügung (vgl 5 Ob 225/21f [ErwGr 3.1. ff]; idS auch 5 Ob 54/15z; 6 Ob 15/17z). Die Rechtsmittelfrist gegen diesen Beschluss des Erstgerichts betrug gemäß § 521 Abs 1 ZPO 14 Tage. Die Zustellung der Entscheidung an den Klagevertreter erfolgte am 7. 4. 2022. Das am 4. 5. 2022 erhobene Rechtsmittel war damit, was die Bekämpfung der Über weisung der Rechtssache gegen den Erstbe klagten in das außerstreitige Verfahren anlangte, verspätet. Das Gericht zweiter Instanz hat die Berufung der Klägerin insoweit nicht nur zutreffend als Rekurs gewertet, sondern diesen auch zu Recht als verspätet zurückgewiesen.
[14] 3.3. Dem Rekurs ist damit ein Erfolg zu versagen.
[15] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Der Erstbeklagte beteiligte sich nicht am Rekursverfahren vor dem Obersten Gerichtshof.