10ObS139/22x – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ. Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber, sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Elisabeth Schmied (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei D* S*, vertreten durch Dr. Alexander Hiersche, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Ausgleichszulage, infolge der Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 15. September 2022, GZ 10 Rs 22/22m 62, womit das Urteil des Arbeits und Sozialgerichts Wien vom 1. Februar 2022, GZ 25 Cgs 60/20a 56, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
A. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art 7 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (Unionsbürger RL), dahin auszulegen, dass ein wirtschaftlich nicht aktiver Unionsbürger keinen Anspruch auf eine Sozialhilfeleistung im Sinn der Unionsbürger RL hat, wenn er sich im Aufnahmemitgliedstaat länger als drei Monate, aber kürzer als fünf Jahre aufhält und sein Aufenthaltsrecht nur aus seiner Eigenschaft als Ehegatte (Art 2 Z 2 Buchstabe a Unionsbürger RL) einer im Aufnahmestaat unselbständig beschäftigten Unionsbürgerin (Wanderarbeitnehmerin) ableitet (Art 7 Abs 1 Buchstabe d Unionsbürger RL), aber selbst nicht über ein originäres Aufenthaltsrecht nach Art 7 Abs 1 Buchstabe a, b oder c Unionsbürger RL verfügt?
B. Das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a GOG ausgesetzt.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgegenstand und Sachverhalt:
[1] Herr DS ist rumänischer Staatsangehöriger. Er ist mit einer rumänischen Staatsangehörigen verheiratet und hat einen minderjährigen Sohn. Herr DS ist mit seiner Ehegattin im Sommer 2017 gemeinsam nach Österreich gekommen, wo er seit 8. 8. 2017 dauerhaft lebt. Als Grund für die Übersiedelung nennt Herr DS gesundheitliche Probleme, um in Österreich eine bessere medizinische Versorgung zu erhalten. Er bezieht seit über zehn Jahren eine rumänische Pension (in der Höhe von umgerechnet rund 50 EUR monatlich netto). Zuletzt war Herr DS arbeitssuchend. Er bezieht in Österreich bedarfsorientierte Mindestsicherung.
[2] Seine Ehegattin war von 3. 7. 2017 bis 2. 4. 2020 in Österreich unselbständig erwerbstätig und verdiente zwischen 1.200 EUR und 1.500 EUR netto. Sie war sodann bis 13. 7. 2020 arbeitslos (ohne Bezug), arbeitete von 14. 7. 2020 bis 1. 10. 2020 wiederum als Reinigungskraft bei ähnlicher Entlohnung und bezog von 13. 11. 2020 bis 20. 12. 2020 Arbeitslosengeld. Von 17. 12. 2020 bis 1. 4. 2021 war sie geringfügig beschäftigt. Seit 1. 7. 2021 arbeitet sie wieder bei ihrem ersten Arbeitgeber.
[3] Herr DS bewohnte zunächst mit seiner Ehegattin und dem Sohn eine Mietwohnung, die Ehegattin zahlte die Miete von monatlich rund 420 EUR monatlich. Seit Herbst 2020 lebt das Ehepaar getrennt, ein Scheidungsverfahren ist anhängig, aber nicht abgeschlossen. Seit 25. 10. 2021 wohnt Herr DS in einer anderen Mietwohnung, seit Dezember 2021 kann er die monatliche Miete von 380 EUR nicht zahlen. Herrn DS ist kein nennenswerter Beitrag zum Unterhalt des Kindes möglich. Seine Ehefrau gibt ihm kein Geld aus ihrem Einkommen.
II. Unionsrechtliche Grundlagen:
[4] 1) Unionsbürger RL:
„ Artikel 7. Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate
(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er
a) Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder
b) für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen oder
c) …, oder
d) ein Familienangehöriger ist, der den Unionsbürger, der die Voraussetzungen des Buchstabens a), b) oder c) erfüllt, begleitet oder ihm nachzieht.
(2) …
Artikel 24 Gleichbehandlung
(1) Vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen genießt jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrags die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats. Das Recht auf Gleichbehandlung erstreckt sich auch auf Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und das Recht auf Aufenthalt oder das Recht auf Daueraufenthalt genießen. …“
III. Nationales Recht:
[5] 1) Allgemeines Sozialversicherungsgesetz ( ASVG , BGBl 1955/189):
„ Voraussetzungen für den Anspruch auf Ausgleichszulage
§ 292. (1) Erreicht die Pension zuzüglich eines aus übrigen Einkünften des Pensionsberechtigten erwachsenden Nettoeinkommens und der gemäß § 294 zu berücksichtigenden Beträge nicht die Höhe des für ihn geltenden Richtsatzes (§ 293), so hat der Pensionsberechtigte, solange er seinen rechtmäßigen, gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Abschnittes Anspruch auf eine Ausgleichszulage zur Pension.
(2) Bei Feststellung des Anspruches nach Abs 1 ist auch das gesamte Nettoeinkommen des (der) im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten (Ehegattin) oder eingetragenen Partners (eingetragenen Partnerin) unter Bedachtnahme auf § 294 Abs 4 zu berücksichtigen. …“
IV. Vorbringen und Anträge der Parteien:
[6] Herr DS beantragte am 6. 12. 2017 bei der beklagten Pensionsversicherungsanstalt (PVA) die Gewährung einer Ausgleichszulage zu seiner Pension. Diesen Antrag lehnte die PVA mit Bescheid vom 28. 4. 2020 mit der Begründung ab, dass Herr DS nicht über ausreichende Existenzmittel verfüge, um für die Dauer seines beabsichtigten Aufenthalts in Österreich weder Sozialleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen zu müssen. Daher liege kein rechtmäßiger Aufenthalt im Inland vor.
[7] Mit seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Klage begehrt Herr DS die Zuerkennung einer Ausgleichszulage im gesetzlichen Ausmaß. Die Rechtmäßigkeit seines Aufenthalts sei in dem Umstand begründet, dass seine Ehe aufrecht bestehe und seine Ehegattin unselbständig erwerbstätig sei. Die PVA wandte dagegen ein, dass der wirtschaftlich nicht aktive Kläger keineswegs unter nur vorübergehenden finanziellen Schwierigkeiten leide und bereits bei der Begründung des Wohnsitzes in Österreich absehbar gewesen sei, dass er Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen müsse. Die begehrte Ausgleichszulage würde seine rumänische Pensionsleistung um mehr als das Dreißigfache überschreiten, ohne dass er jemals selbst einen finanziellen Beitrag zum österreichischen Sozialsystem geleistet hätte.
V. Bisheriges Verfahren:
[8] Das Gericht erster Instanz (Arbeits und Sozialgericht Wien) wies das Klagebegehren ab, weil das Familieneinkommen insgesamt zur Sicherung der Existenz nicht ausreiche, sodass es dem Kläger an einem rechtmäßigen Aufenthalt im Inland fehle. Das Gericht zweiter Instanz (Oberlandesgericht Wien) bestätigte dieses Urteil. Es vertrat die Rechtsansicht, dass die Unionsbürger Richtlinie nicht in jedem Fall einen uneingeschränkten Zugang des Ehegatten eines Wanderarbeitnehmers zu den Sozialleistungen des Aufnahmemitgliedstaats garantiere. Aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls sei ein Aufenthaltsrecht des Klägers als Ehegatte mit einem Anspruch auf Ausgleichszulage zu verneinen, weil dies (rechtsmissbräuchlich) eine eklatant unangemessene Inanspruchnahme österreichischer Sozialhilfeleistungen bedeuten würde. Gegen diese Entscheidung erhob Herr DS Revision an den Obersten Gerichtshof. Er beantragt, seiner Klage stattzugeben. Die PVA beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
VI. Begründung der Vorlagefrage:
Rechtliche Beurteilung
[9] 1. § 292 Abs 1 ASVG macht den Anspruch auf Ausgleichszulage davon abhängig, dass der Pensionsberechtigte „seinen rechtmäßigen, gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat“. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat die österreichische Ausgleichszulage in der Entscheidung C 160/02, Skalka [ECLI:EU:C:2004:269] als „beitragsunabhängige Sonderleistung” im Sinn des Art 70 VO (EG) 883/2004 (und nicht als Sozialhilfeleistung im Sinn von „sozialer und medizinischer Fürsorge“) qualifiziert. Die Ausgleichszulage wurde – so wie die deutschen Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II („Hartz IV“) – gemäß Art 70 Abs 2 Buchstabe c VO (EG) 883/2004 in den Katalog in Anhang X dieser Verordnung eingetragen. Nach der Rechtsprechung des EuGH schließt die Einstufung einer Leistung wie der österreichischen Ausgleichszulage als „beitragsunabhängige Sonderleistung“ im Sinn des Art 70 VO (EG) 883/2004 jedoch nicht aus, dass diese Leistung gleichzeitig auch unter den Begriff der Sozialleistungen im Sinn der Unionsbürger RL fallen kann, sodass deren Art 24 zur Anwendung kommt (C 140/12, Brey [ECLI:EU:C:2013:565]; C 333/13, Dano [ECLI:EU:C:2014:2358]; C 67/14, Alimanovic [ECLI:EU:C:2015:597]; C 299/14, García Nieto ua [ECLI:EU:C:2016:114]).
[10] 2. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist der Unionsbürgerstatus dazu bestimmt, der grundlegende Status der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten zu sein. Jeder Unionsbürger kann sich daher in allen Situationen, die in den sachlichen Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, auf das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit (Art 18 AEUV) berufen, das auch in Art 4 VO (EG) 883/2004 und in Art 24 Unionsbürger RL konkretisiert wird. Diese Situationen umfassen etwa die Ausübung des von Art 21 AEUV gewährten Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, vorbehaltlich der Beschränkungen und Bedingungen, die ua auch in der Unionsbürger RL festgelegt sind. Diese Richtlinie hat hinsichtlich des Aufenthaltsrechts im Aufnahmemitgliedstaat ein abgestuftes System vorgesehen, das im Recht auf Daueraufenthalt mündet (vgl EuGH C 424/10, C 425/10, Ziolkowski und Szeja [ECLI:EU:C:2011:866] Rn 38; zu all dem jüngst EuGH C 411/20, Familienkasse Niedersachsen Bremen , [ECLI:EU:C:2022:602] Rn 28 ff).
[11] 3. Erstens beschränkt Art 6 Unionsbürger RL für Aufenthalte bis zu drei Monaten die für das Aufenthaltsrecht geltenden Bedingungen oder Formalitäten auf das Erfordernis des Besitzes eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses. Art 14 Abs 1 dieser Richtlinie erhält das Aufenthaltsrecht für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen aufrecht, solange sie die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen (C 411/20, Rn 31). Zweitens ist bei einem Aufenthalt von mehr als drei Monaten die Ausübung des Aufenthaltsrechts von den Voraussetzungen des Art 7 Abs 1 Unionsbürger RL abhängig, und nach Art 14 Abs 2 dieser Richtlinie steht Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen dieses Recht nur so lange zu, wie sie diese Voraussetzungen erfüllen. Insbesondere dem Erwägungsgrund 10 der Unionsbürger RL ist zu entnehmen, dass diese Voraussetzungen ua verhindern sollen, dass diese Personen die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats unangemessen in Anspruch nehmen (C 424/10, C 425/10, Rn 39; C 181/19, Jobcenter Krefeld [ECLI:EU:C:2020:794] Rn 66; C 709/20, The Department for Communities in Northern Ireland [ECLI:EU:C:2021:602] Rn 76; differenzierend dazu Schlussanträge der Generalanwältin Ćapeta, C 488/21, Chief Appeals Officer ua [ECLI:EU:C:2023:115] Rn 118 ff). Drittens erwirbt jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig (EuGH C 147/11, C 148/11, Czop und Punakova [ECLI:EU:C:2012:538]) fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, ein Daueraufenthaltsrecht, das keinen Bedingungen mehr unterworfen ist (vgl Erwägungsgrund 18 der Unionsbürger RL).
[12] 4.1 Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung, die – soweit überblickbar – Fälle des Art 7 Abs 1 Buchstabe b in Verbindung mit Art 2 Z 2 Buchstaben c und d Unionsbürger RL betrafen, stellt sich für den Obersten Gerichtshof die Frage nach der Auslegung des Art 7 Abs 1 iVm Art 2 Z 2 Buchstabe a der Unionsbürger RL, die dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen ist. In dem noch nicht entschiedenen Verfahren C 488/21, Chief Appeals Officer ua , geht es zwar ebenfalls um ein von einer Arbeitnehmerin (Art 7 Abs 1 Buchstabe a Unionsbürger RL) abgeleitetes Aufenthaltsrecht, das allerdings eine Verwandte in gerader aufsteigender Linie (Art 2 Nr 2 Buchstabe d Unionsbürger RL) geltend macht. In diesem Fall hängt die Eigenschaft als „Familienangehörige“ auch nach dem Wortlaut des Art 2 Nr 2 Buchstabe d Unionsbürger RL davon ab, dass der Verwandten Unterhalt gewährt wird (bzw sie von der Wanderarbeitnehmerin „abhängig“ ist, siehe dazu Schlussanträge der Generalanwältin Ćapeta, die auf die verschiedenen Sprachfassungen dieser Bestimmung verweist, C 488/21, Rn 53).
[13] 4.2 Der Kläger weist zu Recht darauf hin, dass er nach dem Wortlaut der Art 2 Nr 2 Buchstabe a und Art 7 Abs 1 Buchstabe a Unionsbürger RL als Ehegatte ohne weitere Voraussetzungen – insbesondere auch ohne eine „Abhängigkeit“ im Sinn der tatsächlichen Gewährung von Unterhalt – Familienangehöriger seiner Gattin, die als Wanderarbeitnehmerin in Österreich tätig ist, anzusehen ist (Schlussanträge des Generalanwalts Mazák, C 310/08, Ibrahim und Secretary of State for the Home Department [ECLI:EU:C:2009:641] Rn 41). Wird dem Kläger die Ausgleichszulage verweigert, so ist seine Ehegattin überdies als Wanderarbeitnehmerin allenfalls schlechter gestellt als eine österreichische Arbeitnehmerin, deren Ehegatte eine Ausgleichszulage beanspruchen kann, was eine Verletzung von Art 7 der Verordnung (EU) Nr 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union bedeuten könnte (vgl Schlussanträge der Generalanwältin Ćapeta, C 488/21, Rn 92).
[14] 4.3 Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass der EuGH in der dargestellten Rechtsprechung unter Berufung auf den Erwägungsgrund 10 der Unionsbürger RL das Kriterium, wonach Personen die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen sollen, auch für einen Aufenthalt von mehr als drei Monaten bejaht und sich dabei nur allgemein auf die Voraussetzungen des „Art 7 Abs 1 der Unionsbürger RL“ bezogen hat (C 333/13, Dano , Rn 71). Die Unionsbürger RL verfolgt als Hauptziel, die Freizügigkeit der Unionsbürger zu fördern; (nur) zweitrangig daneben verfolgt sie das Ziel des Schutzes des Familienlebens des Unionsbürgers und der Integration seiner Familie im Aufnahmestaat (C 930/19, Belgischer Staat [ECLI:EU:C:2021:657] Rn 82). Auch der Kläger müsste sich eigentlich – nach dem primären Ziel der Unionsbürger RL – als nichterwerbstätiger Unionsbürger auf ein originäres Aufenthaltsrecht gemäß Art 7 Abs 1 Buchstabe b Unionsbürger RL stützen: Ein solches unionsrechtliches Aufenthaltsrecht würde jedoch im vorliegenden Fall am unstrittigen Fehlen ausreichender Existenzmittel des Klägers scheitern. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob sich der Kläger in einer solchen Situation auf ein von seiner Ehegattin bloß abgeleitetes Aufenthaltsrecht als Familienangehöriger stützen kann, obwohl es nach den Feststellungen – auch in Bezug auf das gesamte Familieneinkommen – an ausreichenden Existenzmitteln fehlt. Bejahte man dies, käme dem Einwand der Beklagten Berechtigung zu, dass ein Unionsbürger in der Situation des Klägers während des Aufenthalts von über drei bis zu fünf Jahren so gestellt wäre, als hätte er bereits das Recht auf Daueraufenthalt erworben. Dies stünde jedoch nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs in einem Spannungsverhältnis zur dargestellten Rechtsprechung des EuGH, wonach von jedem wandernden Unionsbürger verlangt wird, die Sozialsysteme des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen zu belasten (vgl Erwägungsgründe 10 und 16 der RL 2004/38/EG).
VII. Aussetzung des Verfahrens:
[15] Der Ausspruch über die Aussetzung des Verfahrens beruht auf § 90a Abs 1 GOG.