6Ob105/22t – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer Zeni Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei N* GmbH, *, vertreten durch Dr. Keyvan Rastegar, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Mag. B* F*, 2. O* GmbH, *, beide vertreten durch Dr. Astrid Wagner, Rechtsanwältin in Wien, wegen Unterlassung, Wiederherstellung und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 31. März 2022, GZ 4 R 137/21b 53, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Ist ein Rechtsanwalt nicht in Ausübung seines Berufs als Rechtsanwalt und Parteienvertreter tätig, sondern handelt er in „eigener Sache“, so ist ein in diesem Zusammenhang gesetztes Verhalten grundsätzlich nicht unter dem Aspekt der Verletzung von Berufspflichten zu sehen (RS0114273 [T1]). Nach gefestigter Rechtsprechung besteht daher keine Verschwiegenheitspflicht, wo der Rechtsanwalt ihm Anvertrautes vorbringen muss, um seine eigenen Honorarforderungen gegen den Mandanten durchzusetzen (RS0114273; vgl 10 Ob 91/00f). Dies gilt gleichermaßen für die Abwehr behaupteter Schadenersatzansprüche (vgl 5 Ob 67/10d; 24 Ds 1/20m; zur Verteidigung beim ärztlichen Kunstfehlervorwurf 7 Ob 50/12x). Wenn der Rechtsanwalt selbst einer strafbaren Handlung bezichtigt wird, ist er ebenso wenig an das Berufsgeheimnis gebunden (RS0116764). Diese Ausnahmefälle werden mit dem Argument des rechtfertigenden Notstands und dem Grundsatz der Wahrnehmung berechtigter eigener Interessen begründet (vgl 10 Ob 91/00f; 5 Ob 67/10d). Jede Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht ist allerdings restriktiv auszulegen, weshalb das zulässige Vorbringen auf das unumgänglich Notwendige beschränkt ist (6 Ob 170/22a [ErwGr 3.1.]; RS0055168 [T2]; RS0116764); dies gilt auch für Äußerungen in einem gerichtlichen Verfahren (6 Ob 170/22a; 6 Ob 224/20i).
[2] 2.1. Ob diese Rechtsprechungsgrundsätze auf die Verschwiegenheitspflicht der hier Beklagten (die Erstbeklagte ist und war Alleingesellschafterin und Alleingeschäftsführerin der Zweitbeklagten), wobei die Erstbeklagte für die Klägerin als (ehemalige) Bilanzbuchhalterin und (ehemalige) Geschäftsführerin tätig war, anzuwenden sind, wie die Revision meint, kann im vorliegenden Fall dahinstehen.
[3] 2.2. Denn wie die Revision selbst ausführt, knüpfen die von ihr ins Treffen geführten Verschwiegenheitsverpflichtungen nach § V Abs 1 des Geschäftsführervertrags, nach § 25 GmbHG, nach Punkt 4. der Berufsgrundsätze und Standesregeln der WKO für Unternehmensberatung, Buchhaltung und IT, nach § 39 BilBuG und nach §§ 1, 2 der Bilanzbuchhaltungsberufe-Ausübungsrichtlinie im Ergebnis an eine Kenntniserlangung im Rahmen der Berufsausübung an. Mit ihrer Argumentation, die Beklagten hätten mit den Informationen, deren Weitergabe die Klägerin ihnen mit der vorliegenden Klage untersagen will, in verschiedenen gerichtlichen Verfahren während ihrer Tätigkeit erworbenes „Insiderwissen“ zu Lasten der Klägerin weitergegeben, von dem sie ohne ihre (vormalige) Vertrauensposition nicht gewusst haben konnten, geht die Revision aber nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Danach erlangten die Beklagten dieses Wissen – mit Ausnahme jenes über die Steuerprüfung beim ehemaligen Geschäftsführer der Klägerin – erst nach Beendigung ihrer Tätigkeit für die Klägerin.
[4] 2.3. Auf die Ansicht des Berufungsgerichts, die inkriminierten Äußerungen zu einer stattgefundenen Steuerprüfung beim ehemaligen Geschäftsführer der Klägerin seien nicht mehr zu behandeln, weil die behauptete Abtretung dessen daraus allenfalls bestehender Ansprüche an die Klägerin nicht festgestellt wurde, geht die außerordentliche Revision inhaltlich nicht ein und versäumt es damit auch insoweit, eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO darzulegen.