7Ob177/22p – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R* OG, *, vertreten durch 1. Mag. Dr. Maria Lisa Aidin, Rechtsanwältin in Salzburg, und 2. Mag. Thomas Klein, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei R* E*, vertreten durch Dr. Gerhard Halbreiner, Rechtsanwalt in Graz, wegen Feststellung, in eventu Unterlassung, über den Rekurs und die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen den Beschluss und das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 11. August 2022, GZ 7 R 12/22x 187, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 501,91 EUR (darin enthalten 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
II. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Text
Begründung:
[1] Mag. A* P* und Mag. E* R* erwarben in einem Zwangsversteigerungsverfahren durch Zuschlag vom 2. Oktober 2008 je zur Hälfte Eigentum an der Liegenschaft EZ * (in der Folge Liegenschaft). Auf dem Hälfteanteil der Mag. E* R* war aufgrund des Übergabsvertrags vom 19. Februar 2013 das Eigentumsrecht für die Klägerin vorgemerkt. Dieses vorgemerkte Eigentum wurde am 6. August 2015 gründbücherlich an die Klägerin übertragen.
[2] Die Klägerin begehrte mit der am 7. Juni 2013 eingebrachten Klage vom Beklagten, in Hinkunft eine Verwaltungstätigkeit und die Betretung des auf der Liegenschaft befindlichen Hauses zu Verwaltungszwecken zu unterlassen. Darüber hinaus erhob sie am 6. April 2016 ein Eventualbegehren auf Unterlassung der eigenmächtigen Ausdehnung des Auftragsverhältnisses und des Setzens von eigenmächtigen Verwaltungshandlungen durch den Beklagten.
[3] Der Beklagte beantragte Klagsabweisung.
[4] Am 6. Dezember 2018 wurde das Verfahren durch die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Klägerin mit Wirkung vom 7. Dezember 2018 unterbrochen. Über Aufforderung des Erstgerichts erklärte der Insolvenzverwalter mit Schriftsatz vom 3. September 2019, den Eintritt in den Rechtsstreit abzulehnen, worauf das Verfahren über Antrag der Klägerin mit Beschluss vom 19. September 2019 fortgesetzt wurde.
[5] In der Tagsatzung am 24. August 2021 erhob die Klägerin als nunmehriges Hauptbegehren die Feststellung der Haftung des Beklagten für Schäden aus seiner unrichtigen Anmaßung einer Vollmachtserteilung für die ordentliche und außerordentliche Verwaltung der Liegenschaft sowie als erstes Eventualbegehren die Feststellung der Haftung des Beklagten für Schäden aus seiner unrichtigen Anmaßung einer Vollmachtserteilung für die ordentliche Verwaltung von 17. Mai 2013 bis 10. März 2019 und für die außerordentliche Verwaltung der Liegenschaft. Die Unterlassungsbegehren hielt sie mit einer Modifikation aufrecht.
[6] Der Beklagte sprach sich gegen diese Klagsänderung aus und bestritt im Übrigen auch das geänderte Klagebegehren.
[7] Das Erstgericht ließ die Klagsänderung zu und wies sämtliche Klagebegehren ab. Das Haupt und das erste Eventualbegehren sei mangels Feststellungsinteresse nicht berechtigt. Die Unterlassungsbegehren seien nicht berechtigt, weil der Beklagte nach den Feststellungen Hausverwalter der Liegenschaft sei.
[8] Das Berufungsgericht hob aus Anlass der von der Klägerin erhobenen Berufung das angefochtene Urteil, soweit es das Hauptbegehren und das erste Eventualbegehren abwies, als nichtig auf, erklärte das darauf entfallende Verfahren für nichtig und wies die Klage insoweit zurück. Bezüglich der weiteren Eventualbegehren bestätigte es die Entscheidung des Erstgerichts. § 6 IO ordne eine Prozesssperre an. Der Schuldner könne weder Aktiv noch Passivprozesse mit Massebezug führen. Erfasst seien davon sowohl neu eingeleitete als auch bereits anhängige Prozesse. Dies gelte auch für eine Ausdehnung des Klagebegehrens durch die Schuldnerin, mit der ein völlig neues Begehren geltend gemacht werde , das von dem gemäß § 8 IO ausgeschiedenen Anspruch nicht umfasst sei . Insofern bestehe daher mangelnde Prozessfähigkeit der Klägerin. Da der Insovenzverwalter die Klagsführung nicht genehmigt habe, sei die erstgerichtliche Entscheidung in Bezug auf das Hauptbegehren und das erste Eventualbegehren sowie das darauf gerichtete Verfahren nichtig und die Klage insoweit zurückzuweisen.
[9] Gegen diese Entscheidung richtet sich der rechtzeitige Rekurs der Klägerin mit dem (erkennbaren) Antrag, den Beschluss des Rekursgerichts ersatzlos zu beheben.
[10] In der Rekursbeantwortung beantragt der Beklagte, dem Rechtsmittel der Gegenseite den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
[11] Der Rekurs ist nicht berechtigt.
[12] 1. Gemäß § 519 Abs 1 Z 1 Fall 1 ZPO ist ein Beschluss des Berufungsgerichts, mit dem es ein Prozesshindernis, über dessen Vorliegen das Erstgericht – wie hier – weder ausdrücklich noch in den Gründen abgesprochen hatte, erstmals wahrnimmt und aus diesem Grund die Klage – allenfalls auch bloß teilweise oder nur in Bezug auf ein Eventualbegehren (vgl Musger in Fasching/Konecny 3 § 519 ZPO Rz 33 mwN) – zurückweist, mit Vollrekurs – also ohne die Zulässigkeitsvoraussetzungen gemäß § 502 Abs 1 und § 528 Abs 2 ZPO – anfechtbar (RS0116348; RS0043861).
[13] 2. Lehnt der Insolvenzverwalter den Eintritt in einen Rechtsstreit ab, in dem der Schuldner Kläger ist, so scheidet der Anspruch aus der Insolvenzmasse aus (§ 8 Abs 1 IO). Der Streitgegenstand scheidet dabei endgültig und unwiderruflich aus und wird somit insolvenzfrei ( Jelinek in Koller/Lovrek/Spitzer § 8 IO Rz 25; Schubert in Konecny/Schubert , § 8 KO Rz 29). D ie zum Zeitpunkt der Erklärung des Insolvenzverwalters, nicht in den Rechtsstreit einzutreten (vgl RS0064061 ), anhängigen Unterlassungsbegehren sind daher aus der Insolvenzmasse ausgeschieden. Dies gilt aber entgegen der Ansicht der Klägerin nicht für die rund zwei Jahre später erhobenen Begehren auf Feststellung der Haftung des Beklagten für Schäden aufgrund der Verwaltung der Liegenschaft. Wird nämlich das Klagebegehren nachträglich um ein Eventualbegehren erweitert, so stellt dies jedenfalls dann eine Klageänderung im Sinn von § 235 ZPO dar, wenn das Eventualbegehren – wie hier – auf einen neuen Rechtsgrund gestützt und zu seiner Begründung auch neue rechtserzeugende Tatsachen vorgetragen werden ( RS0039393 [T5, T7]). Da die neu geltend gemachten Schadenersatzansprüche zweifellos das zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen betreffen und der Insolvenzverwalter ausdrücklich erklärt hat, die diesbezügliche Klagsführung nicht zu genehmigen (vgl RS0035434 [T7]), hat das Berufungsgericht zutreffend den eine Nichtigkeit begründenden Mangel der Verfügungsbefugnis der Klägerin (§ 3 IO) bejaht (vgl RS0035434 ; RS0035205 ; RS0041970 ; Nunner Krautgasser in Fasching/Konecny 3 § 1 ZPO Rz 27; Schubert in Konecny/Schubert § 6 KO Rz 23).
[14] 3. Die Klägerin macht nun in ihrem Rekurs geltend, das Berufungsgericht hätte ihr Gelegenheit geben müssen, darzulegen, dass der Insolvenzverwalter ohnehin schon sämtliche vermögensrechtlichen Ansprüche gegen den Beklagten gemäß § 119 Abs 5 IO ausgeschieden habe. Selbst wenn man das von der Klägerin erstmals im Rekurs zu § 119 Abs 5 IO erstattete Vorbringen nicht als Verstoß gegen das Neuerungsverbot wertet (vgl RS0041812 [T10]), wäre für sie nichts gewonnen. Sie behauptet nämlich, der Insolvenzverwalter habe sämtliche vermögensrechtliche Ansprüche gegen den Beklagten ausgeschieden. § 119 Abs 5 IO verlangt aber für die Wirksamkeit der Ausscheidung zwingend einen Beschluss des Gläubigersausschusses und einen Genehmigungsbeschluss des Insolvenzgerichts ( Jelinek in Koller/Lovrek/Spitzer § 119 IO Rz 54 mwN; Riel in Konecny/Schubert § 119 KO Rz 61 ). Dass das Insolvenzgericht die Ausscheidung aufgrund eines solchen Beschlusses genehmigt hätte, bringt die Klägerin aber gar nicht vor. Das diesbezügliche Vorbringen der Klägerin ist daher schon per se nicht geeignet, eine Unrichtigkeit des berufungsgerichtlichen Beschlusses aufzuzeigen. Die weitere Argumentation der Klägerin, wonach der „Massverwalter in Geschäftsfällen in höchstpersönlichen Angelegenheiten gemäß § 6 Abs 3 IO, die jedoch in den Kostenfolgen massewirksam seien und in Angelegenheiten, die den § 14 EO übersteigen, nicht vertrete, woraus rechtlich folge, dass bei Übersteigen des Aktivvermögens eines Insolvenzschuldners der Summe der Insolvenz und Masseforderungen, die Hyperocha freies Vermögen des Insolvenzschuldners darstelle“, ist nicht geeignet eine andere Entscheidung herbeizuführen.
[15] 4. Der Rekurs der Klägerin ist damit erfolglos.
[16] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Da die Klägerin die den Gegenstand des Rekursverfahrens bildenden Feststellungsansprüche nicht bewertet hat, gilt der Zweifelsstreitwert gemäß § 56 Abs 2 JN, sodass dem Beklagten Kosten auf Basis von 5.000 EUR zustehen.