1Ob35/23p – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. A*, 2. A*, beide vertreten durch Dr. Harald Lettner, LL.M., ua, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Marktgemeinde S*, vertreten durch die Häupl Rechtsanwälte GmbH in Nußdorf am Attersee, wegen 21.306,66 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Teilzwischenurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 21. Dezember 2022, GZ 4 R 157/22v-14, mit dem das Teilzwischenurteil des Landesgerichts Wels vom 31. August 2022, GZ 3 Cg 17/22t-9, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 1.552,07 EUR (darin 258,68 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Der Bürgermeister der beklagten Marktgemeinde erteilte zwei Bauwerbern mit Bescheid vom 24. 1. 2019 die Baubewilligung für das – soweit hier von Interesse –Bauvorhaben „Umbau und Erweiterung des bestehenden Rinderstalls mit darunterliegendem Güllekeller“. Unter anderem sollte nördlich des Rinderstalls ein eingeschoßiger Zubau errichtet werden, wofür die nördliche Außenwand des Stalls vollständig abgetragen werden sollte. Im Zuge der Bauausführung wurde aber nicht nur diese Wand abgetragen, sondern auch die Dachkonstruktion des Altbaus vollständig entfernt, die östliche und die südliche Außenwand des Altbaus vollständig abgetragen und (letztere um 23 cm nach außen versetzt) neu errichtet sowie die westliche Außenwand teilweise abgetragen und neu errichtet. Diese – in den Einreichplänen nicht projektierten – Abbrüche erfolgten im Herbst/Winter 2019. Mit Eingabe vom 31. 10. 2019 zeigten die Bauwerber an, dass das Bauvorhaben inzwischen im selbstständig benutzbaren Teil „Erweiterung des bestehenden Rinderstalls mit darunterliegendem Güllekeller“ fertiggestellt sei. Nachdem den Bauwerbern mit Mandatsbescheid vom 9. 1. 2020 die Fortsetzung der Bauausführung bezogen auf die Errichtung der Dachkonstruktion untersagt worden war, beantragten sie am 10. 1. 2020 die Erteilung der Baubewilligung für das Bauvorhaben „Abänderungsplan zum ursprünglich genehmigten Projekt: Umbau und Erweiterung des bestehenden Rinderstalls“. Mit Bescheid des Bürgermeisters vom 3. 3. 2020 wurde das Bauvorhaben „Geringfügige Abänderung zum ursprünglich genehmigten Projekt sowie die Neuerrichtung der Heubergehalle“ bewilligt. Über Beschwerde der Kläger, die je zur Hälfte Eigentümer einer von den Baugrundstücken weniger als 50 m entfernten Liegenschaft sind (§ 31 Abs 1 OÖ BauO 1994), wies das OÖ LVwG den Antrag der Bauwerber in der Folge ab. Dabei ging es davon aus, dass die Baubewilligung für den Rinderstall durch den nahezu vollständigen Abbruch untergegangen sei. Mangels eines konsentierten Baus (Rinderstall), zu dem der Zubau erfolgen könnte, könne die auf Zu- und Umbau beschränkte Baubewilligung vom 24. 1. 2019 rechtmäßig nicht konsumiert werden. Im Ergebnis könne daher weder die beantragte Abweichung vom „ursprünglich genehmigten Projekt“ noch ein Zu- oder Umbau bewilligt werden. Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision der Bauwerber wies der VwGH gemäß § 34 Abs 1 VwGG zurück.
[2] Die Kläger begehren aus dem Titel der Amtshaftung den Ersatz der ihnen in den Verfahren vor dem LVwG und VwGH entstandenen Kosten, der Kosten für Privatgutachten und Zeitversäumnis sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für derzeit noch nicht bekannte Schäden. Die Rechtsansicht des Bürgermeisters der Beklagten zur Frage des Abrisses des den Grundkonsens darstellenden Gebäudes und zur Frage des Untergangs des Grundkonsenses sei unvertretbar gewesen.
[3] Die Beklagte wandte insbesondere ein, der Bürgermeister sei vertretbar davon ausgegangen, dass durch den Baubewilligungsbescheid vom 24. 1. 2019 und die Fertigstellung der Erweiterung des Rinderstalls (Fertigstellungsanzeige vom 31. 10. 2019) ein neuer rechtmäßiger Bestand gegeben gewesen sei, zu dem er die Zu- und Umbaumaßnahmen mit 3. 3. 2020 bewilligt habe.
[4] Das Erstgericht sprach mit Teilzwischenurteil aus, dass das Leistungsbegehren von 21.306,66 EUR dem Grunde nach zu Recht bestehe. Die Rechtsansicht des Bürgermeisters sei nicht mehr als vertretbar zu beurteilen, weil ein Zubau ohne Altbau – als rechtmäßiger Bestand – dem Wortlaut des Gesetzes widerspreche. Es sei auch nicht nachvollziehbar, inwiefern ein neu errichteter Zubau eines Rinderstalls einen Grundkonsens für die Bewilligung des Abänderungsplans (auch) für den Umbau des Rinderstalls nach dessen weitestgehendem Abriss darstellen könnte.
[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und deren Begründung und ließ die ordentliche Revision nachträglich zu, weil der Haftungsmaßstab für Amtshaftungsansprüche in Bezug auf die Vertretbarkeit des Handelns bzw Unterlassens des Bürgermeisters der Beklagten allenfalls überspannt worden sei.
Rechtliche Beurteilung
[6] Die von den Klägern beantwortete Revision der Beklagten ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig .
[7] 1. Amtshaftung für ein rechtswidriges Verhalten tritt nur dann ein, wenn es schuldhaft ist (RS0049955). Eine bei pflichtgemäßer Überlegung aller Umstände vertretbare Rechtsanwendung mag zwar rechtswidrig sein, stellt aber kein Verschulden im Sinne dieser Gesetzesbestimmung dar (RS0050216). Die Prüfung der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung als Verschuldenselement ist ganz von den Umständen des Einzelfalls abhängig und entzieht sich deshalb regelmäßig einer Beurteilung als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO. Eine solche liegt im Allgemeinen nur dann vor, wenn eine gravierende Fehlbeurteilung in der Einstufung einer Rechtsansicht als (un-)vertretbar durch die Instanzen im Amtshaftungsverfahren erfolgte (RS0110837; RS0049955 [T10]).
[8] 2. Das ist hier nicht der Fall:
[9] 2.1. Die Beklagte räumt ein, dass die Bewilligung eines Zu- und Umbaus nach ständiger Rechtsprechung des VwGH das Bestehen eines konsentierten Baus bzw die Rechtmäßigkeit des Baubestands, an den zugebaut oder der umgebaut werden soll, voraussetzt (vgl etwa VwGH 94/06/0101 [zur Stmk BauO]; 2013/05/0223 [zur OÖ BauO]; Ra 2019/05/0291 [zur OÖ BauO] uva). Sie stellt auch nicht in Abrede, dass nach § 38 Abs 7 OÖ BauO 1994 durch den nahezu vollständigen Abbruch des ursprünglichen Gebäudes der bestehende Konsens untergegangen ist (VwGH 2006/05/0139 [zur OÖ BauO] mwN) und die Entscheidung ihres Bürgermeisters vom 3. 3. 2020 daher unrichtig war. Sie ist nur weiterhin der Meinung, der Bürgermeister sei vertretbar davon ausgegangen, das von der Teilfertigstellungsanzeige vom 31. 10. 2019 („Erweiterung des bestehenden Rinderstalls mit darunterliegendem Güllekeller“) betroffene „Gebäude“ sei ein solcher rechtmäßiger Baubestand, zu dem der (neue) Rinderstall als Zu- und Umbau bewilligt werden könne.
[10] 2.2. Die Ansicht der Beklagten, der Bürgermeister habe keine Anhaltspunkte dafür gehabt, dass der Konsens des Gebäudes untergegangen sei, steht mit den Feststellungen nicht in Einklang. Demnach brachten die Kläger in der (über den Antrag der Bauwerber vom 10. 1. 2020 geführten) Bauverhandlung am 28. 1. 2020 und noch einmal in ihrem E-Mail an die Beklagte vom 28. 2. 2020 vor, dass „der bestehende Rinderstall fast zur Gänze abgebrochen und neu errichtet“ worden sei und die Baubewilligung vom [gemeint] 24. 1. 2019 mit dem Abbruch erloschen sei. Der Bürgermeister war daher sehr wohl gehalten, dieser Argumentation nachzugehen, auch wenn der Amtssachverständige die Einwendungen der Kläger im Hinblick auf das Ausmaß des Abbruchs in seinem Gutachten nicht behandelt haben sollte.
[11] 2.3. Dass die Vorinstanzen die Rechtsauffassung, zu der der Bürgermeister gelangt sein will, als unvertretbar eingestuft haben, ist keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung:
[12] Die Behauptung, der Bürgermeister habe die Erweiterung des Rinderstalls als eigenständiges Gebäude (das sind nach § 2 Abs 2 OÖ BauO 1994 iVm § 2 Z 12 OÖ BauTG 2013 „überdeckte, allseits oder überwiegend umschlossene Bauwerke, die von Personen betreten werden können“) angesehen, ist nicht recht nachvollziehbar, weil ja nach den Projektunterlagen der Anschluss an den Stall durch vollständigen Abbruch der nördlichen Stallmauer erfolgen sollte.
[13] Entscheidend ist aber, dass die Rechtsansicht des Bürgermeisters einem Rechtsmissbrauch der Normunterworfenen Tür und Tor öffnen würde, weil durch die – im Zuge eines einzigen Baubewilligungs- bzw Projektgenehmigungsverfahrens erfolgte – Errichtung eines (bewilligten) Zubaus zu einem bereits bestehenden Gebäude, den darauf folgenden Abriss des Altbestands und dessen Neuerrichtung sowie durch die anschließende Bewilligung dieses Neubaus als Zubau (zum eigentlichen Zubau) die Rechtsfolge des § 38 Abs 7 OÖ BauO 1994 und die Voraussetzungen für die Errichtung eines Neubaus umgangen werden könnten. Die Errichtung eines Zubaus iSd § 2 Abs 2 OÖ BauO 1994 iVm § 2 Z 32 OÖ BauTG 2013 unmittelbar vor dem Abbruch des bestehenden (und dadurch zu vergrößernden) Gebäudes könnte so das durch den Abbruch bedingte Erlöschen des Grundkonsenses verhindern, was dem Gesetz aber nicht unterstellt werden kann. Wie die Außerachtlassung dieses Aspekts eine pflichtgemäße Überlegung aller Umstände im Sinne der Judikatur zur Vertretbarkeit begründen könnte, legt die Revision nicht dar.
[14] Sie ist daher zurückzuweisen.
[15] 3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Kläger haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. In diesem Fall findet auch bei einem (Teil-)Zwischenurteil kein Kostenvorbehalt statt (RS0123222 [T10]; die teilweise gegenteilige ältere Rechtsprechung [RS0117737] ist überholt). Die Revisionsbeantwortung war allerdings nur auf einer Bemessungsgrundlage von 21.306,66 EUR zu honorieren.