JudikaturOGH

3Ob205/22a – OGH Entscheidung

Entscheidung
02. Februar 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F*, vertreten durch Dr. Helfried Kriegel, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei G*, vertreten durch Mag. Wolfgang Weilguni, Rechtsanwalt in Wien, wegen 10.100 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Teil- und Zwischenurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 29. Juni 2022, GZ 35 R 37/22h-18, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Liesing vom 19. November 2021, GZ 29 C 14/21g 14, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Gegenstand des Rechtsstreits sind Schadenersatzansprüche des Klägers nach einem Sturz auf einem Parkplatz in der Tiefgarage in einem Haus auf der mehrheitlich im Eigentum der Beklagten stehenden Liegenschaft.

[2] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zur Frage zu, ob die Nichtabsicherung und Nichtkennzeichnung einer an der Wand verlaufenden (zwischen 18 und 20 cm breiten und 3 bis 6 cm tiefen, nicht abgedeckten) „Verdunstungsrinne“ in der Tiefgarage als grob sorgfaltswidrig erachtet werden könne, auch wenn es bis zum Unfallereignis jährliche Begutachtungen und keine behördlichen Beanstandungen gegeben habe.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO):

[4] 1. Dass Rechtsprechung zu einem (genau) vergleichbaren Sachverhalt fehlt, begründet noch nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage (RS0122015 [T4]).

[5] 2.1 Nach § 1319a Abs 1 Satz 1 ABGB haftet der Halter eines Weges den Benützern, wenn durch seinen mangelhaften Zustand ein Schaden herbeigeführt wird und dem Halter selbst oder seinen Leuten grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz vorzuwerfen ist.

[6] 2.2 Im Allgemeinen ist grobe Fahrlässigkeit anzunehmen, wenn der Halter die Gefährlichkeit einer bestimmten Stelle des Weges kannte und eine zumutbare Behebung unterblieb (2 Ob 16/21y mwN; RS0030171 [T4]). Welche Maßnahmen im Einzelnen zu ergreifen sind, richtet sich gemäß § 1319a Abs 2 letzter Satz ABGB danach, was nach der Art des Weges, besonders nach seiner Widmung, seiner Situierung in der Natur und das daraus resultierende Maß seiner vernünftigerweise zu erwartenden Benutzung, dem Verkehrsbedürfnis, angemessen und objektiv zumutbar ist (RS0087605 [T2]; RS0087607 [T6]; RS0030180 [T1]). Die Beurteilung eines konkreten Verhaltens als grob fahrlässig stellt regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage dar (RS0030171 [T7, T11]).

[7] 2.3 Die – aufgrund der konkreten Situation im Einzelfall zu beurteilende – Frage der Mangelhaftigkeit eines Weges steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den konkreten Verkehrsbedürfnissen und der objektiven Zumutbarkeit entsprechender Maßnahmen für den Wegehalter. Im Bezug auf öffentliche Gehsteige hat der Senat bereits ausgesprochen, dass allgemeine, generelle Aussagen zum (gerade noch) tolerierbaren Ausmaß von Bodenunebenheiten nicht getroffen werden können (3 Ob 47/19m).

[8] 3.1 Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten hat das Berufungsgericht keine „Feststellung“ des Erstgerichts dahin übernommen, dass sich „nach der Lebenserfahrung“ in Parkhäusern häufig Verdunstungsrinnen befinden würden. Das Erstgericht argumentierte lediglich in seiner rechtlichen Beurteilung, dass nach der Rechtsprechung von jedem Fußgänger verlangt werde, vor die eigenen Füße zu schauen (RS0027447), und dass sich der Kläger hier vorwerfen lassen müsse, beim Ziehen des Einkaufswagens den Blick nicht in Gehrichtung und nicht auf den Boden vor ihm gerichtet zu haben. Das Berufungsgericht wertete dieses Verhalten des Klägers ohnehin und nicht mehr strittig als gleichteiliges Mitverschulden am Sturz.

[9] 3.2 Die Verdunstungsrinne ist in dem Bereich, in dem sie drei Parkplätze weiter von der Wand entfernt verläuft, mit einem Metallgitter abgedeckt. Ein plausibler Grund dafür, weshalb nicht im gesamten Verlauf der Rinne (und daher auch an der Stelle des Sturzes) ein solches Gitter vorhanden ist, ist nicht zu erkennen. Der Hinweis der Beklagten auf (bau-)behördliche Vorgaben oder Bewilligungen und fehlende Beanstandungen im Rahmen von Überprüfungen allein vermag die Notwendigkeit einer solch einfachen Sicherheitsmaßnahme nicht in Zweifel zu ziehen. Insbesondere in Anbetracht der Ausmaße der für den Sturz des Klägers ursächlichen Rinne (zwischen 18 und 20 cm breit und 3 bis 6 cm tief) ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass im konkreten Fall der Beklagten grobe Fahrlässigkeit im Sinn des § 1319a Abs 1 ABGB vorzuwerfen sei, nicht korrekturbedürftig.

[10] 4. Da der Kläger auf die Unzulässigkeit der gegnerischen Revision hingewiesen hat, sind ihm die Kosten seiner Revisionsbeantwortung entsprechend den §§ 41 und 50 ZPO zu ersetzen.

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