JudikaturOGH

3Ob204/22d – OGH Entscheidung

Entscheidung
02. Februar 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Mag. Korn, Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei R* GmbH Co Eins KG, *, vertreten durch Grama Schwaighofer Vondrak Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte und Gegnerin der gefährdeten Partei Ö* Aktiengesellschaft, *, vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH Co KG in Wien, wegen Widerrufs des Abrufs einer Bankgarantie (hier: Erlassung einer einstweiligen Verfügung), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden und gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 18. Oktober 2022, GZ 3 R 159/22g 22, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 78 Abs 1 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin und gefährdete Partei (folgend: Klägerin) als Bieterin räumte der Beklagten und Gegnerin der gefährdeten Partei (folgend: Beklagte) als Verkäuferin im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung zum Kauf eines Grundstücks entsprechend den dafür vorgesehenen Bedingungen „zur Sicherung sämtlicher Rechtsansprüche, welche der Verkäuferin (...) aus oder im Zusammenhang mit einem oder mehreren in diesem Verkaufsverfahren eingereichten verbindlichen Anboten erwachsen,“ eine Bankgarantie ein. Nach einem verbindlichen Anbot der Klägerin erklärte diese „ihren Rücktritt vom Kaufvertrag“ und begehrte Schadenersatz von der Beklagten. Die Beklagte zog daraufhin ihrerseits wegen vermeintlich bestehender Schadenersatzansprüche gegen die Klägerin die Bankgarantie.

[2] Die Klägerin begehrt von der Beklagten in der Hauptsache den Widerruf des Abrufs einer Bankgarantie und beantragte die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, mit welcher der Bank bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das Klagebegehren die Auszahlung an die Beklagte untersagt werde.

[3] Das Rekursgericht änderte die Entscheidung des Erstgerichts dahin ab, dass es den Antrag auf Erlassung des Zahlungsverbots abwies, weil von einem rechtsmissbräuchlichen Abruf der Garantie durch die Beklagte nicht ausgegangen werden könne.

Rechtliche Beurteilung

[4] In ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs dagegen zeigt die Klägerin keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[5] 1. Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen eine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme einer Bankgarantie vorliegt, existieren bereits zahlreiche höchstgerichtliche Entscheidungen (vgl RS0017997; RS0018006; RS0017042). Ein Missbrauchsfall liegt demnach dann vor, wenn das Nichtbestehen des Anspruchs des Begünstigten im Valutaverhältnis zur Zeit der Inanspruchnahme der Garantie evident erwiesen ist. Hält sich der Begünstigte hingegen aus vertretbaren Gründen für berechtigt, kann ihm kein arglistiges oder rechtsmissbräuchliches Verhalten vorgeworfen werden (RS0017997; vgl auch RS0018006, RS0016950). Der Rechtsmissbrauch muss von dem die Leistung verweigernden Garanten eindeutig und evident (liquid) nachgewiesen werden (vgl RS0018027 [T20] = RS0017989 [T2]).

[6] 2. Die Beurteilung der genannten Voraussetzungen, bei der nicht zuletzt der jeweilige Wissensstand und die Beweislage (insbesondere) im Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Garantie eine maßgebliche Rolle spielen (vgl RS0017042), ist eine Frage des Einzelfalls und begründet daher regelmäßig keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RS0017997 [T5]). Wenn das Rekursgericht zum Ergebnis kam, dass angesichts der von der Beklagten behaupteten Schadenersatzansprüche nicht davon gesprochen werden könne, dass die Beklagte die Bankgarantie „evident unberechtigt“ in Anspruch genommen habe, dann ist dies im vorliegenden Einzelfall nicht zu beanstanden.

[7] 3. In höchstgerichtlicher Rechtsprechung ist bereits geklärt, dass bei Verletzung vorvertraglicher Sorgfaltspflichten zwar grundsätzlich nur der Vertrauensschaden (negatives Vertragsinteresse) zu ersetzen ist. Ausnahmsweise gebührt aber der Ersatz des Erfüllungsinteresses, wenn ohne die Pflichtverletzung der Vertrag zustande gekommen wäre (zu Ausschreibungen RS0013936 [T3]; allgemein RS0016374 [T4]). Auf die von der Klägerin als erheblich erachtete Rechtsfrage, ob auch in der konkret hier vorliegenden Konstellation ein Anspruch der Beklagten gegen die Klägerin auf Ersatz des Erfüllungsinteresses überhaupt rechtlich möglich wäre, kommt es für die Entscheidung über den Sicherungsantrag allerdings ohnehin nicht an:

[8] 4. Die Klägerin geht in ihrem Revisionsrekurs selbst von einem als bescheinigten Sachverhalt dahin aus, dass sie nach Abgabe eines bindenden Anbots – ungerechtfertigt – von diesem „zurückgetreten“ sei. Damit liegt der Garantiefall vor und dass der Beklagten aufgrund eines solchen, den Sorgfaltspflichten im vorvertraglichen Kontakt offenkundig widersprechenden Verhaltens Nachteile entstehen können, liegt auf der Hand. Die Beklagte hat – unabhängig von der Frage des Erfüllungsinteresses – auch auf mögliche weitere Schadenersatzansprüche hingewiesen. Wenn das Rekursgericht unter diesen Umständen im Ergebnis den Fall eines Rechtsmissbrauchs verneinte, dann liegt darin keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung.

Rückverweise