JudikaturOGH

11Os124/22b – OGH Entscheidung

Entscheidung
31. Januar 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 31. Jänner 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kastner als Schriftführer in der Strafsache gegen * K* wegen des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2, Abs 4 erster Fall FPG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 3. Oktober 2022, GZ 45 Hv 24/22h 58, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * K* des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 2, Abs 4 erster Fall FPG (A./) und des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 4 erster Fall FPG (B./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in M* und andernorts im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit den unbekannten Tätern „A*“ und „M*“ sowie einem ebenso unbekannt gebliebenen „Fußschlepper“ als Mitglied einer kriminellen Vereinigung die rechtswidrige Einreise oder Durchreise von Fremden, die zum Aufenthalt in der Europäischen Union nicht berechtigt sind, in sowie durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einen Nachbarstaat Österreichs, und zwar die Republiken Ungarn und Österreich, mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz gefördert, wobei die Geschleppten an die Organisatoren der Schleppung 6.000 Euro bzw 5.500 Euro bezahlen sollten, und zwar

A./ am 7. Februar 2022 in Bezug auf mindestens drei Fremde, indem er vier türkische Staatsangehörige in einem Waldstück an der serbisch-ungarischen Grenze von einem Fußschlepper übernahm und mit diesen bis zur Staatsgrenze bei F* fuhr, dort gemeinsam mit den Fremden ausstieg und die Grenze nach Österreich passierte, wo sie dann von „A*“ wieder aufgenommen und weiter nach Deutschland gebracht werden sollten (was wegen Aufgreifens durch die Polizei unterblieb);

B./ am 3. Jänner 2022, indem er eine unbekannte Anzahl an Fremden in einem Waldstück an der serbisch-ungarischen Grenze von einem Fußschlepper übernahm und mit diesen bis zur Staatsgrenze bei F* fuhr, dort gemeinsam mit den Fremden ausstieg und die Grenze nach Österreich im Bereich M* passierte, wo sie dann von „A*“ wieder aufgenommen und weiter nach Deutschland gebracht wurden.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 4 und 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Die Verfahrensrüge (Z 3) wendet sich gegen die von den Tatrichtern auf § 252 Abs 1 Z 1 StPO gestützte (ON 57 S 10) Verlesung der polizeilichen Vernehmungsprotokolle hinsichtlich der Zeugen * B*, * Y*, * Ko* und * T* (= der Geschleppten zu A./).

[5] Vorliegend beantragte der Angeklagte in der Hauptverhandlung am 22. Juni 2022 die Vernehmung dieser Personen als Zeugen, woraufhin die Hauptverhandlung vertagt und nach Einholung von Auskünften aus dem Zentralen Melderegister am 23. Juni 2022 – die die Zeugen zu diesem Zeitpunkt als bereits zumindest zwei Monate verzogen und unbekannten Aufenthalts auswiesen (ON 31 bis ON 34) – am 24. Juni 2022 die Personenfahndung durch Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung im Inland angeordnet wurde. Weder die rund drei Monate andauernde Fahndung noch eine neuerliche Einholung von Auskünften aus dem Melderegister Ende September 2022 (ON 51 bis 54) erbrachten Anhaltspunkte für eine erfolgversprechende Ladung.

Die Frage, wann der Aufenthalt eines Zeugen als unbekannt angesehen und sein persönliches Erscheinen daher nicht bewerkstelligt werden kann, ist nach Lage des konkreten Einzelfalls zu beurteilen (RIS Justiz RS0108361). In Anbetracht der über einen Zeitraum von drei Monaten gesetzten Maßnahmen und mangels konkreter Anhaltspunkte für eine in absehbarer Zeit mögliche Erreichbarkeit der Zeugen durfte das Gericht im Gegenstand zu Recht von deren Unerreichbarkeit ausgehen und die Protokolle über deren Aussagen verlesen (vgl RIS Justiz RS0098282, RS0098248, RS0101349).

[6] Mit der Verfahrensrüge (Z 4) kritisiert der Beschwerdeführer die am 3. Oktober 2022 erfolgte Abweisung (ON 57 S 9) seines in der Hauptverhandlung am 22. Juni 2022 gestellten Antrags auf Vernehmung oben genannter Zeugen (ON 35 S 19; zum Verzicht auf Neudurchführung siehe ON 57 S 2). Da der (auch später nicht ergänzte) Antrag – entgegen den gesetzlichen Erfordernissen (§ 55 Abs 1 erster Satz StPO) und angesichts der gerade erwähnten Fahndungsmaßnahmen trotzdem – weder eine ladungsfähige Adresse noch sonst Hinweise enthielt, die eine Ausforschung der Zeugen erwarten ließen, konnte die begehrte Beweisaufnahme ohne Verletzung von Verteidigungsrechten unterbleiben (RIS Justiz RS0099399, va 13 Os 105/15p, 106/15h).

[7] Auch der Antrag auf Vernehmung des vom Angeklagten namhaft gemachten Zeugen * O* zum Beweis dafür, dass „A* bei diesem untergekommen“ sei und ihm erzählt habe, „dass er die Schleppung alleine geplant und durchgeführt und dass der Angeklagte nichts damit zu tun“ habe (ON 57 S 8), verfiel zu Recht der Abweisung. Er ließ mit Blick auf die weiteren vorliegenden Beweisergebnisse nicht erkennen, inwieweit der unter Beweis zu stellende Umstand – nämlich dessen Wahrnehmungen zur Tatbegehung vom Hörensagen – geeignet wäre, die zur Feststellung entscheidender Tatsachen anzustellende Beweiswürdigung maßgeblich zu beeinflussen (vgl aber RIS Justiz RS0116987; Ratz , WK StPO § 281 Rz 327).

[8] Der Vorwurf offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) des konstatierten Vorsatzes des Angeklagten auf seine eigene Bereicherung (US 7) verabsäumt es, prozessordnungsgemäß die Gesamtheit der diesbezüglichen Urteilserwägungen in den Blick zu nehmen (RIS Justiz RS0119370; vgl dazu RIS Justiz RS0131308 [T2]). Denn das Erstgericht hat die betreffende Feststellung – der Rüge zuwider – nicht nur darauf gestützt, dass „jedenfalls“ davon auszugehen sei, dass er ein Entgelt erhalten, oder ihm ein solches zugesichert worden sei, sondern hat zudem begründungstauglich auf das vom Angeklagten eingegangene Risiko sowie darauf verwiesen, dass nicht davon auszugehen sei, dass er dieses – ohne jegliche Nahebeziehung zu den Geschleppten – ohne ein entsprechend hohes Entgelt auf sich genommen habe (US 14). Unbekämpft blieb überdies die Feststellung des Vorsatzes des Angeklagten auf Bereicherung anderer Mitglieder der kriminellen Vereinigung (US 8).

[9] In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war daher die Nichtigkeitsbeschwerde bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

[10] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rückverweise