JudikaturOGH

11Os116/22a – OGH Entscheidung

Entscheidung
31. Januar 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 31. Jänner 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kastner als Schriftführer in der Strafsache gegen * K* wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 15. Juli 2022, GZ 41 Hv 5/22h 65, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * K* des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I), des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1, Z 3 StGB (II), des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB (III) und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (IV) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er

I) im Juni 2021 in * * P* mit Gewalt zur Vornahme oder Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, nämlich des Analverkehrs genötigt, indem er sie auf ein e Couch niederdrückte,

II) von April 2021 bis zum 2. Juni 2021 in * und an anderen Orten * P* durch gefährliche Drohung mit der Entführung einer Sympathieperson und mit zumindest einer Verletzung am Körper zu einer Handlung genötigt, die besonders wichtige Interessen der genötigten Person verletzt, nämlich zur Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs, indem er sie mehrfach dazu aufforderte, einen solchen vornehmen zu lassen, anderenfalls werde er die beiden Kinder nach deren Geburt in den I* mitnehmen oder * P* umbringen,

III) von Jänner 2021 bis Dezember 2021 in * und an anderen Orten gegen * P* durch fortlaufende körperliche Misshandlungen, Körperverletzungen, gefährliche Drohungen und Nötigungen eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er sie

1) im genannten Zeitraum zumindest ein Mal wöchentlich am Körper misshandelte, wobei er ihr mit der flachen Hand ins Gesicht schlug, wodurch sie Schmerzen und zumindest einmal eine Rötung an der Wange erlitt,

2) im genannten Zeitraum mehrfach zumindest mit einer Verletzung am Körper gefährlich bedrohte, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, wobei er ihr seine geballte Faust drohend entgegenhielt oder zu ihr sagte, er werde sie umbringen,

3) im genannten Zeitraum mehrfach durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper zu einer Unterlassung, „ nämlich die Beziehung zu ihm nicht zu beenden, nötigte, indem er ihr gegenüber äußerte, dass sie sonst sterben werde, sie werde sterben, wenn sie nicht damit rechne, sie sei dann tot und er im Gefängnis oder im I*“,

4) am 6. März 2021, indem er sie, als sie das Schlafzimmer leicht bekleidet verlassen wollte, an den Haaren packte und zurück ins Schlafzimmer zog, mit Gewalt zu einer Unterlassung, nämlich dazu nötigte, das Schlafzimmer nicht zu verlassen,

5) im Juni 2021 vorsätzlich am Körper verletzte, indem er ihr mit dem „Handy“ in der Hand ins Gesicht schlug, wodurch sie ein Hämatom am Auge erlitt,

6) im Sommer 2021 vorsätzlich am Körper zu verletzen versuchte, indem er mit der Faust gezielt in Richtung ihres Gesichts schlug,

7) im Sommer 2021 vorsätzlich am Körper zu verletzen versuchte, indem er ein Mobiltelefon nach ihr warf,

8) am 12. Jänner 2022 am Körper misshandelte und dadurch fahrlässig verletzte, indem er sie am Arm packte und festhielt, wodurch sie ein Hämatom erlitt,

IV) im Juni 2021 in * * Ko* mit zumindest einer Verletzung am Körper gefährlich bedroht, indem er im Zuge eines Telefongesprächs zu ihm sinngemäß sagte, „dass er nach W* fahren werde und wisse, wo er arbeite, wo seine Familie wohne, wie sein Hund ausschaue und seine Autos kenne“.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 9 lit a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Indem die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zum Schuldspruch zu I (ohnedies unter Wiedergabe der Angaben des Opfers zu extremen Schmerzen während des Tatgeschehens) eine Erörterung fehlender Verletzungsfolgen vermisst, legt sie nicht dar, inwieweit dieser Umstand gegen eine Gewaltanwendung iSd § 201 Abs 1 StGB – fallbezogen durch ein Niederdrücken des Opfers auf einer Couch – sprechen sollte (zu erheblichen Verfahrensergebnissen vgl RIS Justiz RS0118316).

[5] Auch zum Schuldspruch zu II, den die Tatrichter auf die für glaubhaft befundenen Angaben der P* gründeten (vgl RIS Justiz RS0106588 [T14] – US 13 ff), liegt die reklamierte Unvollständigkeit nicht vor. Mit Behauptungen der Art, dass das Gericht bestimmte Aspekte ohnehin verwerteter Beweismittel nicht oder nicht den Intentionen des Beschwerdeführers entsprechend berücksichtigt habe, wird weder eine Unvollständigkeit noch eine offenbare Unzulänglichkeit der Entscheidungsgründe geltend gemacht, sondern nach Art einer Schuldberufung unzulässigerweise die schöffengerichtliche Beweiswürdigung bekämpft (RIS Justiz RS0099599).

[6] Denn das Schöffengericht ist nach § 270 Abs 2 Z 5 StPO von vornherein zwar zu einer vollständig bestimmten, aber gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe, jedoch nicht dazu verhalten, den vollständigen Inhalt sämtlicher Zeugenaussagen und sonstiger Beweise (wie die ins Treffen geführten unerheblichen Umstände, nämlich die Reaktion des Vaters des Opfers auf die Schwangerschaft und einer Assistentin sowie des Angeklagten anlässlich des Schwangerschaftsabbruchs und die behauptete Möglichkeit, dass nicht der Angeklagte der Vater der Kinder sei ) zu erörtern (vgl RIS Justiz RS0106642).

[7] Undeutlichkeit im Sinn der Z 5 ist gegeben, wenn – nach der Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof, also aus objektiver Sicht – nicht für den Beschwerdeführer und das Rechtsmittelgericht unzweifelhaft erkennbar ist, ob eine entscheidende Tatsache in den Entscheidungsgründen festgestellt wurde oder aus welchen Gründen die Feststellung entscheidender Tatsachen erfolgte, wobei stets die Gesamtheit der Entscheidungsgründe und das Erkenntnis in den Blick zu nehmen ist (RIS Justiz RS0099425 [T13]). Entgegen der Kritik (Z 5 erster Fall) zum Schuldspruch zu III ist die Konstatierung zu einer auf fortgesetzte Ausübung von Gewalt gerichteten Absicht des Angeklagten im Zeitraum Jänner 2021 bis Dezember 2021 (US 8) nicht undeutlich .

[8] Da der Schluss von einem gezeigten Verhalten auf ein zugrunde liegendes Wollen oder Wissen ohne weiteres rechtsstaatlich vertretbar und bei leugnenden Angeklagten in aller Regel methodisch gar nicht zu ersetzen ist (vgl RIS-Justiz RS0116882), ist diese Feststellung dem weiteren Vorbringen zuwider auch nicht offenbar unzureichend (Z 5 vierter Fall) begründet (US 21).

[9] Ob eine Urteilsaussage mit sich selbst im Widerspruch steht, ist an Hand der Entscheidungsgründe in ihrer Gesamtheit und in ihrem Sinnzusammenhang zu beurteilen (RIS Justiz RS0099636). Entgegen dem Einwand zum Schuldspruch zu IV steht die Urteilsannahme, wonach nicht mehr festgestellt werden kann, was der Angeklagte und Ko* (klar gemeint: sonst) im Zuge des Telefonats besprachen, zur Konstatierung, wonach der Angeklagte aber jedenfalls zu Ko* sagte, „dass er nach Wien fahren werde und wisse, wo Ko* arbeite, wo dessen Familie wohne, wie dessen Hund ausschaue und dass er dessen Autos kenne“ (US 9), nicht in Nichtigkeit begründendem Widerspruch.

[10] Weiterem Vorbringen zuwider (Z 5 zweiter Fall) setzten sich die Tatrichter mit der Darstellung des Inhalts dieses Telefongesprächs durch den Zeugen Ko* ohnedies kritisch auseinander (US 19).

[11] Z 5a des § 281 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur schlechterdings unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS Justiz RS0118780).

Die Tatrichter gründeten die entscheidenden – den Schuldspruch tragenden – Feststellungen insbesondere auf die Aussagen der P*, der sie eine hohe Glaubwürdigkeit beimaßen (US 13 ff – vgl RIS Justiz RS0106588 [T8, T9, T14]). Plausible Gründe für eine Falschbezichtigung durch diese Zeugin waren für die Tatrichter nicht erkennbar, vielmehr wurden ihre Angaben durch die (ebenso erörtert und für glaubhaft befundenen – vgl RIS Justiz RS0099419) Aussagen weiterer Zeugen gestützt (US 16 f). Des weiteren legten die Tatrichter nachvollziehbar dar, weshalb sie der leugnenden Verantwortung des Angeklagten, dem sie keinen glaubhaften Eindruck zubilligten, und den ihn tendenziell entlastenden Aussagen zweier Bekannter sowie seiner Ehefrau nicht gefolgt sind (US 18 f).

[12] Mit eigenständigen Beweiswerterwägungen unter isolierter Hervorhebung von Details in den Aussagen der P* und des Ko* zu nicht entscheidenden Umständen (einer insgesamt unglücklichen Beziehung) erweckt die Tatsachenrüge (Z 5a) keine sich aus den Akten ergebende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen. Insgesamt bekämpft sie bloß die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld ( Ratz , WK StPO §§ 280–296a Rz 11, 13).

[13] Soweit die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zum Schuldspruch zu III – ohnedies unter Wiedergabe der tatrichterlichen Konstatierungen (US 8) – „die erforderlichen Feststellungen“ zu einem auf die fortgesetzte Ausübung von Gewalt gerichteten Vorsatz des Angeklagten vermisst, gelangt sie nicht zur prozessordnungskonformen Ausführung (zum Bezugspunkt des materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes vgl RIS Justiz RS0099810). Mit der Behauptung, dass sich diese Feststellungen zeitlich nicht auf den 12. Jänner 2022 (III 8) erstrecken, wird die Rüge nicht zum Vorteil des Angeklagten ausgeführt, weil ausgehend von den erstgerichtlichen Konstatierungen (US 8) dessen Verhalten an diesem Tag diesfalls zusätzlich als Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB zu subsumieren wäre.

[14] Weshalb zur rechtsrichtigen Subsumtion des vom Schuldspruch zu III 7 umfassten Verhaltens Feststellungen dazu erforderlich gewesen wären, dass sich der Angeklagte mit einer Verletzung abgefunden hat, leitet die Rüge nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (vgl jedoch RIS Justiz RS0116565) und spricht mit dieser Argumentation zudem keine entscheidende Tatsache an (zur Rechtsnatur des § 107b StGB vgl RIS Justiz RS0129716).

[15] Schließlich verabsäumt es die Rüge auch zum Schuldspruch zu IV methodengerecht darzulegen, weshalb der aus der inkriminierten Drohung anlässlich des Telefonats des Angeklagten mit Ko* aufgrund eines von seiner Ehefrau nach islamischen Recht P* zugestandenen Seitensprungs (US 6, 9) gezogene rechtliche Schluss auf deren Eignung, dem Opfer begründete Besorgnis einzuflößen (vgl RIS Justiz RS0092538, RS0092670, RS0092168, RS0092448 [T5]), bei der gebotenen Anlegung eines objektiv individuellen Maßstabs (vgl RIS Justiz RS0092670, RS0092255, RS0092568, RS0092753) rechtlich verfehlt sein sollte.

[16] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

[17] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rückverweise