12Os128/22y – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Jänner 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Lonin in der Strafsache gegen * S* und andere Beschuldigte wegen des Vergehens der Bestechlichkeit nach § 304 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 316 HR 191/20p des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag des * N* auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
[1] Die WKStA führt zu AZ 17 St 5/19d ein Ermittlungsverfahren (ua) gegen * N* wegen des Verdachts nach § 307 Abs 1 und 2 erster Fall StGB.
[2] Danach soll * N* am 12. Juli 2017 in W* einem Amtsträger, nämlich Bundesminister * K* für die pflichtwidrige Vornahme eines Amtsgeschäfts, „nämlich in dessen Funktion als Außenminister im Rahmen seiner ihm nach dem Bundesministeriengesetz zugewiesenen Aufgaben in einer Steuerangelegenheit einer Tochter der No* AG in Italien zu intervenieren,“ einen Vorteil in einem zumindest 3.000 Euro übersteigenden Wert angeboten oder (eventualiter) * B* MBA dazu bestimmt haben, diesen * K* anzubieten, indem er * B* MBA bat, möglichst noch diese Woche einen Termin mit * K* „erstens wegen Spenden und zweitens bezüglich eines Problems (gemeint: eine dem No*-Konzern drohende Steuernachzahlung von 50 bis 60 Millionen Euro), das wir in Italien haben“, zu veranlassen, wobei * N* beabsichtigte, dass * B* MBA * K* bereits anlässlich der Terminabfrage über das Spendenangebot in Kenntnis setzen würde.
[3] In diesem Verfahren stellte die WKStA am 3. März 2021 ein Rechtshilfeersuchen an die Vereinigten Staaten von Amerika, die auf den Servern der A* Inc., der Ap* Limited oder einem anderen mit der A* Inc. verbundenen Unternehmen befindlichen Daten des A*-Accounts des * B* MBA zu übermitteln (ON 1245).
[4] Im Zuge des Verfahrens hat der Sachbearbeiter der WKStA eine Anfrage der US amerikanischen Behörden beantwortet, wie im Folgenden wörtlich zitiert (ON 1612):
„11. What evidence do Austrian authorities have that lead them to believe that B* facilitated N*'s alleged offer of more than EUR 3.000 to K*?”
„B* and K* are politically very close, as their political career has been closely tied and * B* is one of the most intimate political allies and proponent of the political movement of K*. The prompt positive reaction of B* by contacting S* and emphasizing the personal importance to him ('Do it for me.') after receiving the message from N* concerning the appointment ('firstly regarding the donation and secondly, regarding a problem we have in Italy') make it very probable, that he complied with the request accordingly. B* has also been found to deliver a letter from N* to the then secretary of justice of the Austrian People's Party in 2013, while N* was (in another case) under investigation regarding participation of embezzlement of funds of a private company, which made hidden payments to political parties” (ON 1614 AS 5).
[5] Am 18. November 2021 erhob * N* Einspruch wegen Rechtsverletzung, wobei er (ua) in Bezug auf die dargestellte Korrespondenz die Nichtbeachtung der Unschuldsvermutung mit der Begründung geltend machte, dass das von der WKStA erwähnte Ermittlungsverfahren bereits vor sieben Jahren rechtskräftig eingestellt worden sei.
[6] Diesen Rechtsbehelf wies das Landesgericht für Strafsachen Wien mit Beschluss vom 18. März 2022, GZ 316 HR 191/20p 2329, ab.
[7] Der dagegen ergriffenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 30. Juni 2022, AZ 17 Bs 88/22y (ON 2759), mit der wesentlichen Begründung nicht Folge, dass aus der kritisierten Formulierung „was under investigation“ eine implizite Schuldzuweisung nicht ableitbar sei (BS 10 f).
Rechtliche Beurteilung
[8] Mit seinem fristgerecht gestellten Antrag auf Erneuerung des Verfahrens (§ 363a StPO) behauptet der Beschuldigte * N* eine Verletzung der Unschuldsvermutung (Art 6 Abs 2 MRK). Dieser schlägt jedoch fehl.
[9] Für einen – wie hier – nicht auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützten Erneuerungsantrag gelten alle bezogen auf die Anrufung dieses Gerichtshofs normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 MRK sinngemäß (RIS-Justiz RS0122737). Dem Erfordernis der Ausschöpfung des Rechtswegs wird entsprochen, wenn von allen effektiven Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht wurde (vertikale Erschöpfung) und die geltend gemachte Konventionsverletzung jedenfalls der Sache nach und gemäß den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften im Instanzenzug vorgebracht wurde (horizontale Erschöpfung; RIS-Justiz RS0122737 [T13]; Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 11.117 f).
[10] Grundsätzlich gilt die Unschuldsvermutung (Art 6 Abs 2 MRK) auch nach Abschluss des Verfahrens (wie hier) durch verfahrensbeendende Einstellung weiter (sog „zweiter Aspekt“ der Unschuldsvermutung). Solcherart hat eine außer Verfolgung gesetzte Person Anspruch auf Schutz davor, von staatlichen Organen in Bezug auf diese Tatvorwürfe als schuldig behandelt zu werden (vgl EGMR 12. 7. 2013 [Große Kammer], Allen/Vereinigtes Königreich , Nr 25324/09, Rz 94, 103; Meyer-Ladewig/Harrendorf/König in Meyer-Ladewig/ Nettesheim/von Raumer , EMRK 4 Art 6 Rz 215; Grabenwarter/ Pabel EMKR 7 § 24 Rz 140).
[11] Für nachträgliche Verfahren ist aber Art 6 Abs 2 MRK nur anwendbar, wenn ein – vom Beschwerdeführer nachzuweisender – Zusammenhang mit dem früheren Strafverfahren besteht. Einen solchen Zusammenhang erblickt der EGMR vor allem dann, wenn es im Folgeverfahren erforderlich ist, die Ergebnisse des früheren Verfahrens zu untersuchen; und zwar insbesondere dann, wenn die frühere Entscheidung zu analysieren ist, die Beweisergebnisse zu überprüfen oder zu evaluieren sind, das Ausmaß der Beteiligung des Beschwerdeführers an einigen oder allen zur strafrechtlichen Anklage führenden Geschehnissen einzuschätzen ist oder Hinweise auf sein möglicherweise schuldhaftes Verhalten zu kommentieren sind (vgl EGMR Allen/Vereinigtes Königreich , aaO Rz 104: „where the subsequent proceedings require examination of the outcome of the prior criminal proceedings and, in particular, where they oblige the court to analyse the criminal judgment, to engage in a review or evaluation of the evidence in the criminal file, to assess the applicant’s participation in some or all of the events leading to the criminal charge, or to comment on the subsisting indications of the applicant’s possible guilt“).
[12] Vorliegend bezog sich die Staatsanwaltschaft anlässlich der Beantwortung einer Anfrage betreffend die Beweislage durch die US amerikanischen Behörden (ua) auf den Umstand, dass es im früheren Verfahren gegen den Beschwerdeführer um (ähnliche) Vorwürfe versteckter Zahlungen („hidden payments“) an politische Parteien ging. Solcherart besteht ein hinreichender Zusammenhang (vgl dazu auch EGMR 27. 3. 2014, Müller/Deutschland , Nr 54963/08) zwischen dem seinerzeit eingestellten und dem aktuellen Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer, womit dieses in den Anwendungsbereich des Art 6 Abs 2 MRK fällt.
[13] In der Sache ist der Antrag jedoch – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – nicht berechtigt.
[14] Entscheidend für die Beurteilung des relevierten Verstoßes gegen Art 6 Abs 2 MRK ist nicht die exakte Wortwahl, sondern der Sinngehalt der in Rede stehenden Formulierungen (RIS Justiz RS0128232). Somit begründet selbst ein unglücklicher Sprachgebrauch („unfortunate language“) nicht zwangsläufig eine Konventionsverletzung (vgl EGMR Allen/Vereinigtes Königreich , aaO Rz 126; Müller/Deutschland , aaO, jeweils mwN aus der Rsp des EGMR).
[15] Die vom Beschwerdeführer (an sich zutreffend als überflüssig) kritisierte Wortwendung „N* was (in another case) under investigation“ weist lediglich auf in einem anderen Fall geführte Ermittlungen hin, ohne eine Aussage über Schuld oder Unschuld zu treffen. In der bloßen Erwähnung eines früheren – im Übrigen selbst von der Garantie des Art 6 Abs 2 MRK umfassten – Verfahrens kommt eine Schuldannahme nicht zum Ausdruck.
[16] Soweit der Antrag nunmehr erstmals die im Rechtshilfeersuchen verwendete Formulierung (Hervorhebungen durch den Antragsteller:), „B* has already assisted * N* in personal matters ( even regarding his own criminal procedures ) in 2013“ als Konventionsverletzung geltend macht, scheitert er an der fehlenden Rechtswegerschöpfung. Abgesehen davon ist auch in dieser Wortwahl ein Verstoß gegen Art 6 Abs 2 MRK nicht auszumachen.
[17] Der Erneuerungsantrag war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).