JudikaturOGH

1Ob244/22x – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Dezember 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely-Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. E* und 2. U*, beide vertreten durch Ing. Mag. Dr. Felix Jurak, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 63.811,72 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 12. Oktober 2022, GZ 5 R 55/22f-16, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 28. Oktober 2022, GZ 5 R 55/22f-17, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Kläger begehren aus dem Titel der Amtshaftung Schadenersatz mit dem Vorbringen, dass Polizeibeamte des beklagten Rechtsträgers die frühere Ortung des Handys ihres abgängigen Sohnes rechtswidrig und schuldhaft unterlassen hätten, wodurch dessen Tod hätte verhindert werden können.

[2] Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren übereinstimmend ab, weil ein rechtswidriges Verhalten der Polizeibeamten nicht vorliege.

[3] Die außerordentliche Revision der Kläger ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen :

Rechtliche Beurteilung

[4] 1. Eine vom Berufungsgericht verneinte Nichtigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens kann in dritter Instanz nicht mehr geltend gemacht werden, weil insoweit ein gemäß § 519 ZPO unanfechtbarer Beschluss des Berufungsgerichts vorliegt. Diese Anfechtungsbeschränkung kann nicht dadurch unterlaufen werden, dass behauptet wird, das Berufungsgericht sei auf bestimmte Argumente im Zusammenhang mit der verneinten Nichtigkeit nicht (ausreichend) eingegangen (RS0042981 [insb T7]).

[5] Angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz, die vom Berufungsgericht nicht als solche anerkannt worden sind, können nach der Rechtsprechung grundsätzlich nicht mit der Revision geltend gemacht werden (RS0042963). Darüber hinaus bringen die Kläger auch die Wesentlichkeit der vermeintlichen Verfahrensmängel nicht zur Darstellung (RS0116273), zumal ohnehin feststeht, dass der PKW des Sohnes bereits am Tag seines Verschwindens an dem Ort abgestellt war, wo er nach der am nächsten Tag durchgeführten Handyortung auch gefunden wurde.

[6] 2. Die von den Rechtsmittelwerbern thematisierten Fragen nach dem Normzweck des § 53 Abs 3b SPG und dem Rechtswidrigkeitszusammenhang stellen sich nicht, weil die Kläger im konkreten Einzelfall schon eine (unvertretbare) Verletzung dieser Bestimmung bzw eine Pflicht der Polizeibeamten, eine Handyortung bereits am Tag des Verschwindens des Sohnes zu veranlassen, nicht aufzuzeigen vermögen:

[7] Nach § 53 Abs 3b SPG sind die Sicherheitsbehörden, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass eine gegenwärtige Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die Freiheit eines Menschen besteht, zur Hilfeleistung oder Abwehr dieser Gefahr berechtigt, von Betreibern öffentlicher Telekommunikationsdienste Auskunft über Standortdaten und die internationale Mobilteilnehmerkennung (IMSI) der vom Gefährder oder von dem gefährdeten oder diesen begleitenden Menschen mitgeführten Endeinrichtung zu verlangen sowie technische Mittel zur Lokalisierung der Endeinrichtung zum Einsatz zu bringen.

[8] Auch die Revisionswerber bezweifeln nicht, dass es eines auf objektiven Tatsachen beruhenden Verdachts einer gegenwärtigen Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die Freiheit eines Menschen bedarf, um eine Handlungspflicht der Polizeibeamten auszulösen (vgl Hauer/Keplinger , SPG 4 § 53, 569; Weiss in Thanner/Vogl , SPG² § 53, 514).

[9] Nach den Feststellungen schilderte der Erstkläger den Beamten um ca 22:30 bzw 23:00 Uhr abends, dass sein (volljähriger) Sohn am Morgen nach einer Diskussion mit der Zweitklägerin mit seinem Auto von Zuhause weggefahren und nicht mehr zurückgekehrt sei, es seither keinen Kontakt mehr zu ihm gegeben habe und er an seinen gewöhnlichen Aufenthaltsorten nicht aufgefunden werden könne. Er beschrieb dieses Verhalten als absolut untypisch für seinen Sohn und ersuchte um die Durchführung einer Handyortung. Die Fragen der Beamten nach allfälligen psychischen Problemen und einer Selbstgefährdungsgefahr des Sohnes verneinte er, auch nachdem ihm eine Beamtin mitgeteilt hatte, dass eine Handyortung nur bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen durchgeführt werden könne und psychische Probleme diese rechtfertigen würden, und er mit der Zweitklägerin Rücksprache gehalten hatte.

[10] Die Annahme der Vorinstanzen, die Beamten hätten aufgrund dieses Tatsachensubstrats nicht damit rechnen müssen, dass das Leben oder die Gesundheit des Sohnes der Kläger unmittelbar gefährdet sei, sie seien daher nicht verpflichtet gewesen, noch an diesem Abend eine Auskunft über die Standortdaten einzuholen und das Mobiltelefon des Sohnes zu lokalisieren, ist jedenfalls vertretbar. Woraus die Beamten hätten erkennen müssen, dass sich der Abgängige aufgrund kritischer Lebensereignisse in einer psychischen Notsituation befunden habe, ist auch den Revisionsausführungen nicht zu entnehmen, zumal den Beamten nur eine Auseinandersetzung zwischen der Zweitklägerin und deren Sohn über dessen Arbeit geschildert wurde, bei der sich letzterer nach den Feststellungen ruhig verhalten hatte. Der Verweis auf die im Vergleich zu den Klägern (vermutlich) höhere psychologische Kompetenz der Beamten geht schon deshalb fehl, weil nach eigener Einschätzung der Kläger nicht einmal ein Psychologe fähig wäre, die zur Durchführung einer Handyortung nötige psychologische Beurteilung abzugeben, sofern der Abgängige nicht zuvor Suizidgedanken geäußert habe. Nicht zu beanstanden ist weiters die Ansicht des Berufungsgerichts, der Umstand allein, dass der Sohn mit seinem PKW unterwegs war, lasse noch nicht konkret vermuten, er habe einen Unfall gehabt. Welchen Anspruch die Kläger aus dem Vorwurf ableiten wollen, dass die Polizeibeamten in der Nacht nicht mehr bei ihnen nachfragten, ob ihr Sohn zwischenzeitig nach Hause zurückgekehrt sei, obgleich die Beamten dem Erstkläger gesagt hatten, er solle sich in der Früh neuerlich melden bzw Bescheid geben, falls sein Sohn wieder auftauche, ist nicht ersichtlich. Fest steht, dass eine Handyortung zwischen 6:00 und 7:00 Uhr des Folgetages den Tod des Sohnes jedenfalls nicht mehr verhindert hätte.

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