JudikaturOGH

22Ds8/22d – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. Dezember 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 12. Dezember 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden, die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Richterin sowie die Rechtsanwälte Dr. Jilek und Dr. Kretschmer als Anwaltsrichter in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Seidenschwann in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt über die Berufungen des Beschuldigten und des Kammeranwalts gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 15. November 2021, GZ D 6/21 26, sowie die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 27. Jänner 2022, GZ D 6/21 30, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Gföller, der Kammeranwältin Rechtsanwältin Dr. Stuefer und des Beschuldigten zu Recht erkannt:

Spruch

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Dem Beschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde * der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes nach § 1 Abs 1 DSt schuldig erkannt.

[2] Danach hat er durch eine am 11. März 2020 beim Landesgericht Innsbruck zu AZ 69 Cg 27/20 gegen DI MMag. Dr. * K*, Rechtsanwalt in L*, mit dem Begehren eingebrachte Klage, es im geschäftlichen Verkehr als Rechtsanwalt zu unterlassen, Beschuldigte im Strafverfahren zu verteidigen und zugleich eine weitere Partei zu vertreten, die diesen Beschuldigten belastet, und den Beklagten zur medialen Veröffentlichung des Urteils schuldig zu erkennen, persönliche Ansprüche in unangemessener Härte verfolgt und den Rechtsanwalt der anderen Partei unnötig in den Streit gezogen und persönlich angegriffen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen wegen des Vorliegens von Nichtigkeitsgründen, und zwar vom Beschuldigten und (zu dessen Gunsten) vom Kammeranwalt des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO, vom Beschuldigten überdies jenes des § 281 Abs 1 Z 5 StPO und wegen des Ausspruchs über die Schuld erhobenen Berufungen gehen fehl.

[4] Entgegen der Mängelrüge (Z 5) des Beschuldigten begründete der Disziplinarrat seine Feststellungen zur subjektiven Tatseite sehr wohl, nämlich mit dem Verweis auf die in der mündlichen Verhandlung vorgekommenen (§ 37 DSt), als unbedenklich erachteten Urkunden (ES 7 iVm ES 3) und solcherart auf das objektive Tatgeschehen. Unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) ist diese Schlussfolgerung nicht zu beanstanden (RIS Justiz RS0098671).

[5] Die Behauptung fehlender Begründung der Feststellung, wonach die Amtsleiterin der Stadtgemeinde L* die Auswertung des Bundesministeriums für Inneres mit den Daten der Mitarbeiterinnen, welche die Abfragen durchführten, an das Landeskriminalamt Tirol übermittelt habe, bezieht sich nicht auf schuld oder subsumtionsrelevante Umstände (siehe aber RIS Justiz RS0106268).

[6] D ie Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld im engeren Sinn (§ 464 Z 2 erster Fall StPO) erklärt nicht, den Ersatz welcher konkreter, in den Entscheidungsgründen festgestellter und den Schuldspruch nach Maßgabe rechtsrichtiger Subsumtion tragender Feststellungen sie begehrt, und entfernt sich solcherart von den gesetzlichen Anfechtungskriterien ( Ratz , WK StPO § 464 Rz 6 und 8).

[7] Der Erledigung der Rechtsrügen (Z 9 lit a) des Beschuldigten und des Kammeranwalts ist grundlegend voranzustellen, dass der Vorgang der Subsumtion im Herstellen einer Verknüpfung zwischen der Tat und einer strafbaren oder (sofern in Sonderfällen nicht alle Voraussetzungen der Strafbarkeit verlangt werden) mit Strafe bedrohten Handlung besteht. Dabei wird der festgestellte Lebenssachverhalt (Tat) dahin beurteilt, ob er unter die gesetzliche Kategorie einer strafbaren Handlung, also eines tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens, das auch allfälligen zusätzlichen Voraussetzungen für die Strafbarkeit genügt, fällt. Im einfachsten Fall wird durch eine Tat im materiellen Sinn eine strafbare Handlung begangen ( Ratz in WK 2 StGB Vor §§ 28 bis 31 Rz 1 f; Ratz , WK StPO § 281 Rz 517).

[8] Fallbezogen ist die Tat, also der (hier) disziplinarrechtlich zu beurteilende Sachverhalt, die vom Beschuldigten am 11. März 2020 beim Landesgericht Innsbruck zu AZ 69 Cg 27/20 gegen DI MMag. Dr. * K* eingebrachte K lage. Unter dem Aspekt rechtsrichtiger Subsumtion ist daher zu prüfen, ob die vom Disziplinarrat zu dieser Klage getroffenen Feststellungen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) den Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) wegen je eines Disziplinarvergehens der Verletzung von Berufspflichten (§ 1 Abs 1 erster Fall DSt) und der Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes (§ 1 Abs 1 zweiter Fall DSt) tragen (dazu eingehend mwN Ratz , WK StPO § 281 Rz 581 bis 584).

[9] Die Berufungen zeigen zunächst zutreffend auf, dass das in der in Rede stehenden Klage enthaltene Unterlassungsbegehren den Schuldspruch nicht trägt:

[10] Nach § 17 RL BA 2015 darf der Rechtsanwalt nur solche Mittel anwenden, die mit Gesetz, Ehre und Ansehen des Standes vereinbar sind. Er darf weder Ansprüche mit unangemessener Härte verfolgen, noch nicht sachbezogene Maßnahmen ankündigen oder anwenden. Diesen Anforderungen hat ein Rechtsanwalt auch zu entsprechen, wenn er in eigener Sache auftritt (vgl RIS Justiz RS0055904). Dabei ist ihm die aktive Geltendmachung eines Anspruchs nicht verwehrt, soweit er sich auf eine sorgfältig erwogene Rechtsüberzeugung gründet. Nur ungerechtfertigte Forderungen sowie solche, die auf Mutwillen oder auf einer unvertretbaren Rechtsansicht beruhen, ziehen insoweit disziplinäre Verantwortlichkeit des Rechtsanwalts nach sich (RIS Justiz RS0120583 [T1]).

[11] Auch das in § 21 Abs 1 RL BA 2015 normierte Verbot, Rechtsanwälte unnötig in den Streit zu ziehen oder persönlich anzugreifen, hindert nicht, gegebenenfalls sachlich gebotene Maßnahmen gegen einen anderen Rechtsanwalt zu ergreifen, wenn dies erforderlich ist (zum Ganzen Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 10 § 21 RL BA 2015 Rz 5 mwN).

[12] Ausgehend von diesem Prüfungsmaßstab sowie unter Berücksichtigung der im angefochtenen Erkenntnis konstatierten Umstände, wonach dem Beschuldigten ein Schlichtungsverfahren gemäß § 21 Abs 2 RL BA 2015 nicht offenstand, er mit seinem Begehren zunächst an Rechtsanwalt DI MMag. Dr. K* persönlich herantrat, von diesem aber keine Reaktion erhielt, die Angelegenheit aufgrund anhängiger Gerichtsverfahren von gewisser Dringlichkeit war und der Beschuldigte Rechtsanwalt DI MMag. Dr. K* überdies die Möglichkeit gegeben hat, die Streitsache frühzeitig durch einen Vergleich zu erledigen, ist im Unterlassungsbegehren – verglichen mit der vom Disziplinarrat als „gelinderes Mittel“ angesehenen Disziplinaranzeige – keine ungebührliche Maßnahme zu erblicken.

[13] Wie eingangs dargelegt, ist die zu beurteilende Tat – hier also die in Rede stehende Klage – unter dem Aspekt rechtsrichtiger Subsumtion jedoch in ihrer Gesamtheit zu betrachten.

[14] In Bezug auf das in der Klage nach den Feststellungen des Disziplinarrats auch enthaltene Veröffentlichungsbegehren ist aber die vorgenommene Subsumtion nicht zu beanstanden. Der Disziplinarrat hat sich insoweit zutreffend auf die Grundsätze bezogen, dass Auseinandersetzungen unter Rechtsanwälten möglichst kammerintern zu regeln sind und anwaltliche Äußerungen über das berufliche Wirken von Standeskollegen extremer Zurückhaltung unterliegen (RIS Justiz RS0056108 [T1]).

[15] Für den Bereich des anwaltlichen Disziplinarrechts normiert nämlich § 79 DSt die Vertraulichkeit des Disziplinarverfahrens, wobei der Verstoß gegen diese Bestimmung sowohl eine Verletzung von Berufspflichten als auch eine Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes darstellt ( Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 10 § 79 DSt Rz 1). Die Unangemessenheit des Veröffentlichungsbegehrens ergibt sich somit aus dem Umstand, dass mit der Veröffentlichung das im Begehren dargestellte Verhalten der Öffentlichkeit bekannt würde, was in einem Disziplinarverfahren nicht der Fall wäre (§§ 32 Abs 1 und 51 Abs 1 DSt [die Bestimmungen des § 70 DSt sind fallbezogen nicht von Relevanz]).

[16] Unter dem Aspekt des § 17 RL BA stellt das Veröffentlichungsbegehren somit sowohl eine Verletzung von Berufspflichten (§ 1 Abs 1 erster Fall DSt) als auch – im Hinblick auf die mit der Klagsführung naturgemäß verbundene Publizität ( Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 10 § 1 DSt Rz 14 mwN) – eine Beeinträchtigung der Ehre oder des Ansehens des Standes (§ 1 Abs 1 zweiter Fall DSt) dar.

[17] Der Disziplinarrat verhängte über den Beschuldigten die Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises (§ 16 Abs 1 Z 1 DSt) und wertete dabei den Umstand, dass der Beschuldigte zwei strafbare Handlungen begangen hat, erschwerend (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB), den bisher ordentlichen Lebenswandel (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB), das „Tatsachengeständnis“ und die vergleichsweise Einigung mit Rechtsanwalt DI MMag. Dr. K* vor Gericht als mildernd.

[18] Nach ständiger Judikatur sind die für die Strafbemessung maßgebenden Grundsätze des Strafgesetzbuchs (§§ 32 ff StGB) auch für das anwaltliche Disziplinarverfahren sinngemäß heranzuziehen (RIS Justiz RS0054839).

[19] Hievon ausgehend stellt das sogenannte Tatsachengeständnis, also das Zugeben bloßer Tatsachen ohne Eingestehen der subjektiven Merkmale des strafbaren Verhaltens, keinen Milderungsgrund dar, weil es den Tatbestand des reumütigen Geständnisses (§ 34 Abs 1 Z 17 erster Fall StGB) niemals erfüllt und jenen des wesentlichen Beitrags zur Wahrheitsfindung (§ 34 Abs 1 Z 17 zweiter Fall StGB) fallbezogen nicht (RIS Justiz RS0091585 [insbesondere T14]).

[20] Die nachträgliche vergleichsweise Einigung verwirklicht zwar keinen besonderen Milderungsgrund (§ 34 StGB), ist aber nach den allgemeinen Grundsätzen der Strafbemessung (§ 32 StGB) mildernd in Anschlag zu bringen.

[21] Auf der Grundlage der Schuld (§ 32 Abs 1 StGB) sowie unter Berücksichtigung der dargestellten Strafbemessungsgründe (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) und des Umstands, dass der Disziplinarrat ohnedies die geringste der in § 16 Abs 1 DSt vorgesehenen Disziplinarstrafen ausgesprochen hat, war auch der als erhoben zu betrachtenden (§ 49 letzter Satz DSt) Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe ein Erfolg zu versagen.

[22] Die Beschwerde gegen den Beschluss auf Abweisung des Protokollberichtigungsantrags ist durch die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über die Berufung miterledigt, weil sie sich nicht auf für den Erfolg der Berufung wesentliche Umstände bezieht.

[23] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 54 Abs 5 DSt.

Rückverweise