JudikaturOGH

9Ob58/22b – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. November 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Thunhart in der Rechtssache der klagenden Partei R* H*, vertreten durch Mag. Michael Stuxer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei P* R*, vertreten durch Dr. Friedrich Valzachi, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung, Beseitigung und Zahlung von 8.032,76 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. April 2022, GZ 12 R 90/21z 33, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 20. September 2021, GZ 10 Cg 11/20s 27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.647,18 EUR (darin 274,53 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Die Streitteile sind Eigentümer zweier aneinander angrenzender Liegenschaften mit jeweils einem darauf errichteten Einfamilienhaus samt Garage.

[2] Der Kläger begehrt den Beklagten schuldig zu erkennen,

1. ab sofort

a. die Ableitung von Wasser auf den Boden der Liegenschaft durch das am Haus auf der Liegenschaft * 104 befindliche Regenfallrohr,

b. die Ableitung von Wasser über das auf der Liegenschaft * 104 befindliche Abtropfblech des Garagendachs in die Hecke und auf das Grundstück * 106 und

c. die Immission von Laub und Ästen von dem auf der Liegenschaft * 104 befindlichen Nussbaum auf das Dach der auf der Liegenschaft * 106 errichteten Garage

zu unterlassen,

2. binnen 14 Tagen die in * 104 gepflanzte Hecke, direkt angrenzend an die Grenzmauer und die Garage der Liegenschaft * 106 zu beseitigen,

3. dem Kläger 8.032,76 EUR samt 4 % Zinsen seit 22. 9. 2020 binnen 14 Tagen zu bezahlen, sowie

4. den am Garagendach der Garage in der Liegenschaft * 106 befindlichen Bewuchs mit Moos binnen 14 Tagen zu beseitigen.

[3] Der Beklagte bestritt und beantragte Klagsabweisung.

[4] Das Erstgericht wies sämtliche Klagebegehren ab.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigt. Dabei folgte es der Bewertung durch den Kläger.

[6] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil die Frage, ob ein hinzugezogener Liegenschaftseigentümer das geringfügige Abtropfen von Regenwasser von der Blecheinfassung des Flachdachs einer auf der Nachbarliegenschaft an der gemeinsamen Grundstücksgrenze seit jeher bestehenden Garage auf seine Liegenschaft dulden müsse, wenn er die Anbringung einer in seinen Luftraum ragenden Regenrinne ablehne, einer Klärung durch das Höchstgericht bedürfe.

[7] Über Auftrag des Obersten Gerichtshofs vom 31. 8. 2022 berichtigte das Berufungsgericht mit Beschluss vom 11. 10. 2022 seinen Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands dahin, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands betreffend die beiden Unterlassungsbegehren gemäß Punkt 1.a. und Punkt 1.b. des Urteilsbegehrens jeweils 8.000 EUR beträgt, jener betreffend das Unterlassungsbegehren gemäß Punkt 1.c. des Urteilsbegehrens 1.166,67 EUR und jener betreffend die beiden Beseitigungsbegehren gemäß Punkt 2. und Punkt 4. des Urteilsbegehrens jeweils 2.500 EUR.

[8] Mit seiner Revision ficht der Kläger die Berufungsentscheidung (ausdrücklich) zur Gänze an. Sein Revisionsantrag richtet sich primär auf eine gänzliche Klagsstattgabe. In eventu stellt er einen Aufhebungsantrag und wiederum in eventu beantragt er, dem Klagebegehren zu Punkt 1.b. stattzugeben.

[9] Der Revisionswerber schloss sich zwecks Begründung der Zulässigkeit seines Rechtsmittels nach § 502 Abs 1 ZPO der Begründung des Berufungsgerichts an. Die Revision sei aber auch deshalb zulässig, weil dem Berufungsgericht ein Verfahrensmangel unterlaufen sei.

[10] Dem gegenüber bestritt der Beklagte in seiner Revisionsbeantwortung das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage und beantragte die Zurückweisung der Revision des Klägers.

Rechtliche Beurteilung

[11] 1. Soweit sich die Revision mit ihren Anträgen gegen die Abweisung des Unterlassungsbegehrens Punkt 1.c. und die Beseitigungsbegehren Punkt 2. und 4. richtet, ist sie jedenfalls unzulässig (§ 502 Abs 2 ZPO).

[12] 2. Die Revision des Klägers, die sich sowohl in der Zulassungsbegründung als auch in ihren inhaltlichen Ausführungen ausschließlich auf die Abweisung ihres Unterlassungsbegehrens Punkt 1.b. richtet, ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Zulassungsausspruch unzulässig. Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO):

[13] 2.1. Gemäß § 364 Abs 2 ABGB kann der Eigentümer eines Grundstücks den Nachbarn die von dessen Grund ausgehenden Einwirkungen etwa durch Abwässer insoweit untersagen, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigen. Unmittelbare Zuleitungen – insbesondere auch von Wasser – sind ohne besonderen Rechtstitel unter allen Umständen unzulässig.

[14] 2.2. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass nach der eine unmittelbare Zuleitung bewirkenden willkürlichen Änderung der natürlichen Abflussverhältnisse von Oberflächenwasser eine auf § 364 Abs 2 zweiter Satz ABGB gestützte Eigentumsfreiheitsklage des durch eine solche Maßnahme – wenn auch nur im Fall selten wiederkehrender katastrophaler Niederschläge – beeinträchtigten Nachbarn dennoch scheitern kann, sofern sich diese Änderung auf das Grundstück des Nachbarn nur geringfügig auswirkt und diese Folge kein Vernünftiger als nennenswerten Nachteil ansähe oder das Unterlassungsbegehren nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls insgesamt als Rechtsmissbrauch (Schikane) zu beurteilen ist (RS0121625; 1 Ob 45/14m Pkt 1.2; 1 Ob 124/15i Pkt 5. mit Literaturhinweisen; zuletzt 1 Ob27/21h Rz 14).

[15] 2.3. Die vom Berufungsgericht und vom Revisionswerber als erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO bezeichnete Rechtsfrage im Zusammenhang mit dem vom Berufungsgericht bejahten Rechtsmissbrauch bedarf hier keiner abschließenden Klärung. Die vom Beklagten bewirkte Änderung auf das Grundstück des Klägers wirkt sich nämlich nur derart geringfügig aus, dass sie nicht als nennenswerter Nachteil anzusehen ist.

[16] 2.4. Nach den (noch wesentlichen) Feststellungen des Erstgerichts und den teilweise ersetzenden und ergänzenden Feststellungen des Berufungsgerichts, an die der Oberste Gerichtshof gebunden ist, fallen Regentropfen von der südlichen Kupferblecheinfassung des Garagendachs des Beklagen auf die darunter gelegene, mit Kunststeinplatten abgedeckte Sockelmauer des Klägers. Diese verursachen zarte grüne Verfärbungen (Grünspan) an den die Abdeckung der Sockelmauer bildenden Kunststeinplatten. Diese Verfärbungen haben keinen Einfluss auf die Lebensdauer der Kunststeinplatten und stellen nur eine optische Beeinträchtigung dar. Die weit überwiegenden, auf dem Dach der Garage auftreffenden Niederschlagsmengen werden nicht auf die Liegenschaft des Klägers abgeleitet. Nur soweit der Regen auf die südliche Kupferblecheinfassung des Garagendachs des Beklagten trifft, findet eine Ableitung auf die Liegenschaft des Klägers statt, weil die Blecheinfassung des Flachdaches der Garage des Beklagten geringfügig (2 bis 4 cm) in den Luftraum der Liegenschaft des Klägers hineinragt.

[17] 2.5. Soweit der Revisionswerber seinen Ausführungen zugrunde legt, dass bei höheren Niederschlagsmengen mit der Zuleitung von erheblichen Wassermengen auf seine Liegenschaft auszugehen sei, lässt er die Feststellung des Berufungsgerichts außer Betracht, wonach die weit überwiegenden auf dem Dach der Garage des Beklagten auftreffenden Niederschlagsmengen nicht auf seine Liegenschaft abgeleitet werden. Überdies befindet sich die Sockelmauer in einem nicht überdachten Durchgangsbereich zwischen dem Wohngebäude des Klägers und der Garage des Beklagten, sodass die vom Revisionswerber hervorgehobene Gefahr des Vereisens des Bodens im Winter durch das von der Garage abtropfende Regenwasser nicht wesentlich erhöht wird. Dass dieses Regenwasser zu weiteren Schäden auf der Liegenschaft des Klägers führen könnte, steht nicht fest.

[18] 3. Soweit es die Revision unterlässt, sich unter dem Revisionsgrund des § 503 Z 4 ZPO mit den Argumenten des Berufungsgerichts zur mangelnden Berechtigung des Unterlassungsbegehrens Pkt 1.a. und des Leistungsbegehrens auseinanderzusetzen, ist die Rechtsrüge hinsichtlich dieser Anspruchsgrundlagen nicht gesetzmäßig ausgeführt (RS0043605 [T2]; vgl RS0043312 [T13]; RS0043603 [T4, T9]).

[19] 4.1. Richtig ist, dass das Verbot, die Parteien in einer Entscheidung mit einer Rechtsansicht zu überraschen, auch für das Berufungsgericht gilt (RS0037300 [T3, T20]). Die Grenzen der vom Gericht wahrzunehmenden Anleitungspflicht und die Frage, ob das Überraschungsverbot verletzt wurde, richten sich nach den Umständen des Einzelfalls und begründen aus diesem Grund in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage (RS0114544; RS0037300 [T31]).

[20] 4.2. Der vom Revisionswerber behauptete Verstoß gegen das Überraschungsverbot des § 182a ZPO ist auch nicht zu erkennen. Ein solcher Fall liegt nach der Rechtsprechung nicht vor, wenn der Beklagte eine Einwendung erhebt, auf die der Kläger nicht repliziert, und das Gericht diese für berechtigt erkennt (RS0037300 [T2]). Dass der Kläger den Einwand des Beklagten, durch das geringfügig abtropfende Regenwasser von seinem Garagendach werde kein Schaden auf der Liegenschaft des Klägers verursacht, erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hätte (vgl RS0037300 [T22, T46]), wird in der Revision nicht behauptet.

[21] Die Revision des Klägers ist daher zurückzuweisen.

[22] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision des Klägers in seiner Revisionsbeantwortung hingewiesen (RS0035979).

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