6Ob123/22i – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. T* S*, MBA, *, vertreten durch Dr. Bernhard Steinbüchler und andere Rechtsanwälte in St. Florian, gegen die beklagte Partei N* GmbH, *, vertreten durch Hajek Boss Wagner Rosenich RechtsanwältInnen OG in Eisenstadt, wegen 7.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Berufungsgericht vom 15. April 2022, GZ 13 R 264/21b 28, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Eisenstadt vom 28. Oktober 2021, GZ 3 C 195/21p 20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen .
Der Schriftsatz (Urkundenvorlage) des Klägers vom 14. 10. 2022 wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 626,52 EUR (darin enthalten 104,42 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).
[2] Auf der mit einer physischen Verbindung an das Stromnetz der Beklagten angeschlossenen Liegenschaft des Klägers befinden sich zwei Stromzähler, wobei ein Zähler dem Allgemeinstrom (Zähler 1) und ein Zähler der Heizung (Zähler 2) des Einfamilienhauses zugeordnet ist. Jeder Zähler muss einem Energielieferanten zugeordnet sein. Eine fehlende Zuordnung führt dazu, dass die vom Kunden bezogene Energie letztlich von der Beklagten zu tragen ist.
[3] Die Vorinstanzen wiesen das Begehren des Klägers auf Ersatz von Schäden an seinem Einfamilienhaus sowie des Inventars, die durch eine von der beklagten Netzbetreiberin rechtswidrig vorgenommene Stromabschaltung entstanden seien, ab.
[4] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil einheitliche Rechtsprechung zum Verhältnis von ElWOG 2010 und den „Allgemeinen Bedingungen für den Zugang zum Verteilernetz der N* GmbH“ (kurz: AVNB) nicht vorliege.
Rechtliche Beurteilung
[5] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig . Weder in der Zulassungsbegründung noch in der Revision wird eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt:
[6] 1. Auf das Verhältnis zwischen dem ElWOG 2010 und den AVNB der Beklagten, namentlich darauf, ob § 82 ElWOG 2010 als zwingende Norm allenfalls abweichenden Bestimmungen in Punkt XXVII der AVNB vorgehe, kommt es gegenständlich nicht an.
[7] 1.1. Nach der – vom Kläger im Berufungsverfahren selbst relevierten – Vorschrift des § 82 Abs 4 Satz 1 ElWOG 2010 (in der hier maßgeblichen Fassung BGBl I 110/2010 [die aktuelle Fassung ist unverändert]) ist im Falle der Beendigung eines Energieliefervertrags aufgrund ordentlicher Kündigung, Zeitablauf oder Widerspruch weder durch Netzbetreiber noch durch Lieferanten ein der Abschaltung vorangehendes Mahnverfahren nach § 82 Abs 3 ElWOG 2010 durchzuführen. Dem entspricht die vom Berufungsgericht herangezogene gleichlautende Regelung des Punkts XXVII Z 5 lit h der AVNB der Beklagten.
[8] 1.2. Der Kläger beendete den Energieliefervertrag mit seinem bisherigen Lieferanten in Ansehung des Zählers 2 im Jänner 2019. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass bis zur Abschaltung der Stromzufuhr durch die Beklagte im Dezember 2019 auch kein neuer Energieliefervertrag abgeschlossen wurde und damit der vertragslose Zustand fortdauerte, besteht kein Zweifel daran, dass die Beklagte schon aufgrund der vom Kläger selbst – statt der AVNB der Beklagten – herangezogenen gesetzlichen Regelung vor der Stromabschaltung nicht zur Einhaltung des Mahnverfahrens nach § 82 Abs 3 ElWOG 2010 gehalten war.
[9] Folglich wäre für den Rechtsstandpunkt des Klägers durch den von der Revision vertretenen Entfall der in Frage stehenden Bestimmungen der AVNB von vornherein nichts gewonnen, weshalb sich auch ein Eingehen auf die in der Revision angestellten Erwägungen zur Geltungskontrolle (§ 864a ABGB) sowie zur Inhaltskontrolle (§ 879 Abs 3 ABGB, § 6 Abs 3 KSchG) erübrigt.
2. Auch sonst wirft die Revision keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:
[10] 2.1. Die behauptete Aktenwidrigkeit wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
[11] 2.2. Die Revision vermag nicht darzulegen, warum trotz des klaren Wortlauts des Punkts XXVII Z 5 lit h der AVNB die Beurteilung des Berufungsgerichts, danach sei bei beendetem Energielieferungsvertrag eine Abschaltung jedenfalls zulässig, unvertretbar sein soll. Die genannte Regelung korrespondiert überdies mit Punkt VI Z 3 der AVNB, wonach das Vorliegen eines Energielieferungsvertrags Bedingung für die Netznutzung ist. Auf die einzelfallbezogene Frage des Vorliegens einer Zuwiderhandlung und deren „alsbaldige Behebbarkeit“ im Sinn des Punktes XXVII Z 1 der AVNB kommt es insoweit nicht an. Im Übrigen ist in der Beurteilung der Vorinstanzen, im Verhalten des Klägers, der über Monate hinweg und auch noch nach Beendigung des Schlichtungsverfahrens keinen neuen Energielieferanten bekanntgab, aber aus dem Netz der Beklagten dennoch weiterhin Strom bezog, liege keine bloß geringfügige Zuwiderhandlung, eine aufzugreifende Fehlbeurteilung nicht zu erblicken.
[12] 2.3. Mit seiner weiteren Argumentation, die Beklagte wäre schon am 12. 12. 2019, also einen Tag nach der Stromabschaltung, in der Lage gewesen, aus ihrem SAP System die mittlerweile erfolgte Beauftragung eines neuen Energielieferanten zu ersehen, weshalb sie die gesamte Stromversorgung umgehend und nicht erst am 30. 12. 2019 wiederherzustellen gehabt hätte, geht der Kläger über die Feststellung hinweg, wonach das Vertragsverhältnis zum neuen Energielieferanten nach dem Willen des Klägers selbst erst am 1. 1. 2020 beginnen sollte. Davon, dass der liefervertragslose Zustand, und damit der Grund für die Abschaltung des Netzzugangs, bereits vor dem 30. 12. 2019 wieder weggefallen sei, kann nach dem Sachverhalt somit keine Rede sein.
[13] 2.4. Soweit die Revision die Pflicht der Beklagten zur umgehenden Reaktivierung der Stromzufuhr daraus abzuleiten versucht, dass der Kläger sich ihr gegenüber mit Schreiben vom 14. 12. 2019 auf sein Recht auf Grundversorgung (s § 77 Abs 1 Satz 2 ElWOG 2010; vgl auch Punkt XXVII Z 12 der AVNB) berufen habe, ist ihr entgegen zu halten, dass sie sich mit diesem Rechtsmittelvorbringen über das Neuerungsverbot hinwegsetzt. In erster Instanz hat der Kläger eine entsprechende Prozessbehauptung nicht aufgestellt. Vorgelegte Urkunden können fehlendes Vorbringen nicht ersetzen (RS0038037 [T3, T7]). Vor diesem Hintergrund geht auch der in diesem Zusammenhang erhobene, jedoch nicht näher konkretisierte Vorwurf der Aktenwidrigkeit ins Leere.
[14] 2.5.1. Wie ein bestimmtes Klagebegehren bzw das dazu erstattete Prozessvorbringen zu verstehen ist, ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig und stellt regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar, sofern das Berufungsgericht zu einem vertretbaren Auslegungsergebnis gelangt ist (RS0042828 [T25, T27]).
[15] Weshalb die Auffassung des Berufungsgerichts, es entspreche dem eigenen erstinstanzlichen Vorbringen des Klägers, dass er mit der Beklagten einen Vertrag zur Stromversorgung seiner Liegenschaft abgeschlossen habe, das Bestehen zweier Verträge habe er in erster Instanz nicht behauptet, unrichtig sein soll, legt die Revision aber nicht dar.
[16] 2.5.2. Allein aus dem Hinweis auf den formalen Aspekt der Errichtung zweier Vertragsurkunden gleichen Datums, lässt sich überdies nicht ableiten, dass ein einheitliches Vertragsverhältnis keinesfalls vorliegen habe können. Nähere inhaltliche Erwägungen dazu, weshalb entgegen der Annahme der Vorinstanzen hinsichtlich des Allgemeinstroms und des Heizungsstroms kein einheitlich zu beurteilender Netzzugangsvertrag vorliegen solle, stellt die Revision nicht an und verabsäumt solcherart, eine aufzugreifende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts darzutun.
[17] 2.5.3. Ausgehend von der Prämisse eines einheitlichen Vertragsverhältnisses ist auch die daran anschließende rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts vertretbar, wonach die Beklagte aufgrund des vom Kläger über Monate hinweg andauernden, letztlich von ihm zu vertretenden liefervertragslosen Zustands in Ansehung des Zählers 2 und unter Bedachtnahme auf den Umstand, dass ohne Zutrittsmöglichkeit zur Liegenschaft nur die physische Trennung der gesamten Anlage des Klägers vom Netz der Beklagten technisch durchführbar war, bei Trennung der Netzverbindung der gesamten Anlage nicht rechtswidrig gehandelt habe.
[18] 2.6. Die Bestimmung des Punkt XXVII Z 1 Satz 2 der AVNB statuiert schon nach ihrem unmissverständlichen Wortlaut bloß eine Verpflichtung des Netzkunden, dem Netzbetreiber – unter bestimmten Voraussetzungen – Zugang zur Messeinrichtung zu ermöglichen bzw ihm die Messeinrichtung herauszugeben. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, aus dieser Bestimmung folge nicht, dass die Beklagte im Vorfeld der Abschaltung die Pflicht getroffen hätte, den Kläger aufzufordern, ihr Zutritt zu seiner Liegenschaft zu gewähren, um die physische Abschaltung nur der Verbindung zum Zähler 2 durchführen zu können, ist daher nicht korrekturbedürftig. Weitergehende Überlegungen, aus denen sich eine solche Verpflichtung der Beklagten ergeben hätte können, stellt die Revision nicht an. Im Übrigen lehnte der Kläger nach den Feststellungen das Angebot der Beklagten, die Stromzufuhr zu Zähler 1 bei Zutrittgewährung zur Liegenschaft unverzüglich wieder einzuschalten mehrmals ab!
[19] 3. Da somit Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zu beurteilen sind, ist die Revision zurückzuweisen. Mit seinem unzulässigen Schriftsatz (Urkundenvorlage) vom 14. 10. 2022 verstößt der Kläger gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels und der Unzulässigkeit von Nachträgen und Ergänzungen (vgl RS0041666).
[20] 4. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.