3Ob172/22y – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Mag. E* S* und 2. Ing. A* S*, beide vertreten durch Dr. Roland Kassowitz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A* N*, vertreten durch Mag. Markus Bulgarini, Rechtsanwalt in Wien, dieser vertreten durch die Höhne, In der Maur Partner Rechtsanwälte GmbH Co KG in Wien, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 15. Juni 2022, GZ 38 R 70/22h 37, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] Nach ständiger Rechtsprechung ist es – entgegen der in der außerordentlichen Revision vertretenen Ansicht – zur Verhinderung einer stillschweigenden Erneuerung des Bestandvertrags nach § 569 ZPO dadurch, dass der Bestandnehmer nach Ablauf der Bestandzeit fortfährt, den Bestandgegenstand zu gebrauchen oder zu benützen, nicht unbedingt notwendig, dass der Bestandgeber innerhalb der in der Vorschrift genannten Frist Räumungsklage erhebt (vgl RS0020764; RS0033050 [T2]). Es reicht aufgrund der verba legalia „und der Bestandgeber es dabei bewenden lässt“ , dass in dieser Frist nach außen erkennbare Erklärungen und Schritte geschehen, die objektiv betrachtet keinen Zweifel an der Ablehnung der Erneuerung des Bestandverhältnisses zulassen (vgl RS0020764 [T2]; RS0020790). Eine derartige Handlung oder Erklärung kann auch schon vor Ablauf der Bestandzeit erfolgen; sie muss nur in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Ende der Bestandzeit stehen (RS0020764 [T6]). Bei Vorliegen eines der Annahme einer stillschweigenden Vertragsverlängerung entgegenstehenden, zeitnah vor dem Vertragsende oder innerhalb der in § 569 ZPO genannten Frist nach Vertragsende gesetzten Verhaltens kann aber der Umstand, dass anschließend lange mit der Räumungsklage zugewartet wird, den Schluss rechtfertigen, die stillschweigende Verlängerung des Vertrags werde jetzt doch akzeptiert (vgl RS0033050 [T2]).
[2] Das Bestandverhältnis lief am 30. April 2021 aus. Nach den Feststellungen wurde – aufgrund der Berücksichtigung des Umstands, dass der 1. Mai Staatsfeiertag und der 2. Mai ein Sonntag war, offensichtlich zeitnah vor dem Vertragsende – zwischen der Hausverwaltung und dem beklagten Mieter die Rückstellung der Wohnung für Anfang Mai, nach dem Wochenende 1. und 2. Mai, vereinbart. Die Hausverwaltung versuchte erfolglos den Beklagten telefonisch zu erreichen, um mit ihm den exakten Rückgabetermin zu vereinbaren, und sandte ihm hierauf am 7. Mai auch E-Mails. Nachdem es der Hausverwaltung an einem nicht mehr feststellbaren Tag Anfang Mai gelungen war, den Beklagten zu erreichen, erklärte dieser, er wolle bei der Rückstellung „einen Rechtsanwalt dabeihaben“, und weil dieser in der laufenden Woche keine Zeit habe, werde er sich bei der Hausverwaltung hinsichtlich der Rückstellung melden. Nachdem sich der Beklagte bis zum 17. Mai weiterhin nicht gemeldet hatte, fragte die Hausverwaltung bei ihm nach, wann nun der Übergabetermin stattfinden werde, worauf dieser ihr am 18. Mai mitteilte, dass er die Wohnung nicht zurückstellen werde. Am 19. Mai wurde die Räumungsklage eingebracht.
[3] Dem Gericht ist bei der Beurteilung des Verhaltens des Bestandgebers ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, in dem alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. Nur wenn dieser Beurteilungsspielraum verlassen wird, stellt das eine erhebliche Rechtsfrage dar (RS0020790 [T1]). Dass das Berufungsgericht seinen Beurteilungsspielraum überschritten hätte, wird im Rechtsmittel nicht dargetan. Die Beurteilung, dass die festgestellten Betreibungen der Rückstellung der Wohnung durch die Hausverwaltung objektiv betrachtet keinen Zweifel an der Ablehnung der Erneuerung des Bestandverhältnisses durch die klagenden Vermieter zuließen, ist jedenfalls vertretbar.