JudikaturOGH

11Os102/22t – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. November 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. November 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kornauth als Schriftführer in der Strafsache gegen M* R* wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3a Z 1 erster Fall, Abs 4 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 25. Mai 2022, GZ 12 Hv 57/21z 25, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde M* R* des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, [Abs 2,] Abs 3a Z 1 erster Fall, Abs 4 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er ab einem nicht näher bekannten Zeitpunkt Ende 2015/Anfang 2016 bis Mai 2021 in * gegen seinen * 2005 geborenen Stiefsohn F* R* eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, wobei er die Taten teilweise gegen eine unmündige Person beging und die Gewalt gegen eine unmündige Person länger als ein Jahr ausübte, indem er ihn

- durch Schläge mit der flachen Hand vorsätzlich am Körper misshandelte, wobei diese Vorfälle zunächst nahezu ein Mal wöchentlich stattfanden und sich danach über drei Jahre sukzessive häuften, sodass es zu mehreren Übergriffen pro Woche kam;

- ab September 2020 mehrmals (ca zwei bis drei Mal monatlich) vorsätzlich am Körper durch Erfassen am Hals oder unter dem Kinn, Hochheben und Drücken gegen eine Wand, einen Schrank, gegen eine Tür und teilweise gegen eine Türschnalle (was zusätzliche Schmerzen verursachte) misshandelte, wobei er sich danach mehrmals auf den Kopf des zu Boden gefallenen oder „geschupften“ F* R* kniete;

- ab September 2020 durch beinahe tägliches „Schupfen“ vorsätzlich am Körper misshandelte;

- im Sommer 2020 durch Versetzen eines Schlages, wodurch F* R* gegen einen Schreibtisch geschleudert wurde, und anschließendem Drücken auf den Tisch und Zufügen mehrerer Kratzwunden am Rücken mit einem Schlüssel vorsätzlich am Körper verletzte;

- im März/April 2021 durch Zerren oder/und „Schupfen“ in die Küche und „Schupfen“ und Drücken seines Kopfes auf die Küchenbank vorsätzlich am Körper verletzte, wobei F* R* eine aufgeplatzte Lippe erlitt;

- in einer Nacht im Winter 2020/2021 durch ca dreißigminütiges Aussperren ins Freie vorsätzlich am Körper misshandelte, wobei F* R* nur mit einer Unterhose bekleidet auf der kalten und nassen Terrasse ausharren musste.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Z 5a des § 281 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur schlechterdings unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS-Justiz RS0118780) .

[5] Die Tatrichter gründeten die entscheidenden – den Schuldspruch tragenden – Feststellungen unter anderem auf die von ihnen auf Grund des persönlichen Eindrucks (ON 24 S 8) für glaubhaft erachtete Aussage des F* R* (US 6 ff – vgl RIS-Justiz RS0106588 [T8, T9, T14]), die gutachterlichen Ausführungen des medizinischen Sachverständigen zur Plausibilität dieser Angaben (US 7 f; ON 24 S 8 ff) und auf (ebenso für glaubhaft befundene – vgl RIS-Justiz RS0099419) Aussagen von drei Schulfreunden, die über wahrgenommene Verletzungen und Erzählungen des F* R* zur Person des Angeklagten als Verursacher dieser Verletzungen berichteten (US 8 f; ON 19 S 6 ff, S 10 ff und S 13 ff). Des weiteren legten die Tatrichter nachvollziehbar dar, weshalb sie der leugnenden Verantwortung des Angeklagten (ON 19 S 3 ff), dem sie keinen glaubhaften Eindruck zubilligten, und der damit korrespondierenden Aussage von dessen Ehefrau (ON 19 S 15 ff, ON 24 S 7 f) nicht gefolgt sind (US 11 f).

[6] Die Tatsachenrüge (Z 5a) behauptet – ohnedies in Übereinstimmung mit den tatrichterlichen Erwägungen (US 10) – F* R* habe gegenüber den in der Familie tätigen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern keine Andeutungen über Gewalt gemacht, befragte Nachbarinnen hätten Gewalttätigkeiten nicht beobachtet und grundsätzliche gerichtsmedizinische Überlegungen würden keinen Nachweis für Gewalttätigkeiten liefern. Solcherart erweckt sie ebenso wenig sich aus den Akten ergebende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen wie mit eigenständigen Beweiswerterwägungen unter isolierter Hervorhebung von Details in der Aussage des F* R* zu nicht entscheidenden Umständen.

[7] Sie bekämpft insgesamt bloß die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld ( Ratz , WK StPO §§ 280–296a Rz 11, 13).

[8] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

[9] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rückverweise