11Os94/22s – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 15. November 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kornauth als Schriftführer in der Strafsache gegen * A* und weitere Angeklagte wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 87 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten * A* und * Y* sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft betreffend diese Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 11. Mai 2022, GZ 36 Hv 92/21k 123, sowie die Beschwerden der Angeklagten A* und Y* und die Beschwerde der Staatsanwaltschaft betreffend diese Angeklagten gegen einen Beschluss gemäß § 494a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Den Angeklagten A* und Y* fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerden relevant wurden mit dem angefochtenen Urteil A* und Y* des Vergehens der kriminellen Vereinigung nach § 278 Abs 1 StGB (I) und A* zudem je eines Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG (III) und des Betruges nach §§ 146, 15 StGB (IV) schuldig erkannt.
[2] Danach haben
I) A* und Y* am 6. Oktober 2021 in W* und S* durch deren Vereinbarung, in welche noch eine weitere unbekannte Person als Auftraggeber involviert war, künftig (als Geldeintreiber) Verbrechen bzw erhebliche Gewalttaten gegen Leib und Leben nicht mehr ausforschbarer 13 Personen zu verüben, eine kriminelle Vereinigung gegründet;
III) A* von einem unbestimmten Zeitpunkt bis zum 4. November 2021 in W*, wenn auch nur fahrlässig, eine Waffe, und zwar ein [„Einhandmesser“ (US 12)] besessen, obwohl ihm dies gemäß § 12 WaffG verboten ist;
IV) A* am 4. Mai 2020 in W* gemeinsam mit dem rechtskräftig verurteilten U* Ya* als Mittäter (§ 12 StGB) mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz * K* durch die Vorgabe, im Auftrag und mit Vollmacht des * C* aufzutreten, mithin durch Täuschung über Tatsachen zu Handlungen, die die H* GmbH in einem 5.000 Euro nicht übersteigenden Betrag am Vermögen schädigten bzw schädigen sollten,
A) verleitet, und zwar zum Abschluss von zwei Mobilfunkverträgen und zur Übergabe von zwei im Urteil näher bezeichneten Mobiltelefonen im Wert von 2.470 Euro;
B) zu verleiten versucht, und zwar zum Abschluss eines weiteren Mobilfunkvertrags und zur Übergabe eines im Urteil näher bezeichneten Mobiltelefons im Wert von 1.260 Euro.
Rechtliche Beurteilung
[3] Gegen dieses Urteil richten sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des A* sowie die aus Z 5 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Y*.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des * A*:
[4] Das Schöffengericht leitete die – den Schuldspruch zu I) tragenden – Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen (US 7) mängelfrei aus in der Hauptverhandlung vorgekommenen (ON 122 S 9 f und 14 f) Telefonprotokollen, dem getrübten Vorleben der Angeklagten und einer bereits geplanten absichtlichen schweren Körperverletzung ab (US 11 ff). Entgegen dem Einwand der Mängelrüge ist diese Begründung weder aktenwidrig (Z 5 fünfter Fall – vgl RIS Justiz RS0099524) noch unvollständig (Z 5 zweiter Fall – vgl RIS Justiz RS0099599) noch stellt sie eine „Scheinbegründung“ (Z 5 vierter Fall – vgl RIS Justiz RS0099563) dar.
[5] Vielmehr bekämpft die Rüge mit eigenständigen Beweiswerterwägungen zu vom Erstgericht ohnedies berücksichtigten Aufzeichnungen der Telefonate der Angeklagten A* und Y* (vgl US 11 f), insbesondere zum Telefonat vom 6. Oktober 2021 (Wortprotokoll Nr 5 in ON 7, 5 f), sowie zu den Angaben des Zeugen A* Ya* (ON 102 S 32 ff, vgl US 12) und mit der Behauptung, aus dem Wortprotokoll Nr 4 vom 15. Oktober 2021 (ON 7, 7) sei ersichtlich, dass A* es abgelehnt habe, Schulden mit Gewalt einzutreiben, bloß die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld ( Ratz , WK StPO §§ 280–296a Rz 11, 13).
[6] Soweit die Rüge in den beweiswürdigenden Erwägungen des Schöffengerichts, wonach vom Angeklagten A* auch andere Kommunikationsmittel herangezogen wurden, er zu massiven Gewalthandlungen bereit war und bei seiner Festnahme ein „Einhandmesser“ bei sich führte (US 11 f), eine Scheinbegründung (Z 5 vierter Fall) erblickt, nimmt sie nicht – wie geboten (RIS Justiz RS0119370) – an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe Maß und wendet sich solcherart erneut unzulässig gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung.
[7] Indem die Tatsachenrüge (Z 5a) zum Schuldspruch zu I) auf Beweiswerterwägungen der Mängelrüge zu „vorliegenden Tonbandprotokollen“ verweist und behauptet, es sei bedenklich, aufgrund der Beweisergebnisse in ihrer Gesamtheit von der Gründung einer kriminellen Vereinigung auszugehen, erweckt sie keine sich aus den Akten ergebende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen (RIS Justiz RS0118780, RS0119583).
[8] Entgegen der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zum Schuldspruch zu III) haben die Tatrichter die Konstatierungen zur subjektiven Tatseite mängelfrei aus dem äußeren Tatgeschehen (RIS-Justiz RS0098671, RS0116882), der Aussage des Beschwerdeführers zu seinem Wissen um das Waffenverbot und aus dessen vorangegangenen gerichtlichen Verurteilung wegen § 50 WaffG (US 5) abgeleitet (US 14).
[9] Soweit die Rüge zum Schuldspruch IV) Nichtigkeit nach „§ 281 Abs 1 Z 5 StPO“ mit der Behauptung moniert, die Feststellung, der Angeklagte habe darüber getäuscht, im Auftrag und mit Vollmacht des * C* gehandelt zu haben (US 8), stehe mit den Angaben des Genannten nicht in Einklang und aus dieser Aussage wiederum mit eigenständigen Beweiswerterwägungen für den Angeklagten günstigere Schlüsse zieht, versäumt sie erneut eine an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe (US 14 f) orientierte gesetzesgemäße Ausführung.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des * Y*:
[10] Die Kritik (Z 5 vierter Fall), die Feststellungen der Tatrichter zur Gründung der Vereinigung aufgrund notorischer Geldnot der Angeklagten A* und Y* und zu einer auf die Erlangung einer mehrmonatigen Einnahmequelle gerichteten Absicht der genannten Angeklagten (US 7), sei unbegründet, spricht keine entscheidende Tatsache an (RIS Justiz RS0088761).
[11] Indem sich die Rüge (Z 5 zweiter, vierter und fünfter Fall) nicht deutlich und bestimmt (§§ 285 Abs 1, 285a Z 1 StPO) auf konkrete Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (RIS Justiz RS0117499, RS0117264) bezieht, vielmehr einzelne beweiswürdigende Erwägungen der Tatrichter zur leugnenden Verantwortung des Angeklagten Y* und zur fehlenden Glaubhaftigkeit der Zeugen U* Ya* und A* Ya* kritisiert, verfehlt sie von vornherein den Bezugspunkt der unternommenen Anfechtung (RIS Justiz RS0130729).
[12] Insgesamt bekämpft die Rüge wiederum bloß die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld ( Ratz , WK StPO §§ 280–296a Rz 11, 13).
[13] Die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten * A* und * Y* waren daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, aber entgegen der dazu erstatteten Äußerung des Angeklagten A* – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).
[14] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.