11Os75/22x – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 15. November 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kornauth als Schriftführer in der Strafsache gegen * S* wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 29. April 2022, GZ 79 Hv 12/22d 20, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * S* des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (I), der Vergehen der sexuellen Belästigung nach § 218 Abs 1 Z 1 StGB (II und III), der Verbrechen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (IV/B), der Vergehen der sexuellen Belästigung nach § 218 Abs 1a StGB (IV/A/1 und 2), des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 2013/116 (IV/C) und der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in P*
I) zu einem unbekannten Zeitpunkt im Zeitraum 2012/2013 die * 1999 geborene * St* mit Gewalt zu einer Handlung bzw Duldung, nämlich auf ihm zu liegen, genötigt, indem er sie auf sich zog, sodass sie mit der Körpervorderseite auf ihm lag, und sie trotz ihrer Bitte, sie gehen zu lassen, durch Umarmen ein bis zwei Minuten festhielt;
II ) die * 1997 geborene * R* im Zeitraum April bis Juli 2014 in wiederholten Angriffen durch eine geschlechtliche Handlung an ihr belästigt, indem er mit seiner Hand unter ihre Bekleidung fuhr und ihre nackte Brust betastete;
III) * W* im Sommer 2015 in wiederholten Angriffen durch eine geschlechtliche Handlung an ihr belästigt, indem er ihre Brust betastete;
IV) die * 2001 geborene * Z*
A) im Zeitraum Juli 2016 bis Herbst 2016 in wiederholten Angriffen durch intensive Berührung einer der Geschlechtssphäre zuzuordnenden Körperstelle in ihrer Würde verletzt, indem er
1) wiederholt – teilweise sogar nahezu täglich – gegen ihren Willen über der Bekleidung ihr Gesäß und ihren Oberschenkel streichelte;
2) an der damals Fünfzehnjährigen eine geschlechtliche Handlung vornahm, indem er ihren bekleideten Intimbereich zielgerichtet und intensiv betastete;
B) in wiederholten Angriffen außer den Fällen des § 201 StGB mit Gewalt zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er sie
1) im Zeitraum August 2016 bis zu einem unbekannten Zeitpunkt vor Ende August 2017 wiederholt gegen eine Wand drückte und unter beischlafsähnlichen Bewegungen sein Becken immer wieder gegen ihr Becken drückte, sodass sich die bekleideten Intimbereiche berührten;
2) im Zeitraum Herbst 2016 bis August 2017 festhielt bzw fixierte und mit seiner Hand unter ihrer Bekleidung ihre nackte Brust betastete;
C) zu einem unbekannten Zeitpunkt Ende August 2017 mit Gewalt zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung nötigte, indem er sie mit einer Hand fixierte und mit der anderen Hand unter ihre Bekleidung fuhr und seine Finger in ihre Vagina einführte;
V) im Zeitraum Juli und August 2016 mit einer minderjährigen Person, die seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person eine geschlechtliche Handlung vorgenommen, indem er als Arbeitgeber beim Sommerpraktikum der * 2001 geborenen * Z* die zu Punkt IV/A/2 und IV/B/1 angeführten Handlungen setzte.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 9 lit a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[4] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurde durch die Abweisung (ON 19 S 12) des Antrags auf Vernehmung der * Sp* Verteidigungsrechte nicht verletzt. Der Beweisantrag zielte darauf ab, die Glaubhaftigkeit der Zeuginnen * Z* und * R* zu erschüttern und war solcherart grundsätzlich auf erhebliche Tatsachen gerichtet, weil die Beweisführung zur Beweiskraft von – wie hier – schulderheblichen Beweismitteln ihrerseits für die Schuldfrage von Bedeutung ist (RIS Justiz RS0028345; Ratz , WK StPO § 281 Rz 340, 350).
[5] Berechtigt ist ein solcher Antrag aber nur dann, wenn sich aus dem Antragsvorbringen konkrete Anhaltspunkte für die Annahme ergeben, der betreffende Zeuge habe in Bezug auf eine entscheidende Tatsache die Unwahrheit gesagt, wenn also dargetan wird, dass der Zeuge rechtskräftig wegen Verleumdung verurteilt worden ist, zum konkreten Verfahrensgegenstand bereits falsche Angaben gemacht hat oder eine habituelle Falschbezichtigungstendenz erkennen lässt (RIS Justiz RS0120109).
[6] Diesen Erfordernissen wird der gegenständliche A ntrag mit dem Vorbringen, die Zeuginnen Z* und R* hätten ihre Pferde zuvor bei * Sp* eingestellt gehabt und auch diese Reitstallbesitzerin über „gewisse Tatsachen angelogen“ und „die Unwahrheit gesagt“, nicht gerecht.
[7] Der weitere Antrag auf Vernehmung der * P* zum Nachweis, dass diese keine Wahrnehmungen zum sexuellen Missbrauch durch den Angeklagten hat (ON 19 S 12), ließ nicht erkennen, warum die Genannte während des mehrere Jahre umfassenden Tatzeitraums die Möglichkeit gehabt haben sollte, das Verhalten des Angeklagten lückenlos wahrzunehmen und lief solcherart auf im Hauptverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung hinaus (RIS Justiz RS0099353; Ratz , WK StPO § 281 Rz 330).
[8] Die in der Nichtigkeitsbeschwerde nachgetragenen Argumente als Versuch einer Antragsfundierung sind prozessual verspätet und daher unzulässig (RIS Justiz RS0099117 [T18]).
[9] Die Feststellungen zu den vom Schuldspruch zu II, IV und V umfassten Tathandlungen gründeten die Tatrichter auf entsprechende Angaben der Opfer * Z* (ON 19 S 6 f) und * R* (ON 19 S 7 f), von deren Glaubhaftigkeit sie sich aufgrund des von den Genannten in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks überzeugten (US 9 f – RIS Justiz RS0106588).
[10] Indem die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) anhand eigenständig entwickelter Beweiswerterwägungen (wonach gleichzeitiges Fixieren mit beiden Händen und Durchführen einer vaginalen Penetration [vgl jedoch US 8, wonach das Opfer mit einer Hand des Angeklagten fixiert wurde], gleichzeitiges Lenken eines Fahrzeugs und Öffnen eines BHs sowie die Berührung von Geschlechtsteilen bei einem Größenunterschied nicht möglich sei) von jenen der Tatricher (die die leugnende Verantwortung des Angeklagten sowie die Aussage der Zeugin D* ohnedies in ihre Erwägungen miteinbezogen haben – US 9 f und 12) abweichende günstigere Schlussfolgerungen anstrebt, zeigt sie kein Begründungsdefizit auf (RIS Justiz RS0098400).
[11] Sie bekämpft vielmehr die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung (§ 285 Abs 2 StPO nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld ( Ratz , WK StPO Vor §§ 280–296a Rz 11, 13).
[12] Soweit sich die Rüge einleitend auch auf die Nichtigkeitsgründe der Z 9 lit a und Z 10 des § 281 Abs 1 StPO bezieht, hiezu jedoch inhaltlich kein Vorbringen erstattet, blieb die Nichtigkeitsbeschwerde mangels deutlicher und bestimmter Bezeichnung von angeblich Nichtigkeit bewirkenden Umständen unausgeführt (§§ 285d Abs 1, 285a Z 2 StPO).
[13] Sie war bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).
[14] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.