JudikaturOGH

2Ob114/22m – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Oktober 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon. Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L*, vertreten durch Dr. Franz Haunschmidt und Mag. Peter Breiteneder, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei U*, vertreten durch Ing. Mag. Klaus Helm, Rechtsanwalt in Linz, wegen 54.964,07 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse: 29.054,82 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 26. April 2022, GZ 4 R 10/22a 43, mit welchem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Linz vom 1. Dezember 2021, GZ 1 Cg 138/19p 39, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.883,16 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 313,86 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Das klagende Land begehrt mit seiner am 5. 12. 2019 eingebrachten Klage – soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse – als Legalzessionar nach § 43 Abs 1 Oö. ChG (Landesgesetz betreffend die Chancengleichheit von Menschen mit Beeinträchtigungen, LGBl 2008/41 idgF) Geldersatz für Leistungen, die im Rahmen persönlicher Assistenz iSd § 13 Oö. ChG zu Gunsten einer bei einem Verkehrsunfall am 27. 7. 2011 Geschädigten im Zeitraum zwischen 1. 1. 2017 und 30. 6. 2019 erbracht wurden.

[2] Die Vorinstanzen gaben der Klage insoweit statt. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nachträglich zu, weil die Rechtsansicht der Beklagten zu verjährungsrechtlichen Fragen „nicht völlig abwegig“ sei und Rechtsprechung zu § 43 Oö. ChG fehle.

Rechtliche Beurteilung

[3] Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision nicht zulässig , weil keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zu beantworten ist.

1. § 43 Abs 1 Oö. ChG lautet auszugsweise:

„Kann ein Mensch mit Beeinträchtigungen den Ersatz des Aufwands, der ihm durch einen Unfall oder ein sonstiges Ereignis entstanden ist, auf Grund anderer Rechtsvorschriften beanspruchen, geht dieser Anspruch gegen die ersatzpflichtige Person mit Ausnahme eines Schmerzengelds insoweit auf das Land über, als es aus diesem Anlass Leistungen nach diesem Landesgesetz erbringt.“

[4] 1.1. Die mit dieser Norm zu Gunsten des Landes angeordnete Legalzession stellt nach ihrem klaren Wortlaut (allein) auf die tatsächliche Leistungserbringung als Zeitpunkt des Forderungsübergangs ab (vgl bereits 2 Ob 43/95 zur vom Wortlaut her [„erbringt“] ganz vergleichbaren Bestimmung des § 8b Stmk. LVBG). Auf den Zeitpunkt der Erlassung jenes Bescheids (§ 24 Abs 1 Z 1 Oö. ChG), mit dem der Geschädigten Leistungen im Rahmen persönlicher Assistenz (§ 8 Abs 1 Z 5 iVm § 13 Oö. ChG) gewährt wurden, kommt es damit entgegen der Annahme der Beklagten nicht an. Entscheidend für den Forderungsübergang ist vielmehr allein die tatsächliche Erbringung von Leistungen aus Anlass von unfallbedingten Beeinträchtigungen eines Menschen.

[5] 1.2. Aufgrund des klaren Wortlauts der auszulegenden Gesetzesbestimmung ist in diesem Zusammenhang keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zu beantworten (RS0042656).

[6] 2. Die Beklagte gab am 2. 5. 2014 ein konstitutives Haftungsanerkenntnis als KFZ Haftpflicht-versicherer für alle künftigen unfallkausalen Schäden aus dem Unfall vom 27. 7. 2011 „mit der Wirkung eines Feststellungsurteils“ ab. Da die Geschädigte damit vor Eintritt der erst durch die tatsächliche Leistungserbringung in den Jahren 2017 bis 2019 bewirkten Legalzession ein zur Unterbrechung der Verjährung führendes konstitutives Anerkenntnis (vgl zu dessen Wirkungen RS0034315) erlangt hat und dieses in einem solchen Fall auch zu Gunsten des Legalzessionars wirkt (RS0034606), haben die Vorinstanzen den Verjährungseinwand der Beklagten in nicht korrekturbedürftiger Weise als nicht stichhältig erachtet.

[7] 3. Die Abweisung eines vom Land in einem Vorprozess erhobenen Feststellungsbegehrens vermag daran nichts zu ändern, weil sich aus den (bei Ermittlung der Rechtskraftwirkung einer abweisenden Entscheidung vermehrt heranziehenden: RS0043259) Entscheidungsgründen eindeutig ergibt, dass das Erstgericht im Vorprozess das Feststellungsinteresse des Landes nur deshalb verneinte, weil die grundsätzliche Ersatzpflicht der Beklagten ohnehin nicht in Frage stehe. Die Schlussfolgerung der Beklagten, aus der Abweisung des Feststellungsbegehrens im Vorprozess ergebe sich eine „negative Feststellungswirkung“, erweist sich vor diesem Hintergrund als nicht überzeugend.

[8] 4. Die Schlüssigkeit einer Klage kann nur anhand der konkreten Behauptungen im Einzelfall geprüft werden (RS0037780). Die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger habe durch Anführung des Stundenausmaßes der erbrachten Leistungen, nähere Beschreibung deren Inhalts und Nennung eines Stundensatzes hinreichend schlüssiges Vorbringen erstattet, ist unter Beachtung der von der Rechtsprechung in diesem Zusammenhang gestellten Anforderungen (vgl RS0037907) jedenfalls vertretbar.

[9] 5. Das in der Revision behauptete Abweichen des Berufungsgerichts von den Entscheidungen 2 Ob 190/09v und 2 Ob 200/11t liegt nicht vor, enthalten diese doch keine Ausführungen zu Fragen der hier zu beurteilenden Legalzession. Da sich der Kläger im vorliegenden Fall darauf stützt, auf ihn sei im Weg der Legalzession der Anspruch der Geschädigten auf Kostenersatz für unfallkausal vermehrte Bedürfnisse übergegangen, macht er gerade keinen bloß mittelbaren (eigenen) Schaden geltend.

[10] 6. Die Vorinstanzen haben ihren Ausführungen zur Höhe des angemessenen Stundensatzes den vom Erstgericht festgestellten Mindestlohntarif für eine Heimhilfe von rund 20 EUR zu Grunde gelegt. Dieses Vorgehen erweist sich unter Bedachtnahme auf die ständige Rechtsprechung zum Ersatz von Pflegeleistungen im schadenersatzrechtlichen Kontext (RS0031691) als jedenfalls vertretbar. Die in der Revision zitierte Entscheidung 5 Ob 86/19m betrifft die Frage der Angemessenheit von Stundensätzen im Zusammenhang mit bereicherungsrechtlichen Ansprüchen analog § 1435 ABGB im Familienkreis und ist damit nicht unmittelbar einschlägig.

[11] 7 . Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Da der Kläger in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, diente sein Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.

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