JudikaturOGH

3Ob78/22z – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. September 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K* B*, vertreten durch Dr. Felix Graf, Rechtsanwalt in Feldkirch, gegen die beklagte Partei Dr. E* V*, Rechtsanwalt *, wegen 10.173,07 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 18. Jänner 2022, GZ 2 R 357/21w 24, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Feldkirch vom 13. Juli 2021, GZ 3 C 224/20b 18, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 781,92 EUR (darin enthalten 130,32 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Mit der vorliegenden Drittschuldnerklage macht die Klägerin , die im Vorprozess (als Beklagte) gegen ihre Mutter obsiegt hatte, zur Hereinbringung ihrer Kostenforderung aus dem Vorprozess die ihr exekutiv überwiesenen Schadenersatzansprüche ihrer Mutter gegen deren hier beklagten Rechtsvertreter im Vorprozess aus dem Titel der Falschberatung geltend.

[2] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

[3] Das Berufungsgericht gab der Klage nach Beweiswiederholung hingegen statt. Über Antrag des Beklagten nach § 508 ZPO sprach es nachträglich aus, dass die ordentliche Revision doch zulässig sei, weil zur Frage, ob ein Rechtsanwalt, der unter Berücksichtigung eines bereits erstellten Klagsentwurfs zum Verfahrenshelfer bestellt werde, selbständig und unabhängig von der rechtlichen Beurteilung des Gerichts im Rahmen der Bewilligung der Verfahrenshilfe eine allfällige Aussichtslosigkeit der Klagsführung prüfen und die vertretene Person darüber deutlich belehren müsse, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

[5] 1.1 Der Umstand, dass der Oberste Gerichtshof zu einer bestimmten Frage oder Sachverhaltskonstellation noch nicht ausdrücklich Stellung genommen hat, begründet dann keine erhebliche Rechtsfrage, wenn die Rechtslage durch den klaren Wortlaut der anzuwendenden Norm eindeutig ist oder die relevanten Grundsätze in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs geklärt sind (RS0102181; RS0042656; 3 Ob 70/22y).

[6] 1.2 Die Grundsätze zur Beurteilung der Haftung eines Rechtsanwalts wegen einer unterbliebenen Aufklärung oder mangelhaften Beratung sind in der Rechtsprechung geklärt. Die Revision des Beklagten bietet keinen Anlass für weitere Klarstellungen.

[7] Gemäß § 9 RAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die Rechte seiner Partei mit Gewissenhaftigkeit zu vertreten. Er haftet seinem Mandanten gegenüber für Unkenntnis der Gesetze sowie einhelliger Rechtsprechung und Lehre. Er muss diesen, soll diese Haftung ausgeschlossen werden, aufklären, wenn nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes oder nach der einhelligen herrschenden Rechtsübung eine Prozessführung aussichtslos erscheint. Gerade gegenüber einer rechtsunkundigen Partei hat die Belehrung derart klar und deutlich zu erfolgen, dass der Mandant die Aussichtslosigkeit rechtlicher Schritte und die Kostenfolgen klar erkennen kann (RS0038663 [T8]; 7 Ob 59/15z; 4 Ob 102/22m). Diese Haftungsgrundsätze gelten auch für einen Verfahrenshelfer (RS0109721).

[8] Die Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung spielt auch für die Bewilligung der Verfahrenshilfe eine Rolle. So ist einer Partei – bei Vorliegen der vermögensrechtlichen Voraussetzungen – die Verfahrenshilfe nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Offenbar aussichtslos in diesem Sinn ist eine solche Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, die schon ohne nähere Prüfung der Angriffs- oder Abwehrmittel als erfolglos erkannt werden kann (RS0117144; 10 Nc 11/20d; 8 ObA 65/13m).

[9] Aus den dargelegten Grundsätzen folgt, dass für die Beurteilung der Verfahrenshilfevoraussetzungen einerseits und der Haftung eines Rechtsanwalts andererseits im hier maßgebenden Kontext der Aussichtslosigkeit einer Klagsführung unterschiedliche Prüfkalküle bestehen. Während für die Bewilligung der Verfahrenshilfe eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs genügt (RS0117144), ist für den Rechtsanwalt bei Beurteilung der Erfolgsaussichten einer beabsichtigten Klagsführung der Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB maßgebend. Aufgrund der klaren Rechtslage ist gesichert, dass ein Rechtsanwalt auch dann, wenn dem Kläger unter Vorlage eines Klagsentwurfs (hier des Beklagten selbst) die Verfahrenshilfe bewilligt wurde, die selbständige und volle Prüf- und Beratungspflicht im Sinn des § 9 RAO (hier iVm § 16 Abs 2 RAO) trifft.

[10] 1.3 Die Ansicht des Beklagten, dass es im Vorhinein keine Aussichtslosigkeit einer Prozessführung gebe, weil der Oberste Gerichtshof von der ständigen Rechtsprechung auch abweichen könne, ist schon deshalb nicht stichhaltig, weil sich ein Rechtsanwalt im Rahmen seiner Aufklärungs- und Beratungspflichten vor allem an der aktuell einschlägigen Rechtsprechung zur orientieren hat (vgl auch 4 Ob 102/22m), die für den Anlassfall eindeutig und beständig ist (RS0083003; 6 Ob 167/17b).

[11] 2.1 Die weiteren Ausführungen in der Revision, mit denen der Beklagte die vom Berufungsgericht nach Beweiswiederholung getroffene (Ersatz )Feststellung über die anwaltliche Aufklärung der Klägerin im Vorprozess bekämpft, richten sich gegen die Beweiswürdigung, die vor dem Obersten Gerichtshof allerdings nicht mehr in Zweifel gezogen werden kann (4 Ob 96/20a; 3 Ob 63/22v mwN).

[12] 2.2 Die Ansicht des Beklagten, der Klägerin sei bislang kein Schaden entstanden, weil ihr die Verfahrenshilfe bewilligt worden sei, ist schon deshalb nicht tragfähig, weil die Klägerin keinen eigenen Schadenersatzanspruch geltend macht, sondern die ihr titelmäßig zugesprochene Kostenforderung gegen ihre Mutter durchsetzen will. Der Mutter der Klägerin ist aus deren Kostenersatzpflicht im Vorprozess ein Schaden entstanden, weil die Kostenbefreiung aufgrund der bewilligten Verfahrenshilfe nur das Verhältnis zum eigenen Rechtsvertreter betrifft.

[13] 3. Zusammenfassend gelingt es dem Beklagten mit seinen Ausführungen nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen.

[14] Die Revision war daher zurückzuweisen.

[15] Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO; die Klägerin hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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