JudikaturOGH

11Os89/22f – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. September 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. September 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Turner als Schriftführer in der Strafsache gegen M* K* wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3a Z 1, Abs 4 vierter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 24. März 2022, GZ 64 Hv 94/21f 27, weiters über die Beschwerde der Genannten gegen einen Beschluss gemäß § 494 StPO, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil, dessen Ausfertigung auch einen Beschluss gemäß § 50 Abs 1 und § 51 Abs 2 StGB enthält (vgl aber RIS-Justiz RS0126528), wurde M* K* (abweichend von der auch auf Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, „Abs 2“, Abs 3a Z 1, Abs 4 vierter Fall StGB gerichteten Anklage – ON 15) der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und nach §§ 15 Abs 1, 83 Abs 1 StGB (I) und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in S*

I) nachgenannte Personen am Körper verletzt oder zu verletzen versucht, und zwar

A) zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Jahr 2014 * I* durch Versetzen eines Schlages ins Gesicht, wobei es beim Versuch blieb;

B) A* K*

1) im Zeitraum seit zumindest 2015 bis 2020 durch Versetzen von mehreren Schlägen mit der flachen Hand ins Gesicht, durch einen Fußtritt gegen den Oberkörper, durch mehrmalige Schläge mit einem Eishockeyschläger auf die Unterschenkel sowie durch Schläge mit einem „Küchenrollenständer“ auf die Hände, wobei es jeweils beim Versuch blieb;

2) im Zeitraum seit zumindest 2015 bis 2020 durch Versetzen von mehreren Schlägen mit einem Gürtel, was Striemenverletzungen sowie rote Flecken zur Folge hatte;

3) am 20. August 2020 durch Versetzen von Handballenstößen gegen den Oberkörper und Schlägen mit der flachen Hand ins Gesicht, wobei es beim Versuch blieb;

C) Ma* K*

1) am 4. Dezember 2020 durch 10 bis 15 Schläge ins Gesicht, was eine Nasen- und Lippenblutung zur Folge hatte;

2) im Zeitraum seit zumindest 2015 bis Dezember 2020 zwei Mal durch Versetzen von Schlägen mit einem Gürtel, was Striemenverletzungen sowie rote Flecken zur Folge hatte;

II) zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Sommer 2019 * I* durch die Äußerung „ich werde dich jetzt richtig schlagen!“ mit einer V erletzung am Körper gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Der Sohn des Angeklagten A* K* erklärte im Rahmen seiner kontradiktorischen Vernehmung nach erfolgter Belehrung über seine Aussagebefreiung gemäß § 156 Abs 1 Z 1 StPO nicht aussagen zu wollen (ON 11).

[5] Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurde der in der Hauptverhandlung gestellte Antrag des Angeklagten auf Vernehmung des A* K* zum Beweis dafür, „dass die von * I* erhobenen Vorwürfe zum Großteil unrichtig sind, insbesondere dass keine fortgesetzte Gewaltausübung iSd § 107b Abs 1, 2 und 3a Z 1, Abs 4 vierter Fall StGB vorlag und es hier maximal – so wie vom Angeklagten zugestanden – eine Körperverletzung gegeben hat“, ohne Verletzung von Verteidigungsrechten abgewiesen (ON 23 S 17 iVm ON 26 S 2 f).

[6] Denn der Antragsteller legte nicht dar, weshalb sich A* K* – ungeachtet seiner Erklärung im Rahmen seiner kontradiktorischen Vernehmung (ON 11 – vgl zur Geltendmachung des Rechts auf Aussagebefreiung bereits vor der Hauptverhandlung RIS Justiz RS0111315), in dem gegen seinen Vater geführten Strafverfahren nicht aussagen zu wollen – dennoch zu einer Aussage in der Hauptverhandlung bereit finden werde (RIS Justiz RS0117928; vgl im Übrigen den dagegen sprechenden Bericht ON 24).

[7] Im Rechtsmittel nachgetragene Ausführungen zur Antragsfundierung haben angesichts des sich aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes ergebenden Neuerungsverbots auf sich zu beruhen (RIS Justiz RS0099618).

[8] Der Mängel (Z 5) und Tatsachenrüge (Z 5a) ist vorauszuschicken, dass die tatrichterliche Beurteilung der Überzeugungskraft von Personalbeweisen (also die Glaubhaftigkeit von Zeugen und Angeklagten) – so sie wie hier nicht undeutlich (Z 5 erster Fall) oder in sich widersprüchlich (Z 5 dritter Fall) ist – der unternommenen Anfechtung entzogen ist (RIS Justiz RS0099419; Ratz , WK StPO § 281 Rz 431). Sie kann zwar unter dem Aspekt der Unvollständigkeit (zum Umfang der Kontrolle durch das Rechtsmittelgericht vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 421; RIS Justiz RS0118316) mangelhaft erscheinen, wenn sich das Gericht mit gegen die Glaubhaftigkeit sprechenden Beweisergebnissen nicht auseinandergesetzt hat. Der Bezugspunkt besteht jedoch ausschließlich in den Feststellungen über entscheidende Tatsachen (RIS Justiz RS0119422 [T2, T4, T6]; Ratz , WK StPO § 281 Rz 398 ff [432]).

[9] Die Tatrichter gründeten die entscheidenden – den Schuldspruch tragenden – Feststellungen auf die von ihnen mit eingehender Begründung für glaubhaft erachteten Angaben der Zeugin I* und legten nachvollziehbar dar, weshalb sie der überwiegend leugnenden oder die Vorfälle zu eigenen G unsten relativierenden Verantwortung des Angeklagten nicht gefolgt sind (US 6 ff).

[10] Indem die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) diese Erwägungen des Erstgerichts als „reine Scheinbegründung“ kritisiert und anhand eigenständig entwickelter Beweiswerterwägungen (fehlende „objektivierte[n] Verletzungsspuren“, Unterlassen einer sofortigen Anzeigeerstattung durch I* und Unzulässigkeit des Schlusses auf dominantes Verhalten des Angeklagten zufolge dessen Insistieren auf Vernehmung seines Sohnes A*, der sich der Aussage entschlagen hatte) zu nicht entscheidenden Umständen von jenen der Tatrichter abweichende Schlussfolgerungen anstrebt, zeigt sie ein Begründungsdefizit ebenso wenig auf (RIS Justiz RS0098400) wie mit der Behauptung (Z 5 zweiter Fall), das Erstgericht habe die als Schutzbehauptung gewertete Aussage des Angeklagten „regelrecht“ übergangen.

[11] Gleiches gilt für die Tatsachenrüge (Z 5a), die mit der weitgehend selben und darüber nicht hinausgehenden Argumentation keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen erweckt (RIS Justiz RS0119583, RS0118780).

[12] Entgegen der Kritik fehlender Begründung zur „subjektiven Tatbestandsebene“ ist der vom Erstgericht aus dem gezeigten objektiven Verhalten des Angeklagten gezogene Schluss auf dessen zugrunde liegendes Wollen und Wissen (US 8 f) rechtsstaatlich ohne weiteres vertretbar und bei leugnenden Angeklagten in aller Regel methodisch auch gar nicht zu ersetzen (RIS Justiz RS0116882; Ratz , WK StPO § 281 Rz 452).

[13] Mängel und Tatsachenrüge bekämpfen insgesamt bloß die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld ( Ratz , WK StPO Vor §§ 280–296a Rz 11, 13).

[14] Zum Schuldspruch zu I A behauptet die Rüge Verjährung der Tat (der Sache nach Z 9 lit b), weil eine Bezugnahme auf Feststellungen zur neuerlichen Delinquenz des Angeklagten im Zeitraum 2015 bis 2020 im nicht rechtskräftigen Urteil „denkunmöglich“ sei. Solcherart leitet sie nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (vgl RIS Justiz RS 0116569 ), weshalb es nicht genügen sollte, dass der Schuldspruch wegen der Taten, die auf der gleichen schädlichen Neigung beruhen und die Ablaufhemmung eintreten lassen, in dem Urteil erfolgt, das auch den Schuldspruch wegen der Tat enthält, deren Verjährung verneint wird ( Marek in WK 2 StGB § 58 Rz 7; RIS Justiz RS0092038).

[15] Die gesetzmäßige Ausführung einer Diversionsrüge (Z 10a) erfordert eine methodisch korrekte Argumentation auf Basis der Tatsachenfeststellung unter Beachtung der Notwendigkeit des kumulativen Vorliegens sämtlicher Diversionsvoraussetzungen (RIS Justiz RS0124801, RS0116823).

[16] Abgesehen davon, dass die Rüge mit der Behauptung, es liege eine „mangelnde Verantwortungsübernahme […] nicht vor“, jene Urteilsannahmen (US 6 f) übergeht , die eine Verantwortungsübernahme des Beschwerdeführers für das (gesamte) vom Urteil umfasste Tatgeschehen ausschließen, legt sie nicht dar, weshalb ungeachtet dessen, dass der Angeklagte (sogar noch) am Schluss der Verhandlung einen Freispruch forderte (ON 26 S 3), keine spezialpräventiven Bedenken begründet sein sollten (zum leugnenden Angeklagten in der Hauptverhandlung vgl Schroll/Kert , WK StPO § 198 Rz 36/4 und RIS Justiz RS0126734 [T4]).

[17] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung und die (implizierte Beschwerde) folgt (§§ 285i; 498 Abs 3 StPO).

[18] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rückverweise