JudikaturOGH

11Os67/22w – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. September 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. September 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Turner als Schriftführer in der Strafsache gegen * S* wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Geschworenengericht vom 1. Februar 2022, GZ 15 Hv 4/21x 45a, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde * S* des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 11. Oktober 2021 in T* * K* zu töten versucht, indem er [a] mit einem Messer zumindest dreimal auf ihn einstach, wodurch dieser eine Stichwunde im Bereich der linken seitlichen Schulterregion mit einem oberflächlichen, in den Weichteilen endenden Stichkanal, eine Stichwunde an der linken Rückenregion in Höhe der Schulterblattspitze mit einem rund 6 cm in die Tiefe reichenden, die linke Brusthöhle eröffnenden und das Lungengewebe verletzenden Stichkanal sowie eine Stichwunde an der linken seitlichen Hüftregion mit einem rund 5 cm langen, annähernd horizontal bis in die Muskulatur verlaufenden Stichkanal erlitt, und [b] diesem durch einen Tritt mit dem Fuß in dessen Gesicht eine Prellung der Nase mit Blutunterlaufung am Nasenrücken und Bruch des linken Anteils der Nasenbeinpyramide zufügte, wobei es nur deshalb beim Versuch blieb, weil * K* flüchten konnte und im Krankenhaus T* kurze Zeit nach der Tat notoperiert wurde.

[3] Die Geschworenen bejahten die in Richtung des versuchten Mordes gestellte Hauptfrage I und verneinten die Zusatzfragen nach Notwehr (I), Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt, Putativnotwehr und Putativnotwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt (II). Eventualfragen nach Totschlag (I), absichtlicher schwerer Körperverletzung (II), schwerer Körperverletzung (III) und fahrlässiger Körperverletzung blieben demzufolge unbeantwortet.

Rechtliche Beurteilung

[4] Gegen das Urteil richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 1, 5, 6, 9, 10a, 11 lit a und 12 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[5] Der Besetzungsrüge (Z 1) zuwider begründet die Zuständigkeit des beisitzenden Richters * für ein zu AZ 19 Hv 109/21t des Landesgerichts St. Pölten gegen * K* wegen des Vergehens der Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 15 StGB unter anderem zum Nachteil des Angeklagten geführtes Verfahren, somit für ein Verfahren wegen nicht von der gegenständlichen Anklage umfasster Vorwürfe, keine Ausgeschlossenheit nach § 43 Abs 2 StPO ( Lässig , WK StPO § 43 Rz 16; vgl auch RIS Justiz RS0097314 [T10]) und ist per se nicht geeignet, bei einem verständig würdigenden objektiven Beurteiler die Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit des genannten Richters im Sinn des § 43 Abs 1 Z 3 StPO in Zweifel zu setzen ( Lässig , WK-StPO § 43 Rz 10, 12; RIS Justiz RS0096914).

[6] Mit der – zufolge des unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Berichtigungsbeschlusses des Vorsitzenden vom vom 7. April 2022 zudem überholten (vgl ON 52 S 1 iVm ON 45a) – Kritik, in der ursprünglichen Urteilsausfertigung ON 45 finde sich der Name eines in der Hauptverhandlung nicht anwesenden Richters, wird kein Besetzungsmangel im Sinn des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes geltend gemacht (13 Os 11/21y Rz 4).

[7] Die Verfahrensrüge (Z 5) reklamiert unterbliebenes „Nachstellen von Stichbewegungen“ und „lautes Abspielen der Tonbandaufnahme der * F*“ in der Hauptverhandlung. Dem genügt zu erwidern, dass der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung am 1. Februar 2022 keine darauf bezogenen, dem § 55 Abs 1 StPO entsprechenden Anträge gestellt hat (ON 52 S 2 und S 4 f iVm ON 44a S 16 und S 74 – vgl § 302 Abs 1 StPO iVm § 238 StPO; Ratz , WK StPO § 281 Rz 302 ff [327]). Das ergänzende Vorbringen im Rechtsmittel ist im Übrigen aufgrund des Neuerungsverbots unbeachtlich (RIS Justiz  RS0099618, RS0099117 [T20]).

[8] Das aus „§ 345 Abs 1 Z 6 StPO und 11 lit a“ erstattete Vorbringen vernachlässigt den wesensmäßigen Unterschied der Nichtigkeitsgründe (vgl RIS Justiz RS0115902).

[9] Soweit den Kriterien eines Nichtigkeitsgrundes zuordenbar, ist zu erwidern:

[10] Ebenso wie in Hauptfragen (§ 312 StPO) ist auch in Eventualfragen (§ 314 StPO) die Tat zu individualisieren und zu konkretisieren (RIS-Justiz RS0119082, RS0100686; Lässig , WK-StPO § 312 Rz 17 ff und § 314 Rz 1).

[11] Indem sich die Beschwerde (der Sache nach Z 6) bloß darauf beschränkt, einzelne Beweisergebnisse anzusprechen, bleibt unklar, aus welchem Grund es zur Konkretisierung der Fragestellung nach einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung im Sinn des § 76 StGB (Eventualfrage I) der Aufnahme von Passagen der Verantwortung des Angeklagten sowie der Wiedergabe einzelner Textnachrichten des Opfers bedurft hätte (vgl SSt 56/7; RIS-Justiz RS0092347).

[12] Mit der Behauptung (der Sache nach Z 8), das Tatbestandsmerkmal der allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung sei den Geschworenen nicht ausreichend erläutert worden, negiert die Beschwerde den Inhalt der erteilten Rechtsbelehrung (ON 44a S 91 ff; vgl aber RIS Justiz RS0119549) und legt überdies nicht dar, inwiefern sich die behauptete Unrichtigkeit der Rechtsbelehrung auf die Beantwortung der Hauptfrage ausgewirkt haben sollte (RIS Justiz RS0110682 [T1]; RS0111311).

[13] Im Übrigen fällt das Zurückführen der in den Fragen aufgenommenen gesetzlichen Merkmale auf den ihnen zu Grunde liegenden Sachverhalt überhaupt nicht in den Rahmen der aus Z 8 des § 345 Abs 1 StPO anfechtbaren Rechtsbelehrung, sondern ist Sache der nach § 323 Abs 2 StPO abzuhaltenden Besprechung (RIS-Justiz RS0100843; vgl auch RIS-Justiz RS0101130).

[14] Soweit die Rüge (der Sache nach Z 11 lit a) unter Hinweis auf einzelne Verfahrensergebnisse behauptet, der Angeklagte habe sich in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung befunden, nimmt sie nicht Maß an den im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten Tatsachen und verfehlt solcherart den Bezugspunkt materiell-rechtlicher Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0101527).

[15] Mit der aus „Z 6, 9 und 12“ erhobenen Kritik (vgl jedoch erneut RIS Justiz RS0115902) an der Zusammenfassung der Anklagepunkte I (in Richtung versuchtem Mord) und II (in Richtung schwerer Körperverletzung – vgl die Anklageschrift ON 21) – als tatbestandliche Handlungseinheit (RIS Justiz RS0122006) – in der Hauptfrage I als Unterpunkte a und b ist die Rüge (der Sache nach Z 6) nicht zum Vorteil des Angeklagten ausgeführt (§§ 344, 282 StPO). Gleiches gilt für die Behauptung (nominell „Z 6 und Zif 12“), die Aufnahme des Sachverhalts als Unterpunkt b in die Hauptfrage I nach Mord sei „jedenfalls rechtlich verfehlt“, weil „der Fußtritt gegen den Flüchtenden zu einem Zeitpunkt gesetzt wurde, als die versuchte Tötungshandlung bereits abgeschlossen war“. Denn bei Annahme von zwei real konkurrierenden strafbaren Handlungen wäre für jede eine eigene, somit eine zweite Hauptfrage zu stellen gewesen ( Lässig , WK-StPO § 312 Rz 16; Ratz , WK StPO § 345 Rz 37; RIS-Justiz RS0117640 [insb T5]).

[16] Mit dem Hinweis auf die allgemeine menschliche Erfahrung, die leugnende Verantwortung des Beschwerdeführers (ON 32), mehrere Textnachrichten des Opfers (ON 8,1 bis 8,7) sowie die Ergebnisse des Verfahrens AZ 19 Hv 109/21t des Landesgerichts St. Pölten erweckt die Tatsachenrüge (Z 10a) keine erheblichen Bedenken (vgl dazu RIS Justiz RS0118780) gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen. Indem sie daraus anhand eigener Beweiswerterwägungen ableitet, der Beschwerdeführer habe sich im Affekt zur Tat hinreißen lassen, übt sie bloß unzulässig Kritik an der Beweiswürdigung der Geschworenen nach Art einer im geschworenengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.

[17] Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher – im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§§ 344, 285i StPO).

[18] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rückverweise