JudikaturOGH

8ObA57/22y – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. August 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner und den Hofrat Dr. Thunhart (Senat gemäß § 11a Abs 3 Z 1 ASGG) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ing. L*, BSc, *, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bundesministerium für Landesverteidigung), vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17–19, wegen 11.706,25 EUR brutto sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Mai 2022, GZ 9 Ra 26/22t 20, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Das Revisionsverfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union im Verfahren C-650/21 über das Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts hofs vom 18. Oktober 2021 zu Ra 2020/12/0068 unterbrochen.

Das Revisionsverfahren wird nach Vorliegen der Vorabentscheidung von Amts wegen fortgesetzt.

Text

Begründung:

[1] Der Kläger begehrt die Feststellung seines Vorrückungsstichtags als Vertragsbediensteter mit 17. 11. 1993 sowie die sich daraus ergebende Gehaltsdifferenz. Die Beklagte hätte ihm bei der Neufestsetzung seines Vorrückungsstichtags die vor Vollendung seines 18. Lebensjahrs absolvierte Lehr- und Praktikumszeit zur Gänze anrechnen müssen, weil § 94c Abs 4 VBG, wonach „sonstige Zeiten“ nur beschränkt anrechenbar seien, aufgrund der damit verbundenen Altersdiskriminierung unionsrechts- und verfassungswidrig sei.

[2] Die Vorinstanzen haben seine Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers.

Rechtliche Beurteilung

[3] 1. Der EuGH sprach zu C 88/08, Hütter , aus, dass die damalige österreichische Rechtslage, nach der bei der Festlegung der Dienstaltersstufe von Vertragsbediensteten des öffentlichen Dienstes die Berücksichtigung von vor Vollendung des 18. Lebensjahrs liegenden Dienstzeiten ausgeschlossen war, gegen Art 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf verstößt, was eine Änderung des österreichischen Vertragsbedienstetengesetzes erforderlich gemacht hat.

[4] 2. Die 2. Dienstrechts-Novelle 2019, BGBl I 58/2019, sieht nunmehr mit § 94b Abs 1 VBG eine Neueinstufung jener Vertragsbediensteten vor, deren Vorrückungsstichtag unter Ausschluss der Anrechnung der vor dem 18. Geburtstag zurückgelegten Zeiten festgesetzt wurde. Nach § 94c Abs 2 Z 1 VBG ist für die Ermittlung des Vergleichsstichtags die Bestimmung des § 26 Abs 1 Z 2 lit b VBG idF der 2. Dienstrechts-Novelle 2007, BGBl I 96/2007 anzuwenden, wonach bestimmte sonstige Zeiten bis zu drei Jahren zur Gänze und bis zu weiteren drei Jahren zur Hälfte anzurechnen sind. Nach § 94c Abs 4 VBG sind diese zur Hälfte zu berücksichtigenden sonstigen Zeiten bei der Ermittlung des Vergleichsstichtags aber nur insoweit voranzustellen, als sie das Ausmaß von vier zur Hälfte zu berücksichtigenden Jahren übersteigen.

[5] 3. Der Oberste Gerichtshof hat zu 9 ObA 94/20v und 9 ObA 31/21f ausgesprochen, dass mit § 94c Abs 4 VBG keine Altersdiskriminierung verbunden ist, weil diese Vorschrift „sonstige Zeiten“ unabhängig von ihrer Lage im Lebensalter des Vertragsbediensteten betrifft und auch Zeiten nach dem 18. Lebensjahr erfasst. Auch der Verfassungsgerichtshof hat zu G 63/2022 4 von der Behandlung des Antrags des Klägers, § 94c Abs 4 VBG als verfassungswidrig aufzuheben, mangels Aussicht auf Erfolg abgesehen.

[6] 4 . Im Gegensatz dazu hatte der VwGH zu Ra 2020/12/0068 Bedenken an der Unionsrechtskonformität der § 94c Abs 4 VBG entsprechenden Regelung in § 169g Abs 4 GehG, weil die beschränkte Anrechnung dazu führe, dass Dienstnehmer, die ihre sonstigen Zeiten vor Vollendung des 18. Lebensjahrs erworben haben, keine Verbesserung ihrer besoldungsrechtlichen Stellung erfahren haben. Der VwGH legte deshalb dem EuGH unter anderem folgende Frage zur Vorabentscheidung vor:

Ist das Unionsrecht, insbesondere Art. 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78/EG iVm Art. 21 der Grundrechtecharta, dahin auszulegen, dass es einer nationalen Regelung entgegensteht, mit der ein altersdiskriminierendes Besoldungssystem durch ein Besoldungssystem ersetzt wird, bei dem sich die Einstufung eines Beamten weiterhin nach dem gemäß dem alten Besoldungssystem zu einem bestimmten Überleitungsmonat (Februar 2015) nicht diskriminierungsfrei ermittelten Besoldungsdienstalter bestimmt und dabei zwar einer Korrektur hinsichtlich der ursprünglich ermittelten Vordienstzeiten durch Ermittlung eines Vergleichsstichtags unterzogen wird, bei dem aber hinsichtlich der nach dem 18. Geburtstag gelegenen Zeiten nur die sonstigen zur Hälfte zu berücksichtigenden Zeiten einer Überprüfung unterliegen und bei dem der Ausweitung des Zeitraums, in dem Vordienstzeiten zu berücksichtigen sind, um vier Jahre damit begegnet wird, dass die sonstigen, zur Hälfte zu berücksichtigenden Zeiten bei der Ermittlung des Vergleichsstichtags nur insoweit voranzusetzen sind, als sie das Ausmaß von vier zur Hälfte zu berücksichtigenden Jahren übersteigen (Pauschalabzug von vier zur Hälfte zu berücksichtigenden Jahren)?

[7] 5. Das Verfahren ist derzeit zu C 650/21 beim EuGH anhängig. Da der gestellten Frage für die vorliegende Rechtssache Bedeutung zukommt und der Oberste Gerichtshof auch in Rechtssachen, in denen er nicht unmittelbar Anlassfallgericht ist, von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des EuGH auszugehen und diese anzuwenden hat, ist es zweckmäßig und geboten, mit der Entscheidung bis zu jener des EuGH über das bereits gestellte Vorabentscheidungsersuchen zuzuwarten und das gegenständliche Revisionsverfahren zu unterbrechen (RIS Justiz RS0110583).

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