7Ob80/22y – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S* G*, vertreten durch die PRIME LAW El-Juaneh Romanek Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei W* AG, *, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 85.715,06 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. März 2022, GZ 5 R 29/22d 20, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1.1. Revisionsgründe und Revisionsantrag stehen in einem logischen Zusammenhang, sodass bei der Beurteilung des Umfangs der Anfechtung auch die Revisionsgründe zu berücksichtigen sind (vgl RS0042142). Teilanfechtung und damit Teilrechtskraft treten nur ein, wenn die Teilanfechtung zweifelsfrei nach objektiven Auslegungskriterien erklärt ist, wobei der gesamte Inhalt des Rechtsmittels heranzuziehen ist (RS0036653). Beruht der in der Revision enthaltene Rechtsmittelantrag auf einem offenbaren Fehler und erhellt der richtige Antrag aus den geltend gemachten Rechtsmittelgründen, darf die Revision nicht zurückgewiesen werden (vgl RS0042215).
[2] 1.2. Auch wenn der Kläger in seinem Revisionsantrag eine Abänderung des Berufungsurteils dahin begehrt, dass seinem Klagebegehren zur Gänze stattgegeben werde, ergibt sich aus den Revisionsgründen in einer jeden Zweifel ausschließenden Klarheit, dass er mit der Revision lediglich einen Zuspruch von 36.849,06 EUR anstrebt. Er bekämpft nämlich inhaltlich ausschließlich die vom Berufungsgericht verneinte Garantiezusage und führt in der Revision abschließend aus, dass die Beklagte nach Bezahlung eines Betrags von 48.866 EUR noch den darüber hinausgehenden Betrag in Höhe von 36.849,06 EUR schulde.
[3] 2.1. Bei Auslegung einer Willenserklärung nach den §§ 914 ff ABGB ist zunächst vom Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung auszugehen, dabei aber nicht stehen zu bleiben, sondern der Wille der Parteien, das ist die dem Erklärungsempfänger erkennbare Absicht des Erklärenden, zu erforschen (RS0017915). Es ist dabei das gesamte Verhalten der Vertragsteile, das sich aus Äußerungen in Wort und Schrift sowie aus sonstigem Tun oder Nichttun zusammensetzen kann, zu berücksichtigen (RS0017915 [T15, T29, T44]). Letztlich ist die Willenserklärung so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht, wobei die Umstände der Erklärung und die im Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche heranzuziehen sind (RS0017915). Fragen der Vertragsauslegung kommt in der Regel keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu, sofern keine auffallende Fehlbeurteilung, also eine krasse Verkennung der Auslegungsgrundsätze vorliegt, die im Interesse der Rechtssicherheit wahrgenommen werden muss ( RS0112106 [T1]).
[4] 2.2. Im vorliegenden Fall steht fest, dass der Angestellte der Beklagten auf jenem Durchschlag des Versicherungsantrags, der dem Kläger ausgehändigt wurde, handschriftlich „Erl.Summe 710.952“ und unmittelbar daneben „1 179,465“ hinzugefügt hat. Unmittelbar darunter stand der Hinweis, dass die Zahlenangaben über die Gewinnbeteiligung auf Schätzungen beruhten, denen die gegenwärtigen Verhältnisse zugrunde gelegt worden seien, weil die in den künftigen Jahren erzielbaren Überschüsse nicht vorausgesehen werden könnten; solche Angaben seien daher unverbindlich. Nicht festgestellt werden konnte, ob dem Kläger zugesagt worden wäre, dass ihm für den Fall, dass er das Ende der Laufzeit erlebe, eine zusätzliche „Erlebenssumme“ von 710.952 ATS zustehe, wobei ihm unter Berücksichtigung der zu erwartenden Gewinnbeteiligung sogar 1.179.465 ATS ausgezahlt werden würden.
[5] 2.3. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer habe die im Antrag handschriftlich angeführten Summe nicht als zugesicherte, sondern prognostizierte Beträge verstehen müssen, ist angesichts des eindeutigen schriftlichen Hinweises und der nicht feststellbaren mündlichen Zusage nicht korrekturbedürftig.
[6] 2.4. Die Zweifelsregel des § 915 ABGB kommt nur zur Anwendung, wenn die erklärte Absicht der Parteien mit den Auslegungsregeln des § 914 ABGB nicht ermittelt werden kann (RS0109295; RS0017951). Kann – wie hier – mit den Auslegungsregeln des § 914 ABGB das Auslangen gefunden werden, liegt der Fall des § 915 2. Halbsatz ABGB (undeutliche Äußerung) nicht vor (RS0017752).
[7] 3. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).