Der Oberste Gerichtshof hat am 18. August 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Dr. Blecha in der Strafsache gegen * B* wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 2 erster Satz StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 144 Hv 1/22f des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts als Schöffengericht vom 14. April 2022, GZ 144 Hv 1/22f 78, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Artner zu Recht erkannt:
Im Verfahren gegen * B*, AZ 144 Hv 1/22f des Landesgerichts für Strafsachen Wien, verletzt der mit Urteil vom 14. April 2022 (ON 78) erfolgte nachträgliche Strafausspruch zum Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 16. Dezember 2021, AZ 144 Hv 88/21y, § 15 Abs 1 JGG.
Es werden das erstgenannte Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie der unter einem gemäß § 494 Abs 1 StPO ergangene Beschluss aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf nachträglichen Strafausspruch (ON 78 S 2) wird abgewiesen.
Gründe:
[1] * B* wurde – unter verfehlter Anfertigung eines Protokollvermerks (§ 32 Abs 2 JGG; vgl 12 Os 5/11v) – mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 16. Dezember 2021, AZ 144 Hv 88/21y (ON 23 in AZ 144 Hv 1/22f des Landesgerichts für Strafsachen Wien) des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 und 2 StGB schuldig erkannt. Nach § 13 Abs 1 JGG wurde der Ausspruch einer Strafe für eine Probezeit von zwei Jahren vorbehalten.
[2] Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 14. April 2022, GZ 144 Hv 1/22f 78, wurde * B* der Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (I./1./ bis 5./), des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 2 erster Satz StGB (I./6./) und der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 5 Z 2 StGB (II./) sowie des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (III./) schuldig erkannt und zu einer teilweise bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt. Unter einem erfolgte nach §§ 15, 16 JGG ein nachträglicher Strafausspruch zu AZ 144 Hv 88/21y des Landesgerichts für Strafsachen Wien.
[3] Sämtliche abgeurteilten Straftaten wurden vor dem Urteil verübt, mit dem der Ausspruch einer Strafe vorbehalten wurde (vgl ON 78 S 2 f).
[4] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, steht der nachträgliche Sanktionsausspruch mit dem Gesetz nicht im Einklang.
[5] Nach § 15 Abs 1 JGG kann wegen einer vor Ablauf der Probezeit begangenen strafbaren Handlung eine nach § 13 Abs 1 JGG vorbehaltene Strafe ausgesprochen werden.
[6] Ein solches Vorgehen kommt (bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen) aber nur dann in Betracht, wenn der Rechtsbrecher wegen einer vor Ablauf der bereits in Gang gesetzten Probezeit begangenen Straftat neuerlich verurteilt wird (RIS-Justiz RS0088791 [T1]; Schroll in WK² JGG § 13 Rz 7, § 15 Rz 1). Das ist hinsichtlich des Urteils des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 14. April 2022, GZ 144 Hv 1/22f 78, nicht der Fall, weil die den nachträglichen Strafausspruch auslösenden Taten bereits vor der Anordnung des Sanktionsvorbehalts (§ 13 Abs 1 JGG) durch das Landesgericht für Strafsachen Wien im Verfahren AZ 144 Hv 88/21y verübt wurden.
[7] Somit war das Schöffengericht nicht befugt, die Strafe iSd § 15 Abs 1 JGG, § 494a Abs 1 Z 3 StPO nachträglich festzusetzen (vgl Schroll in WK 2 JGG § 15 Rz 1).
[8] Da sich diese Gesetzesverletzung zum Nachteil des Verurteilten auswirkt, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung mit der im Spruch ersichtlichen konkreten Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).
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