JudikaturOGH

10Nc13/22a – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. August 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ. Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden und durch die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Annerl als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj S*, geboren * 2005, wegen § 111 Abs 2 JN, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Silz vom 16. Dezember 2021, GZ 1 Pg 12/12b 23, 1 Ps 12/12b 188, verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Schwechat wird nicht genehmigt.

Text

Begründung:

[1] Die Obsorge über die Minderjährige kommt der Mutter zu. Die Verwaltung des Vermögens der Minderjährigen durch die Mutter wird iSd § 133 Abs 2 AußStrG überwacht.

[2] Am 25. November 2021 teilten die Mutter und die Minderjährige mit, jetzt gemeinsam „in Wien“ zu sein (1 Ps 12/12b 14). Nach den Auskünften aus dem Zentralen Melderegister hatten beide von 13. Dezember 2021 bis 12. Jänner 2022 in Fischamend ihren Hauptwohnsitz. Seit 12. Jänner 2022 befindet sich dieser jeweils in 1200 Wien (1 Pg 12/12b 205, 1 Pg 12/12b 206).

[3] Mit Beschluss vom 16. Dezember 2021 übertrug das Bezirksgericht Silz die Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache im Hinblick auf einen Wohnsitzwechsel der Minderjährigen dem Bezirksgericht Schwechat. Dieses lehnte die Übernahme unter Hinweis darauf ab, dass sich in den Pg Akten weder eine Vermögensaufstellung noch eine Pflegschaftsrechnung befinde und es „etliche unerledigte Anträge“ gebe ( 1 Pg 12/12b 185 ).

[4] Das Bezirksgericht Silz legte die Akten dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung nach § 111 Abs 2 JN vor.

Rechtliche Beurteilung

[5] 1. Gemäß § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Minderjährigen oder sonstigen Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere, wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird.

[6] 2.1. Abgesehen davon, dass „etliche unerledigt gebliebene Anträge“, wie in der Ablehnung der Übernahme behauptet, nicht ersichtlich sind, würden offene Anträge ohnedies nicht generell gegen eine Übertragung der Zuständigkeit sprechen (RIS Justiz RS0046929), sondern nur , wenn dem übertragenden Gericht zur Entscheidung eine besondere Sachkenntnis zukommt (RS0047032) oder das bisher zuständige Gericht (etwa aufgrund durchgeführter oder abgeschlossener Ermittlungen) zur Erledigung effizienter geeignet wäre (RS0046929 [T24]; RS0047032 [T38]). Für das Vorliegen solcher Hindernisse sind aus den vorgelegten Akten keine Anhaltspunkte ersichtlich.

[7] 2.2. Für die Beurteilung nach § 111 JN gleichermaßen ohne Belang sind die in der Ablehnung der Übernahme behaupteten Mängel der Akten- (RS0046993) oder der Verfahrensführung (RS0046192), sodass auch insofern kein Hindernis für eine Übertragung der Zuständigkeit ersichtlich ist.

[8] 3 . Ausschlaggebendes Kriterium einer Zuständigkeitsübertragung nach § 111 JN ist vielmehr stets das Kindeswohl (RS0047074). Dabei ist in der Regel das Naheverhältnis zwischen Pflegebefohlenen und Gericht von wesentlicher Bedeutung, sodass im Allgemeinen das Gericht am besten geeignet ist, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen Wohnsitz oder (gewöhnlichen) Aufenthalt hat ( RS0047300; RS0047074 [T18] ).

[9] 3.1. Die Minderjährige hatte ihren Wohnsitz zwar im Zeitpunkt der Beschlussfassung des übertragenden Gerichts (und auch in jenem der Ablehnung der Übernahme) im Sprengel des übernehmenden Gerichts. Die Minderjährige verlegte ihren Wohnsitz aber mittlerweile nach 1200 Wien.

[10] 3.2. Im Außerstreitverfahren ist der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt grundsätzlich der Zeitpunkt der (Bindung an die) Beschlussfassung durch das Gericht (5 Ob 47/17y; 6 Ob 82/12w; RS0007032 [T7]). Da die Übertragung der Zuständigkeit (im Fall der Weigerung des übernehmenden Gerichts) zur ihrer Wirksamkeit einer Genehmigung des übergeordneten Gerichts bedarf (§ 111 Abs 2 JN) und es sich dabei nicht um eine Überprüfung der Übertragungsentscheidung im Rechtsmittelweg handelt, kommt es hier nicht auf die Sachlage im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Übertragung (oder der Ablehnung der Übernahme) an, sondern auf jene im Zeitpunkt der Entscheidung über die Genehmigung der Zuständigkeitsübertragung nach § 111 Abs 2 JN.

[11] 3.3. Die nach der Beschlussfassung durch das übertragende Gericht eingetretene und aus den Akten ersichtliche Sachverhaltsänderung muss daher bei der Beurteilung, ob die Zuständigkeitsübertragung nach § 111 Abs 1 JN zu genehmigen ist, berücksichtigt werden. Danach befindet sich der Wohnsitz der Minderjährigen nicht im Sprengel des übernehmenden Gerichts, sodass letzteres folglich nicht als für die Führung des Verfahrens am besten geeignet angesehen werden kann. Da somit die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsübertragung nach § 111 JN an das Bezirksgericht Schwechat nicht vorliegen, ist sie nicht zu genehmigen.

Rückverweise