10ObS74/22p – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ. Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dora Camba (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Alexander Leitner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Parteien 1. M*, und 2. V*, beide *, beide vertreten durch Mag. DI Markus Petrowsky, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Partnerschaftsbonus, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 26. April 2022, GZ 9 Rs 117/21y 23, mit dem das Urteil des Arbeits und Sozialgerichts Wien vom 15. Oktober 2021, GZ 1 Cgs 29/21t, 1 Cgs 30/21i 12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge g egeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung lautet:
1. Die Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, den klagenden Parteien jeweils 500 EUR an Partnerschaftsbonus gemäß § 5b KBGG zu Handen des Klagevertreters zu zahlen, werden abgewiesen.
2. Die klagenden Parteien haben die Kosten des Verfahrens jeweils selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Im Revisionsverfahren sind die Fragen zu klären, ob bei der im Rahmen des Partnerschaftsbonus nach § 5b KBGG anzustellenden Beurteilung des annähernd gleichen Bezugs des Kinderbetreuungsgelds durch beide Elternteile im Verhältnis von mindestens 40 % zu höchstens 60 % die objektiven Bezugszeiten heranzuziehen sind und ob in weiterer Folge eine kaufmännische Rundung des Rechenergebnisses auf ganze Zahlen zu erfolgen hat.
[2] Anlässlich der Geburt ihrer Tochter am 10. Jänner 2020 beantragte die Zweitklägerin die Gewährung von Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens für den Zeitraum von 10. Jänner 2020 bis 31. Juli 2020. Im Anschluss an den Bezug von Wochengeld von 10. November 2019 bis 6. März 2020 gewährte ihr die beklagte Österreichische Gesundheitskasse von 7. März 2020 bis 31. Juli 2020 für 147 Tage Kinderbetreuungsgeld. Daraufhin bezog der Erstkläger aufgrund seines Antrags vom 29. Juni 2020 von 1. August 2020 bis 9. März 2021 für 221 Tage Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens.
[3] Mit Bescheiden vom 4. Mai 2021 wies die Beklagte die Anträge der Kläger auf Zuerkennung des Partnerschaftsbonus gemäß §§ 5b, 24e KBGG ab. Begründend wurde jeweils ausgeführt, dass die Aufteilung des Kinderbetreuungsgeldbezugs zwischen den beiden Elternteilen im Verhältnis 60,05 % zu 39,95 % außerhalb des gesetzlichen Rahmens von 60 % zu 40 % gemäß § 5b KBGG liege.
[4] Dagegen richten sich die vom Erstgericht zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen des Erstklägers und der Zweitklägerin mit den Anträgen auf Zuerkennung des Partnerschaftsbonus in der Höhe von jeweils 500 EUR. Die Kläger seien sich bei der Aufteilung des Kinderbetreuungsgelds nicht bewusst gewesen, dass das Kinderbetreuungsgeld für den Zeitraum des Bezugs des Wochengelds ruhe. Sie vertraten den Standpunkt, für die Berechnung des Partnerschaftsbonus sei dieser Zeitraum ebenfalls zu berücksichtigen. Selbst bei Außerachtlassen des Zeitraums des Wochengeldbezugs sei die prozentuelle Teilhabe am Kinderbetreuungsgeld kaufmännisch zu runden, was eine Aufteilung von 40 % für die Zweitklägerin und 60 % für den Erstkläger ergebe.
[5] Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. D ie in § 5b KBGG normierte Bandbreite von 60 % zu 40 % sei als absolute Grenze zu sehen. Jede Überschreitung widerspreche den klaren gesetzlichen Anforderungen für den Bezug des Partnerschaftsbonus.
[6] Das Erstgericht gab den Klagebegehren statt. Es komme auf die Zeiten des tatsächlichen Bezugs von Kinderbetreuungsgeld an. Die geringfügige Unter bzw Überschreitung des Bezugs von jeweils 0,05 % entspreche einer „annähernd gleichen Teilung“ des Bezugs im Sinne des § 5b KBGG. Dem Gesetzgeber gehe es darum, typische Konstellationen zu erfassen und zu gewährleisten, dass der Bezug zu annähernd gleichen Teilen erfolge. Dies sei bei 39,95 % zu Gunsten der Zweitklägerin und von 60,05 % hinsichtlich des Erstklägers zu bejahen.
[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Für das Verhältnis der Bezugszeiträume sei der tatsächliche Bezug maßgeblich. Im vorliegenden Fall liege eine Abweichung von dieser gesetzlichen Verteilungsbandbreite von nur fünf Hundertstel vor. Die kaufmännische Rundung des Ergebnisses der Rechenoperation bei der Feststellung der prozentuellen Verteilung der Zeiträume der Leistungsbezüge der Eltern erscheine gerechtfertigt, weil sie zur Ausschaltung (nach oben und unten) vernachlässigbarer Größenordnungen führe. So sei die Aufteilung von 39,95 % zu 60,05 % kaufmännisch auf- bzw abzurunden und führe zu dem für den Bezug des Partnerschaftsbonus von § 5b KBGG vorausgesetzten Aufteilungsverhältnis von 60 % zu 40 %.
[8] Die Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu.
[9] Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten .
[10] Die Kläger haben von der Erstattung der (ihnen freigestellten) Revisionsbeantwortung Abstand genommen .
[11] Die Revision ist zulässig und berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[12] 1. Die Vorinstanzen gingen zutreffend davon aus, dass für die Frage, welche Bezugszeiträume bei den Klägern jeweils maßgeblich sind , die Zeiten des tatsächlichen (und nicht des beantragten) Bezugs von Kinderbetreuungsgeld maßgeblich sind.
[13] 1.1. Die ersten beiden Sätze des § 5b KBGG lauten:
Haben die Eltern das Kinderbetreuungsgeld für dasselbe Kind zu annähernd gleichen Teilen, mindestens jedoch im Ausmaß von je 124 Tagen, beansprucht, so gebührt jedem Elternteil nach Ende des Anspruchszeitraumes auf Antrag ein Partnerschaftsbonus in Höhe von 500 Euro als Einmalzahlung. Zu annähernd gleichen Teilen im Sinne dieses Bundesgesetzes beziehen Eltern nur dann, wenn der eine Elternteil mindestens 40 % und der andere Elternteil maximal 60 % bezieht.
[14] 1.2. Zwar spricht der erste Satz der Bestimmung von „beansprucht“, was darauf hindeuten könnte, dass bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzung des Bezugs des Kinderbetreuungsgelds zu annähernd gleichen Teilen auf den Antragsinhalt abzustellen ist; dementsprechend könnte auch der zweite Satz, nach dem der tatsächliche Bezug relevant ist, so ausgelegt werden, dass der im Zeitpunkt der Antragstellung absehbare tatsächliche Bezug des Kinderbetreuungsgelds maßgeblich sei.
[15] 1.3. Mit dem Partnerschaftsbonus sollten allerdings eine partnerschaftliche Aufteilung der Kinderbetreuung und damit auch des Kinderbetreuungsgeldbezugs angereizt und Eltern daher für einen gleich langen Leistungsbezug belohnt werden (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 8; insofern unterscheidet sich der Zweck des Partnerschaftsbonus auch von jenem der Mindestbezugsdauer nach § 3 Abs 5, § 14 und § 24 Abs 4 KBGG). Der Charakter dieser Leistung als – entweder zur Gänze zustehende oder nicht zustehende – Belohnung spricht dafür, nur das objektive Vorliegen eines Bezugs von Kinderbetreuungsgeld anzuknüpfen. Nur tatsächliche und rechtmäßige (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 8) Bezugszeiten – nicht aber Zeiten eines Verzichts oder (wie im Fall der Zweitklägerin) des Ruhens des Anspruchs auf Kinderbetreuungsgeld ( Holzmann Windhofer in Holzmann-Windhofer/Weißenböck , Kinderbetreuungsgeldgesetz 82 [Anm 2 zu § 5b KBGG]) – sind somit der Beurteilung, ob die Elternteile zu annähernd gleichen Teilen bezogen haben, zugrunde zu legen, unabhängig davon, ob ein Elternteil bei der Antragstellung von einem anderen Bezugszeitraum ausging oder ausgehen durfte.
[16] 1.4. Bezugszeiträume sind in diesem Zusammenhang nur Zeiten, für die Kinderbetreuungsgeld (tatsächlich) zusteht. Nicht relevant ist umgekehrt, ob und wann das Kinderbetreuungsgeld durch den zuständigen Krankenversicherungsträger jeweils zur Auszahlung (§ 33 KBGG) gelangt.
[17] 1.5. Für die Ermittlung des Bezugsverhältnisses ist somit beim Erstkläger der tatsächliche Bezug von 221 Tagen und bei der Zweitklägerin ein solcher von 147 Tagen heranzuziehen. Dies ergibt ein Bezugsverhältnis von mehr als 60 % (60,05434... %) zu weniger als 40 % (39,9456... %).
[18] 2.1. Der Beklagten ist darin zuzustimmen, dass diese Prozentwerte keinen Bezug zu „annähernd gleichen Teilen“ iSd § 5b KBGG ergeben.
[19] 2.2. Vorausgesetzt wird ein Bezugsverhältnis von mindestens 40 % zu maximal 60 % (§ 5b S 2 KBGG). Eine (kaufmännische) Rundung des Rechenergebnisses, die bei Unter bzw Überschreitung der Grenzwerte zu ihrer rechnerischen Einhaltung führen könnte, ist im Gesetz nicht vorgesehen und nach dem Zweck der Regelung, möglichst gleich lange Kinderbetreuung durch die Eltern zu fördern und die mit der Anordnung einer (exakten) 50:50 Aufteilung möglichen Härtefälle zu vermeiden (ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 8), nicht angezeigt, sodass es sich bei den in § 5b S 2 KBGG angegebenen Werten von mindestens 40 % und höchstens 60 % um absolute Grenzen handelt, die ohne die Möglichkeit einer Auf bzw Abrundung auch nicht geringfügig unter bzw überschritten werden dürfen (10 ObS 26/22d).
[20] 3. Da es nur auf objektiv vorliegende (tatsächliche) Bezugszeiten (oben Punkt 1.3. f) und nicht auf die Gründe für die Nichteinhaltung des in § 5b S 2 KBGG normierten Bezugsverhältnisses (vgl Burger Ehrnhofer , KBGG und FamZeitbG 3 § 5b KBGG Rz 5 zur Unterschreitung der Mindestbezugsdauer von jeweils 124 Tagen) ankommt, liegt auch der von den Klägern in der Berufungsbeantwortung behauptete sekundäre Feststellungsmangel zur Frage, ob ihnen im Zeitpunkt der Antragstellung bekannt war, ob die Zweitklägerin im Zeitraum ihres Wochengeldbezugs noch einen Teil des begehrten Kinderbetreuungsgelds erhalten würde oder ob dieser Anspruch zur Gänze ruhen würde, nicht vor (RIS Justiz RS0053317).
[21] 4. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass die Kläger aufgrund einer Rundung zu annähernd gleichen Teilen iSd § 5b KBGG Kinderbetreuungsgeld bezogen, erweist sich daher als nicht zutreffend. Die von den Klägern geltend gemachten Ansprüche auf den Partnerschaftsbonus nach § 5b KBGG bestehen somit nicht, sodass die darauf gerichteten Klagebegehren – in Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen – abzuweisen sind.
[22] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.