JudikaturOGH

8Ob87/21h – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Juli 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann Prentner und Mag. Korn sowie die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Weixelbraun Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Mag. A* E*, 2. Dr. M* E*, vertreten durch Marschall Heinz Rechtsanwalts-Kommanditpartnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei B* GmbH, *, vertreten durch Mag. Sylvia Unger, Rechtsanwältin in Wien, und die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei Architekten T* GmbH, *, vertreten durch Pflaum Karlberger Wiener Opetnik, Rechtsanwälte in Wien, wegen 18.112,74 EUR sA und Leistung (Gesamtstreitwert 138.112,74 EUR), über die Revision der klagenden Parteien gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. März 2021, GZ 30 R 26/21w 113, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 10. Dezember 2020, GZ 47 Cg 52/16y 107, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 1.465,55 EUR (darin 244,26 EUR USt) und der Nebenintervenientin die mit 1.465,54 EUR (darin 244,26 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortungen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Die Kläger haben im Jahr 2014 mit Kauf- und Bauträgervertrag samt Nachträgen von der Beklagten als Bauträgerin eine im Dachgeschoss eines Gebäudes in 1030 Wien gelegene Eigentumswohnung mit Terrasse erworben. Bei Abschluss des Vertrags befand sich das Gebäude noch im Bau. Die Beklagte bewarb das Bauvorhaben unter anderem durch Inserate in der Presse, eine Anschlagtafel vor Ort, Projektfolder und -broschüre, eine Fotomappe und ein Modell. Zumindest die Erstklägerin hat vor der Kaufentscheidung in diese Unterlagen Einsicht genommen.

[2] Für die Kläger, die einen befreundeten Innenarchitekten zur Beratung hinzugezogen hatten, waren bei ihrer Kaufentscheidung vor allem die Punkte Schallschutz und Aussicht wichtig. Dazu wurden ihnen von Mitarbeitern der Beklagten Fotos vorgelegt, aus denen sich die späteren Sichtachsen von der Wohnung bzw Terrasse ergeben sollten.

[3] Beim fertigen Gebäude sind die verglasten Terrassenbrüstungen bzw Balkongeländer sowie die Fenster vor den Sanitärräumen an der Außenfassade des auf der Liegenschaft errichteten Bauwerks einheitlich mit Sichtschutz, aber lichtdurchlässig ausgeführt. Darauf, dass man durch die beim Terrassengeländer zu errichtende Glasbrüstung nicht durchsehen kann, wurden die Kläger nicht hingewiesen.

[4] Im Werbematerial der Beklagten ist bei allen Außenansichten der Wohnung ein fast durchsichtiges Glas der Terrassenbrüstung und bei allen Innenansichten der Wohnung überhaupt keine Terrassenbrüstung und somit auch kein Glas dargestellt.

[5] Im von den Klägern unterfertigten Kauf- und Bauträgervertrag wird hinsichtlich der Bauausführung der Wohnung und der allgemeinen Teile des Hauses auf die beigelegte Bau- und Ausstattungsbeschreibung verwiesen. In dieser ist festgehalten, dass (unter anderem) die Brüstungen der Terrasse als „Nurglasgeländer eingespannt; VSG satiniert “ ausgeführt werden. Jedenfalls die Erstklägerin hat diese Beschreibung auch gelesen, jedoch daraus nicht entnommen, dass dies eine Blickdurchsichtigkeit der Brüstungen ausschließen könnte.

[6] In der Baubranche wird unter „satiniert“ eine Glasart mit gutem Sichtschutz und Lichtdurchlässigkeit verstanden. Aus technischer Sicht ist mit „satiniertem Glas“ die Herstellung mit einer vollflächigen Säurebehandlung gemeint. Die Ausführung der Terrassenbrüstung mit satinierten Glaselementen bringt mit sich, dass von Außen nach Innen ein Sichtschutz gegeben ist und von Innen nach Außen Objekte ab einer Entfernung von ca 50 cm durch das Glas nur mehr verschwommen und entferntere Bäume und Landschaft überhaupt nicht mehr wahrgenommen werden können.

[7] Die Kläger gingen dagegen im Hinblick auf die bildlichen Darstellungen im Werbematerial und auf d ie von der Beklagten wiederholt mündlich und schriftlich beworben e „tolle Aussicht“ davon aus, dass die Terrassenb rüstung von der Wohnung aus betrachtet durchsichtig sein werde.

[8] In der Klage begehren sie die Zahlung von 18.112,74 EUR sA sowie die Herstellung der Terrassenbrüstung „aus transparentem VSG (...)“, in eventu Herstellung „des vertraglich geschuldeten Zustands gemäß Kauf- und Bauträgervertrag (…) mit einer entsprechend durchsichtigen Blickqualität“, weiters in eventu die Zahlung weiterer 120.000 EUR sA.

[9] Das erste Zahlungsbegehren stützt sich auf Wertminderung und Kosten einer von den Klägern bezahlten Vorlegestufe, die erforderlich gewesen sei, weil die Beklagte den zugesagten barrierefreien Terrassenzugang nicht hergestellt habe. Im Übrigen brachten die Kläger vor, die Terrassenbrüstung sei aus vollkommen undurchsichtigem Glas hergestellt worden, obwohl in den Verkaufsunterlagen eine durchsichtige Brüstung dargestellt sei. Die mit einer durchsichtigen Terrassenbrüstung verbundene besondere Aussicht sei für die Kläger eine Voraussetzung des Vertragsabschlusses gewesen. Sollte die Herstellung einer durchsichtigen Brüstung nicht möglich sein, werde der Anspruch auf die „Wertdifferenz zwischen der mangelfreien und der mangelhaften Sache“ in Höhe von 120.000 EUR erhoben.

[10] Die Beklagte wandte im Wesentlichen wie die Nebenintervenientin mangelnde Aktivlegitimation der Kläger ein, weil sich die behaupteten Mängel auf allgemeine Teile des Hauses bezögen und die Geltendmachung der Ansprüche eines Mehrheitsbeschlusses aller Wohnungseigentümer bedürfe. Mit den Klägern sei im Übrigen weder ein barrierefreier Terrassenzugang, noch eine durchsichtige Ausführung der gläsernen Terrassenbrüstung vereinbart worden. Die begehrte Änderung widerspreche auch baurechtlichen Vorschriften.

[11] Das Erstgericht wies das Zahlungs- und das erste Herstellungsbegehren unangefochten ab und gab dem ersten Eventualbegehren auf „Herstellung des vertraglich geschuldeten Zustands gemäß Kauf- und Bauträgervertrag (...)“ statt. Die Kläger seien gegenüber der Beklagten als Bauträger zur Geltendmachung der aus dem Kaufvertrag resultierenden Gewährleistungsansprüche legitimiert. Aufgrund des mit den Verkaufsunterlagen vermittelten Eindrucks schulde die Beklagte den Klägern eine durchsichtige Ausführung der Terrassenbrüstung. Eine tatsächliche oder rechtliche Unmöglichkeit der begehrten Verbesserung könne nicht festgestellt werden.

[12] Das Berufungsgericht gab den Berufungen der Beklagten und der Nebenintervenientin Folge und wies auch das erste Eventualbegehren ab. Zur Verfahrensergänzung und Entscheidung über das zweite Eventualbegehren verwies es die Rechtssache im Übrigen an das Erstgericht zurück.

[13] Welche Ausstattungsmerkmale die Kläger aufgrund der Werbeunterlagen der Beklagten erwarten konnten, sei nicht subjektiv, sondern nach dem Maßstab eines durchschnittlichen, aufgeklärten rationalen Käufers zu beurteilen. In den Werbeunterlagen der Beklagten sei auf allen Außenansichten ein „fast durchsichtiges“ Glas dargestellt, woraus ein verständiger Käufer erkennen hätte müssen, dass jedenfalls kein völlig durchsichtiges Glas verwendet werde. Bei den Innenansichten seien überhaupt keine Brüstungen abgebildet und die Kläger darauf hingewiesen worden, dass für diese Darstellungen noch vor Errichtung des Gebäudes angefertigte Aufnahmen aus der Position einer Hebebühne verwendet wurden. Im Übrigen hänge die Durchsichtigkeit von Glas auf Abbildungen stark von Lichtverhältnissen und Blickwinkel ab, sodass grafische Darstellungen von eingeschränkter Aussagekraft seien. Letztlich bestimme sich der Vertragsinhalt daher nach der Bau- und Ausstattungsbeschreibung, die ausdrücklich satiniertes Glas vorsehe. Aufgrund des abgeschlossenen Vertrags hätten die Kläger daher keinen Anspruch auf Herstellung einer durchsichtigen Terrassenbrüstung.

[14] Aus den Feststellungen ergebe sich aber, dass die Kläger sich über den wahren Inhalt des Vertrags in einem durch die Werbeunterlagen der Beklagten verursachten Irrtum befanden. Die zur Beurteilung des im ersten Eventualbegehren erhobenen Anspruchs auf Vertragsanpassung relevante Frage, ob die Beklagte auch mit einem Vertragsabschluss zu den geänderten Bedingungen einverstanden gewesen wäre, könne vorerst offen bleiben, weil der Einwand der fehlenden Aktivlegitimation insoweit berechtigt sei. Die Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen gegenüber dem Bauträger an allgemeinen Teilen des Hauses erfordere einen Mehrheitsbeschluss der Wohnungseigentümer, soweit dadurch auch Gemeinschaftsinteressen betroffen würden. Dies sei für den Fall der Herstellung einer von der übrigen Ausstattung des Hauses abweichend durchsichtigen Terrassenbrüstung der Fall. Da ein Beschluss der Eigentümergemeinschaft unstrittig nicht vorliege, sei auch das erste Eventualbegehren abzuweisen.

[15] Zur Geltendmachung des zweiten, auf Zahlung gerichteten Eventualbegehrens seien die Kläger aktiv legitimiert, weil sein Zuspruch den Anspruch auf Herstellung ersetzen würde und die Interessen der übrigen Wohnungseigentümer davon nicht beeinträchtigt wären. Um dieses Eventualbegehren abschließend beurteilen zu können, sei auch noch eine Ergänzung des Beweisverfahrens erforderlich.

[16] Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision und den Rekurs für zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob ein Wohnungseigentümer irrtumsrechtliche Ansprüche gegen den Bauträger, die auf eine Veränderung der allgemeinen Teile des Hauses abzielen, sowie daraus abgeleitete Schadenersatzansprüche alleine oder nur mit Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer geltend machen kann, nicht vorliege.

[17] Die gegen das Teilurteil des Berufungsgerichts erhobene Revision der Kläger richtet sich gegen die Abweisung des ersten Eventualbegehrens und strebt die Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts, in eventu die Zurückverweisung an dieses an. Die Beklagte und die Nebenintervenientin beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel zurückzuweisen, jedenfalls aber ihm keine Folge zu geben.

[18] Eine Revision ist trotz Zulassung durch das Gericht zweiter Instanz zurückzuweisen, wenn sie nur solche Gründe geltend macht, deren Erledigung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen abhängt (RS0102059; RS0048272 [T1]). Dieser Fall liegt hier vor.

Rechtliche Beurteilung

[19] 1. Die Revisionswerber wenden sich gegen das Ergebnis der Auslegung des zwischen den Streitteilen geschlossenen Kauf- und Bauträgervertrags hinsichtlich der vereinbarten Ausführung der Terrassenbrüstung. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hätten die Kläger bereits aus dem Vertrag Anspruch auf eine durchsichtige Verglasung, sodass sich die Frage eines Irrtums nicht stelle.

[20] Fragen der Vertragsauslegung kommen nach ständiger Rechtsprechung keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu, es sei denn, es müsste im Interesse der Rechtssicherheit eine dem Berufungsgericht unterlaufene grobe Fehlbeurteilung wahrgenommen werden (RIS-Justiz RS0112106; RS0042936 ua). Eine solche Fehlbeurteilung zeigen die Kläger aber nicht auf.

[21] Sie verweisen in ihren Ausführungen zwar auf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und die von den Klägern aus den vorvertraglichen Besprechungen und Werbematerialien gezogenen Schlussfolgerungen, legen aber nicht dar, inwiefern sich daraus ein vom schriftlichen Bauträgervertrag samt Anhang abweichender Vertragsinhalt ableiten ließe.

[22] Die Feststellungen über den subjektiven, von der eindeutigen Baubeschreibung abweichenden Eindruck der Kläger konnten nicht Grundlage einer Willensübereinstimmung der Streitteile werden, weil sie der Beklagten nach den Feststellungen weder bekannt noch bei objektiver Betrachtung erkennbar waren (vgl auch RS0014160 [T17, T22]; RS0014704 [T9]). Die – noch dazu fachkundig beratenen – Kläger haben bei der Beklagten weder nachgefragt, was unter dem in der Baubeschreibung genannten „satinierten“ Verbundsicherheitsglas zu verstehen wäre, noch wurde sonst über die Durchsichtigkeit der Brüstung gesprochen. Die den Klägern zur Verfügung gestellten bildlichen Darstellungen stehen mit der Baubeschreibung nicht im Widerspruch, zeigen sie doch entweder gar keine oder keine ganz durchsichtigen Brüstungsverglasungen.

[23] Aus dem Argument, den Klägern sei eine „tolle Aussicht“ zugesagt worden, ist für die Zusage einer bestimmten Ausführung der Terrassenbrüstung nach dem anzulegenden objektiven Maßstab nichts zu gewinnen. Diese Bezeichnung wird nach dem üblichen Sprachgebrauch verwendet, um eine besondere optische Qualität der sichtbaren Umgebung zu beschreiben, trifft aber keine Aussage darüber, ob diese Aussicht ab der Höhe einer Terrassenbrüstung oder ab Fußbodenniveau wahrgenommen werden kann.

[24] 2. Ausgehend davon, dass das erste Eventualbegehren auf die Herstellung des Zustands „laut Kauf- und Bauträgervertrag“ gerichtet ist, dieser aber gerade eine Ausführung der Wohnung mit einer Terrassenbrüstung aus satiniertem Glas umfasst, die unstrittig ohnehin hergestellt wurde, ist die abweisende Entscheidung des Berufungsgerichts mit keinem aufzugreifenden Rechtsirrtum behaftet.

[25] 3. Ob das erste Eventualbegehren entgegen seinem Wortlaut allenfalls auch als Begehren nach Vertragsanpassung wegen Irrtums aufzufassen wäre, wie das Berufungsgericht erwogen hat, kann dahingestellt bleiben, weil die Revision diesen Rechtsgrund ausdrücklich nicht geltend macht. Sie vertritt vielmehr die Auffassung, dass sich „die Frage einer Irreführung gar nicht stellen kann“ und „von einem Geschäftsirrtum nicht auszugehen ist“ und beruft sich explizit nur auf eine Mangelhaftigkeit des Kaufgegenstands. Ein Mangel liegt aber nach dem unbedenklichen Auslegungsergebnis des Berufungsgerichts nicht vor.

[26] Die Rechtsfrage, ob die Kläger zur Geltendmachung ihres auf Gewährleistung gestützten Herstellungsanspruchs ohne Mehrheitsbeschluss der Wohnungseigentümer aktiv legitimiert wären, stellt sich damit aber im Revisionsverfahren so wenig wie die vom Berufungsgericht für erheblich erachtete Rechtsfrage, ob die gleichen Voraussetzungen auch für einen auf Vertragsanpassung wegen Irrtums gestützten Herstellungsanspruch gelten würden, wenn er wie hier auf eine Änderung allgemeiner Teile des Hauses „gemäß Kauf und Bauträgervertrag“ gerichtet ist.

[27] Im Übrigen ist der Standpunkt der Revisionswerber, dass die Interessen der anderen Wohnungseigentümer überhaupt nicht davon berührt würden, wenn die einheitliche satinierte Verglasung aller Balkon- und Terrassenbrüstungen des Hauses nur im Bereich ihrer Terrasse durch eine abweichende Ausführung unterbrochen würde, nicht nachvollziehbar.

[28] 4. Für das Revisionsverfahren gegenstandslos sind die Revisionsausführungen, soweit sie die Beantwortung eines tatsächlich nicht erhobenen Rekurses der Beklagten gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts vorwegnehmen sowie erst im ergänzenden Verfahren über das zweite Eventualbegehren zu erstattendes Vorbringen der Kläger enthalten.

[29] 5. Mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO war die Revision daher zurückzuweisen.

[30] Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte und die Nebenintervenientin haben auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0112296).

[31] Der in den Vorinstanzen ausgesprochene Kostenvorbehalt steht einer Kostenentscheidung im – hier vorliegenden – vom Ausgang in der Hauptsache unabhängigen Zwischenstreit über die Zulässigkeit der Revision nicht entgegen (RS0129365 [T3]; vgl RS0123222).

Rückverweise