JudikaturOGH

6Ob128/22z – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Juli 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer Zeni Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. A*, 2. C*, vertreten durch Breiteneder Rechtsanwalt GmbH in Wien, wider die beklagten Parteien 1. Mag. S*, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, 2. E* GmbH *, Deutschland, vertreten durch Dorda Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 20.085,31 EUR sA, über den Revisionsrekurs der zweitbeklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 25. April 2022, GZ 1 R 158/21v 21, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 16. September 2021, GZ 48 Cg 32/21x 13, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Akten werden dem Erstgericht zurückgestellt.

Text

Begründung:

[1] Das Rekursgericht änderte den erstgerichtlichen Beschluss über die Zurückweisung der Klage ab (und verwarf die Einrede der internationalen Unzuständigkeit). Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

[2] Den von der Zweitbeklagten fristgerecht eingebrachten Antrag auf Abänderung des Zulassungsausspruchs verbunden mit dem ordentlichen Revisionsrekurs gemäß § 528 Abs 2a ZPO iVm § 508 ZPO legte das Erstgericht dem Rekursgericht vor, ohne den Klägern eine Gleichschrift zuzustellen. Das Rekursgericht stellte (nur) den Beschluss über die Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs und die Freistellung der Beantwortung des Revisionsrekurses (ohne Beachtung der bis dato unterbliebenen Zustellung des Rechtsmittelschriftsatzes an die Prozessgegner) zu.

Die daraufhin erfolgte Vorlage an den Obersten Gerichtshof ist verfrüht:

Rechtliche Beurteilung

[3] 1. Es unterliegen in Bezug auf Ablauf der Zustellung der Rechtsmittelschrift, Vorlage des Akts und Beginn der Frist für die Beantwortung der Revisionsrekurs nach § 528 Abs 2a ZPO, der Antrag auf Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs verbunden mit der ordentlichen Revision nach § 508 Abs 1 ZPO (im Weiteren werden beide verkürzt nur mehr als Zulassungsantrag bezeichnet), die außerordentliche Revision und der außerordentliche Revisionsrekurs im Wesentlichen „gleichlaufenden“ Vorschriften. Für Revisionsrekurse nach § 528 Abs 2a ZPO und außerordentliche Revisionsrekurse ordnet nämlich § 521a Abs 2 ZPO an, dass für sie § 521a Abs 1 ZPO „mit den Maßgaben, die sich aus der sinngemäßen Anwendung der §§ 507, 507a, 507b, 508, 508a ergeben“, die das Revisionsverfahren regeln, gilt.

Damit kann für Zulassungsanträge und außerordentliche Rechtsmittel (sei es Revision oder Revisionsrekurs) wie folgt zusammengefasst werden:

[4] 2. Das Prozessgericht erster Instanz hat (nur) Rechtsmittel oder Zulassungsanträge, die „verspätet oder aus einem anderen Grund als dem nach § 502 Abs 1 [ZPO] unzulässig sind“, zurückzuweisen (§ 507 Abs 1 ZPO ausdrücklich auch zum Zulassungsantrag), andernfalls aber die Zustellung der Rechtsmittelschrift (bzw des Zulassungsantrags) an den Gegner zu verfügen (§ 507 Abs 2 ZPO). Damit ist vom Erstgericht für die Zustellung aller nicht verspäteter oder absolut unzulässiger Rechtsmittel Sorge zu tragen (vgl Lovrek in Fasching/Konecny , Zivilprozessgesetze³ IV/1 § 507 ZPO Rz 11 mwN zur Zustellung des Zulassungsantrags und der außerordentlichen Revision durch das Erstgericht).

[5] Erst nach Bewirkung der Zustellung der Gleichschrift an den Rechtsmittelgegner hat das Erstgericht den Zulassungsantrag (gemäß § 507b Abs 2 ZPO) oder das außerordentliche Rechtsmittel (gemäß § 507b Abs 3 ZPO) dem Gericht zweiter bzw dritter Instanz „sofort“ (gemeint: ohne Abwarten des Ablaufs einer ja noch nicht in Gang gesetzten Beantwortungsfrist [vgl § 507a Abs 2 Z 2 ZPO]) vorzulegen (s Lovrek aaO § 507b Rz 6 zur Vorlage des Zulassungsantrags erst nach Verfügung der Zustellung der Gleichschrift an den Revisionsgegner; dies aaO Rz 8 ebenso zum außerordentlichen Rechtsmittel).

[6] 3. Die Frist für die Beantwortung beginnt – anders als bei (schon ursprünglich für zulässig erklärten) ordentlichen Rechtsmitteln – sowohl beim Zulassungsantrag als auch beim außerordentlichen Rechtsmittel nicht schon mit der vom Erstgericht als Erstes zu verfügenden Zustellung der Gleichschrift an den Gegner, sondern erst mit der Zustellung der Mitteilung über die Freistellung der Rechtsmittelbeantwortung (durch das Gericht zweiter Instanz [samt Beschluss über die Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs beim Zulassungsantrag] oder dritter Instanz [beim außerordentlichen Rechtsmittel]) zu laufen (§ 507a Abs 2 Z 3 ZPO). Die Rechtsmittelbeantwortung ist in diesen Fällen bei dem Gericht einzubringen, das die Rechtsmittelbeantwortung freigestellt hat (und bei dem sich die Akten im Regelfall gerade befinden: also beim Gericht zweiter Instanz im Fall des Zulassungsantrags [§ 507a Abs 3 Z 1 ZPO] bzw beim Obersten Gerichtshof im Fall eines außerordentlichen Rechtsmittels [§ 507a Abs 3 Z 2 ZPO], sonst – also im Fall des „ursprünglich“ ordentlichen Rechtsmittels – beim Erstgericht [§ 507a Abs 3 Z 3 ZPO]).

[7] Bloß durch die Mitteilung über die Freistellung allein wird die Frist aber (noch) nicht in Gang gesetzt; es bedarf dazu auch der Zustellung des zu beantwortenden Rechtsmittels (3 Ob 230/17w vom 24. 1. 2018 mwN; zuletzt 10 ObS 45/20w vom 26. 5. 2020).

[8] 4. In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass – aufgrund der im Gesetz angeordneten Zustellung der Gleichschrift des Rechtsmittels schon durch das Erstgericht – Rechtsmittelbeantwortungen ausgelöst werden, für die – mangels nachfolgender Freistellung – kein Kostenersatz angesprochen werden kann. Offenbar in Reaktion darauf hat sich bei einigen Erstgerichten die Vorgehensweise entwickelt, die Zustellung der Gleichschrift von außerordentlichen Rechtsmitteln oder Zulassungsanträgen vor Vorlage des Akts (durchaus häufig) zu unterlassen, wobei dieser Mangel meist durch Zustellung (auch) des Rechtsmittelschriftsatzes durch das die Freistellung aussprechende Gericht (zweiter oder dritter Instanz) saniert wird.

[9] 5. Im vorliegenden Fall wurde den Klägern aber bisher weder vom Erst- noch vom Rekursgericht eine Gleichschrift des Revisionsrekurses zugestellt, sondern im Vorlagebericht an der bezughabenden Stelle zur Zustellung an die Gegenseite bloß „unbekannt“ angegeben.

[10] Das Erstgericht wird daher die Zustellung der Gleichschrift des Rechtsmittels an die Prozessgegner zu veranlassen haben. Dabei erscheint die Aufnahme eines Hinweises zur Einbringung der Beantwortung beim Gericht zweiter Instanz unter Umständen zweckmäßig. Es könnte nämlich – aufgrund einer nicht dem Gesetz entsprechenden Zustellung der Gleichschrift durch das Erstgericht an den Rechtsmittelgegner zeitlich erst nach Zustellung des Beschlusses über die Freistellung durch das Gericht zweiter Instanz – zu einer irrigen Einbringung beim falschen Gericht, nämlich beim Erstgericht anstelle (richtig hier gemäß § 521a Abs 2 ZPO iVm § 507a Abs 3 Z 1 ZPO) beim Rekursgericht kommen, was Verspätungsfolgen nach sich ziehen kann.

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