JudikaturOGH

6Nc18/22g – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. Juni 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie den Hofräte Dr. Nowotny und die Hofrätin Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P*, vertreten durch Skribe Rechtsanwaelte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei P* A.S., *, Deutschland, wegen 250 EUR, über den Ordinationsantrag der klagenden Partei, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Ordinationsantrag wird abgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin strebte mit der am 14. 3. 2022 beim Bezirksgericht Schwechat eingebrachten Klage die Verpflichtung des beklagten Luftfahrtunternehmens zur Zahlung von 250 EUR an. Sie stützt diesen Anspruch auf die Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 2. 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr 295/91 (in der Folge kurz „Fluggastrechte-Verordnung“). Die Klägerin habe bei der Beklagten einen Flug von Wien-Schwechat nach Istanbul-Sabiha Gökçen gebucht und sei gegen ihren Willen mit dem betreffenden Flug nicht befördert worden. Dazu sei die Beklagte nicht berechtigt gewesen.

[2] Hilfsweise beantragte die Klägerin, der Oberste Gerichtshof möge eine Ordination für den Rechtsstreit an das Bezirksgericht Schwechat vornehmen.

[3] Das Bezirksgericht Schwechat erklärte sich für international unzuständig. Nach Rechtskraft dieses Beschlusses legte das Bezirksgericht Schwechat den Akt zur Entscheidung über den Ordinationsantrag nach § 28 JN vor.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die Voraussetzungen für eine Ordination liegen nicht vor.

[5] 1. § 101a JN idF der ZVN 2022 (BGBl I 2022/61), wonach für die vorliegende Klage das angerufene Gericht örtlich zuständig wäre, ist hier noch nicht anzuwenden, weil die Klage nicht nach dem 30. April 2022 eingebracht wurde (§ 123 Abs 2 Z 1 JN).

[6] 2. Die Klägerin verweist für die Berechtigung ihres Ordinationsantrags auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 28. 4. 2021, 4 Nc 9/21t.

[7] 2.1. Der Oberste Gerichtshof hat jedoch bereits in mehreren Entscheidungen danach zu ähnlich gelagerten Sachverhalten (Beklagte waren jeweils Flugunternehmen mit Sitz in der Türkei) die Voraussetzungen für eine Ordination iSd § 28 Abs 1 Z 2 JN verneint (5 Nc 11/21v; 5 Nc 2/22x ua). Die diese Entscheidungen tragenden Erwägungen treffen auch auf den vorliegenden Fall zu:

[8] 2.2. Die Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung in der Türkei ist nicht anzunehmen, weil die Türkei eine eigene Fluggastverordnung („SHY-Passenger“, Regulation on Air Passenger Rights from the Directorate General of Civil Aviation) kennt, die in Art 6 iVm Art 8–10 auch Regelungen für die Annullierung eines Flugs („Cancellation of flights“) enthält.

[9] 2.3. Die Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung in der Türkei ist nicht anzunehmen, weil zwischen Österreich und der Türkei ein Abkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Vergleichen in Zivil- und Handelssachen besteht (BGBl 1992/571).

[10] 2.4. Der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz bietet keine Grundlage dafür, eine allenfalls fehlende (generelle) Zuständigkeitsvorschrift des Verfahrensrechts nur im Hinblick auf diesen Grundsatz generell und unabhängig vom Einzelfall zu ersetzen. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 28 Abs 1 Z 2 JN ist vielmehr in jedem einzelnen Fall zu beurteilen. Darauf, dass die Rechtsverfolgung in der Türkei kostspieliger wäre oder dass überhaupt in Österreich Exekution geführt werden sollte, hat sich die Klägerin gar nicht berufen.

[11] 2.5. Für die Durchsetzung der klägerischen Ansprüche in der Türkei besteht damit ein ausreichender Rechtsschutz. Dieser Auffassung ist mittlerweile auch der 4. Senat gefolgt; die in der Entscheidung 4 Nc 9/21t vertretene Rechtsansicht hielt er ausdrücklich nicht mehr aufrecht (4 Nc 20/21k). Die Voraussetzungen für eine Ordination nach § 28 Abs 1 Z 2 JN sind somit nicht gegeben.

Rückverweise