7Ob13/22w – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Hofrätin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätin und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M* M*, vertreten durch Mag. Hannes Engl, Rechtsanwalt in Ebensee, gegen die beklagte Partei U* AG, *, vertreten durch Mag. Gregor Royer, Rechtsanwalt in Wels, wegen 19.240,45 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 7. Dezember 2021, GZ 6 R 104/21p 17, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels vom 10. Juni 2021, GZ 5 Cg 146/20z 13, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision und die Revisionsbeantwortung werden zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin hat bei der Beklagten einen Kaskoversicherungsvertrag für ihren PKW abgeschlossen. Dem Kaskoversicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Bonus Kaskoversicherung mit Umreihung (ABBKU 2019, Fassung vom März 2020) zugrunde. Diese lauten auszugsweise:
„ Artikel 7
Was ist vor bzw nach Eintritt des Versicherungsfalles zu beachten?
(Obliegenheiten)
[...]
3. Als Obliegenheiten, deren Verletzung nach Eintritt des Versicherungsfalles die Freiheit des Versicherers von der Verpflichtung zur Leistung gemäß den Voraussetzungen und Begrenzungen des § 6 Abs 3 VersVG (siehe Anlage) bewirkt, werden bestimmt,
[...]
3.2. nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen; [...]“
[2] Am 7. 9. 2020 gegen 3:00 Uhr Früh wurde das vom weiteren Zulassungsbesitzer, dem Sohn der Klägerin, gelenkte Fahrzeug beschädigt. Die Reparaturkosten betragen 19.240,45 EUR und wurden von der Beklagten nicht übernommen.
[3] Die Klägerin begehrt vom beklagten Kaskoversicherer die Zahlung der Reparaturkosten für den versicherten beschädigten PKW.
[4] Beide Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab.
Rechtliche Beurteilung
[5] Die Revision der Klägerin ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – nachträglichen Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).
[6] 1.1. Die die Klägerin gemäß Art 7.3.2. ABBKU 2019 (nach Eintritt des Versicherungsfalls) treffende Aufklärungsobliegenheit soll nicht nur die nötigen Feststellungen über den Unfallsablauf, die Verantwortlichkeit der Beteiligten und den Umstand des entstandenen Schadens ermöglichen, sondern auch die Klarstellung all jener Umstände Gewähr leisten, die für allfällige Regressansprüche des Versicherers von Bedeutung sein können. Darunter fällt auch die objektive Prüfung der körperlichen Beschaffenheit des an einem Unfall Beteiligten hinsichtlich einer allfälligen Alkoholisierung oder Beeinträchtigung durch Suchtgift oder Übermüdung (vgl RS0081010; RS0081054; vgl auch RS0080972).
[7] 1.2. Ein Versicherungsnehmer, der eine Obliegenheit mit dem Vorsatz verletzt, die Leistungspflicht des Versicherers zu beeinflussen oder die Feststellung solcher Umstände zu beeinträchtigen, die erkennbar für die Leistungspflicht des Versicherers bedeutsam sind, mit anderen Worten eine Obliegenheitsverletzung mit dem Vorsatz begeht, die Beweislage nach dem Versicherungsfall zu Lasten des Versicherers zu manipulieren (sogenannter „dolus coloratus“), verwirkt seinen Anspruch (RS0081253 [T1, T3, T10]; RS0109766). § 6 Abs 3 VersVG begnügt sich für den Ausschluss des Kausalitätsgegenbeweises nicht mit dem schlichten Vorsatz in dem Sinn, dass der Versicherungsnehmer die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens kennt und die Obliegenheitsverletzung bewusst und gewollt begeht, sondern vielmehr muss hinzukommen, dass der Vorsatz sich auf die Verschlechterung der Beweislage zum Nachteil des Versicherers erstreckt (RS0109766 [T1]). Für die Annahme eines „dolus coloratus“ genügt es schon, wenn die Obliegenheitsverletzung in der Absicht erfolgte, die Versicherungsleistung schneller und problemloser zu erhalten oder den Versicherer in die Irre zu führen (RS0081253 [T4, T6]; RS0109766 [T3]). Die Frage, ob der Versicherungsnehmer mit „dolus coloratus“ gehandelt hat, ist primär eine Tatfrage (RS0109766 [T10]).
[8] 2. Der Lenker des Fahrzeugs hat im Zuge der von der Beklagten durchgeführten Erhebungen wahrheitswidrig erklärt, dass er sich vor dem Unfall mit einer Freundin getroffen und die Zeit mit dieser verbracht habe. Diese Freundin hat ihn nicht getroffen und sie war mit ihm auch nicht unterwegs. Nach den vom Erstgericht – disloziert in der Beweiswürdigung getroffenen Feststellungen – hat auch die Klägerin diese Freundin bei einem Telefonat gebeten, gegenüber dem beklagten Versicherer anzugeben, dass sie vor dem Unfall mit ihrem Sohn – dem Lenker – zusammen gewesen sei. Diese Freundin hatte mit der Klägerin telefonisch Kontakt aufgenommen, um zu klären, was diese (unrichtige) Angabe des Unfalllenkers bewirken solle.
[9] Das Berufungsgericht führte unbedenklich aus, dass der Aufenthalt des Unfalllenkers vor Antritt der Fahrt für die Leistungspflicht des Kaskoversicherers (im Hinblick auf die Zeit des Unfalls um 3:00 Uhr Früh) bedeutsam gewesen sei. Dessen Beurteilung, dass auch die Klägerin die Leistungspflicht des beklagten Versicherers beeinflussen wollte und an der Obliegenheitsverletzung mitgewirkt habe, wodurch auch ihr – wie auch ihrem Sohn – „dolus coloratus“ anzulasten sei, sodass die Beklagte nicht zur Übernahme der Reparaturkosten verpflichtet sei, ist nicht zu beanstanden.
[10] Die Klägerin bestreitet in der Revision nicht, dass ihr bekannt war, dass die Angaben ihres Sohnes nicht richtig gewesen seien. Sie vermisst nur einen entsprechend festgestellten Sachverhalt und übergeht damit die – vom Erstgericht disloziert in der Beweiswürdigung – getroffene Feststellung, dass sie (wider besseres Wissen) die angebliche Freundin gebeten hat, gegenüber der Beklagten anzugeben, vor dem Unfall mit ihrem Sohn zusammen gewesen zu sein. Die Klägerin hat daher selbst eine Obliegenheitsverletzung zu verantworten.
[11] 3. Damit erübrigt sich die Klärung der Frage, ob die (festgestellte) Obliegenheitsverletzung des Lenkers auch gegen die Klägerin als Versicherungsnehmerin wirkt.
[12] Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
[13] 4. Die Revisionsbeantwortung der Beklagten ist verspätet. Die Verständigung über die gemäß § 508 Abs 3 ZPO vom Berufungsgericht freigestellte Revisionsbeantwortung wurde der Beklagten am 12. 4. 2022 zugestellt. Die Beantwortung war gemäß § 507a Abs 3 Z 1 ZPO beim Berufungsgericht einzubringen. Die von der Beklagten am 6. 5. 2022 beim Erstgericht eingebrachte Revisionsbeantwortung wurde nicht an das Berufungsgericht weitergeleitet, sondern am 9. 5. 2022 direkt an den Obersten Gerichtshof übermittelt. Wird aber eine Rechtsmittelschrift bei einem funktionell nicht zuständigen Gericht eingebracht, ist für die Rechtzeitigkeit der Zeitpunkt des Einlangens beim zuständigen Gericht maßgebend (vgl RS0043678 [T4]). Die (nicht beim Berufungsgericht eingelangte) Revisionsbeantwortung der Beklagten ist daher als verspätet zurückzuweisen.