Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende, den Senatspräsidenten Dr. Musger sowie die Hofräte Dr. Nowotny, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Mag. B*, 2. M*, und 3. L*, alle vertreten durch Battlogg Rechtsanwalts GmbH in Schruns, wider die beklagten Parteien 1. D*, 2. E*, und 3. W*, alle vertreten durch Mag. Stefan Aberer, Rechtsanwalt in Bregenz, wegen 1. (erstklagende Partei) 43.750,11 EUR sA und Feststellung, sowie 2. (zweit und drittklagende Partei jeweils) 30.050 EUR sA, Rente und Feststellung, über die Revisionen aller Parteien gegen das Teil und Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 17. Februar 2022, GZ 1 R 208/21d 31, womit das Teil- und Zwischenurteil des Landesgerichts Feldkirch vom 13. November 2021, GZ 4 Cg 75/21h 21, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, den
Beschluss
gefasst:
1. Sämtliche Revisionen werden zurückgewiesen.
2. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, den klagenden Parteien die mit 2.975,11 EUR (darin enthalten 495,85 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
3. Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, den beklagten Parteien die mit 2.156,67 EUR (darin enthalten 359,44 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Zum abändernden Teil seiner Entscheidung ließ das Berufungsgericht die Revision zu, weil eine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur mit der 30. StVO Novelle geänderten Bestimmung des § 19 Abs 6a StVO noch nicht vorliege.
[2] Die Revisionen beider Seiten sind entgegen diesem nicht bindenden Ausspruch nicht zulässig, weil sie keine erhebliche Rechtsfrage aufzeigen.
[3] 1. Die Parteien bestreiten übereinstimmend das Vorliegen einer Radfahrerüberfahrt. Ob – wie vom Berufungsgericht angenommen – eine solche als Fortsetzung eines Radwegs iSd § 19 Abs 6a StVO angesichts der festgestellten Beschilderung und Bodenmarkierungen vorhanden war – ist aber nicht relevant:
[4] 2. Am Unfall beteiligt waren ein LKW und ein bei der Kollision mit diesem tödlich verletzter Radfahrer (Ehemann der Erstklägerin und Vater der Zweit- und Drittklägerinnen). Beide Lenker hatten bei Annäherung an die Unfallkreuzung das Vorrangzeichen „Vorrang geben“ zu beachten. Das Berufungsgericht hat die Wartepflicht des LKW gegenüber dem Radfahrer nicht ausschließlich mit § 19 Abs 6a StVO, sondern (auch) mit dem Rechtsvorrang (RS0074388) begründet. Diese – das Ergebnis einer dem Lenker des LKW anzulastenden Vorrangverletzung – selbständig tragende Begründung wird von den Parteien nicht (wirksam) bekämpft, weshalb sie schon deshalb zur Vorrangsituation keine erhebliche Rechtsfrage aufzeigen (RS0118709). Die dem Zulassungsausspruch zugrunde gelegte Frage sprechen sie überdies nicht an.
[5] 3. Dass das Berufungsgericht die Parteien mit seiner Rechtsansicht, es liege eine Radfahrerüberfahrt vor, weshalb der sich dieser mit 20 km/h annähernde Radfahrer gegen § 68 Abs 3a StVO verstoßen habe, überrascht hat, ist auch für das Mitverschulden des Radfahrers nicht relevant.
[6] 4. Die Klägerinnen berufen sich in diesem Zusammenhang auf den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens. Bei entsprechender Erörterung hätten sie vorbringen können, dass unabhängig davon, ob der Verstorbene mit 10 km/h oder 20 km/h unterwegs gewesen sei, die gleichen Unfallfolgen eingetreten wären.
[7] 5. Das Berufungsgericht hat dem Radfahrer ein Viertel Mitverschulden aber nicht nur wegen des Verstoßes gegen § 68 Abs 3a StVO, sondern auch wegen dessen Unachtsamkeit angerechnet.
[8] 6. Nach den Feststellungen betrug die gegenseitige freie Sichtweite im Unfallbereich sowohl für den Erstbeklagten als auch für den Radfahrer jeweils über 200 m. Der Radfahrer konnte somit den LKW lange vor der Kollision sehen. Für den Radfahrer waren vor der Kreuzung die Verkehrszeichen „Vorrang geben“ und „Ende des Geh- und Radweges“ angebracht. Er hätte die vor allem aufgrund der verunglückten Beschilderung und Bodenmarkierungen unklare Verkehrssituation im bedenklichen Sinn auslegen (RS0073513) und daher auf den sich der Kreuzung annähernden (und ohne Geschwindigkeitsreduktion in diese einbiegenden) LKW anders als durch ein Einfahren in die Kreuzung mit 20 km/h reagieren müssen, etwa durch Langsamerwerden unter gleichzeitiger Beobachtung des LKW oder Anhalten.
[9] 7. Wegen dieser Unaufmerksamkeit des Radfahrers ist die Zumessung des Mitverschuldens von einem Viertel nicht korrekturbedürftig.
[10] 8. Soweit sich d as Rechtsmittel der Beklagten auch gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts betreffend drei Viertel des Feststellungsbegehrens wendet, ist es absolut unzulässig, weil das Berufungsgericht keinen Ausspruch über die Zulässigkeit des Rekurses gegen seinen Aufhebungsbeschluss gesetzt hat.
[11] 9. Die Kostenentscheidung betreffend die Revision der Beklagten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO (RS0123222 [T10]). Die Klägerinnen haben zwar auf die Unzulässigkeit der Revision, nicht aber auf die (absolute) Unzulässigkeit des gegen den Aufhebungsbeschluss gerichteten Teils des Rechtsmittels hingewiesen. Ihnen steht daher Kostenersatz nur insoweit zu, als der Entscheidungsgegenstand die urteilsmäßigen Aussprüche des Berufungsgerichts betrifft (Bemessungsgrundlage 104.043,06 EUR.
[12] 10. Die Kostenentscheidung betreffend die Revision der Klägerinnen gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagten haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
Rückverweise
Keine Verweise gefunden