JudikaturOGH

1Ob94/22p – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Juni 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. HR Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B*, vertreten durch Mag. Daniel Wolff, Rechtsanwalt in Bregenz, gegen die beklagte Partei S*, vertreten durch Dr. Julius Brändle, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen 40.000 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 24. März 2022, GZ 2 R 189/21t 42, mit dem das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 28. Oktober 2021, GZ 9 Cg 9/20p-36, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Bei der Klägerin wurde nach Entfernung ihres Eileiter /Eierstockkomplexes mit Bauchspiegelung die Diagnose „Eierstockkrebs“ gestellt. Daraufhin empfahlen ihr die behandelnden Ärzte im Krankenhaus der Beklagten eine Komplettierungsoperation, im Rahmen derer das restliche Eierstockgewebe, die Gebärmutter und das Bauchnetz entfernt und der Bauch auf eventuell bereits vorhandene „Absiedelungen“ untersucht werden sollte. Als Folge dieser Operation traten bei der Klägerin schwerwiegende Komplikationen auf. Es kam zu einer Perforation des Dünndarms, die insbesondere einen septischen Schock nach sich zog, und zu einer Wundheilungsstörung. Diese Komplikationen machten mehrere weitere Operationen erforderlich.

[2] Die Vorinstanzen wiesen das auf Zahlung von Schmerzengeld und Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche Spät und Dauerfolgen aufgrund der Komplettierungs und der Nachfolgeoperationen gerichtete Klagebegehren übereinstimmend ab.

[3] In ihrer außerordentlichen Revision , die nur mehr eine mangelhafte Aufklärung releviert, zeigt die Klägerin keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:

Rechtliche Beurteilung

[4] 1. Nach ständiger Rechtsprechung umfasst die Verpflichtung des Arztes aus dem Behandlungsvertrag auch die Pflicht, den Patienten über die Art und Schwere sowie die möglichen Gefahren und die schädlichen Folgen einer Behandlung zu unterrichten (RIS Justiz RS0038176). Für die nachteiligen Folgen einer ohne ausreichende Aufklärung vorgenommenen Behandlung des Patienten haftet der Arzt selbst dann, wenn ihm bei der Behandlung – wie im vorliegenden Fall – kein Kunstfehler unterlaufen ist (RS0026783), es sei denn, er beweist, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte (RS0038485). Die ärztliche Aufklärung soll den Patienten in die Lage versetzen, die Tragweite seiner Erklärung zu überschauen (RS0026413; RS0026499 [T6]). Sie hat ihm die für seine Entscheidung maßgebenden Kriterien zu liefern (RS0026413 [T3]). Bei Vorliegen sogenannter typischer Gefahren ist die ärztliche Aufklärungspflicht verschärft (RS0026340).

[5] Die Rechtsfrage, in welchem Umfang der Arzt den Patienten aufzuklären hat, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0026529; RS0026763 [T1, T2, T5]) und ist daher – von Fällen einer vom Obersten Gerichtshof aufzugreifenden Fehlbeurteilung abgesehen – nicht revisibel (RS0026529 [T31]). Dies gilt insbesondere auch für die Frage, wann und in welchem Umfang schon vor Inangriffnahme der Heilbehandlung eine Aufklärung über Art und Umfang einer allenfalls notwendigen Folgebehandlung im Fall der Verwirklichung eines schwerwiegenden Risikos erfolgen muss (vgl RS0026581 [T10]).

[6] 2.1 Nach den Feststellungen wurde die Klägerin vor der Operation ausdrücklich über d as typische, aber seltene Risiko einer Darmperforation und die jedem operativen Eingriff anhaftende Gefahr einer Wundheilungsstörung aufgeklärt . Im Aufklärungsbogen, den eine Ärztin mit ihr durchging, wurde darauf hingewiesen, dass insbesondere bei Darmverletzungen schwere Komplikationen (zB Bauchfellentzündung, Darmlähmung, Darmverschluss) auftreten können und dann weitere Operationen mit Eröffnung der Bauchhöhle notwendig werden können. Das Risiko der Darmverletzung war der Klägerin vor dem operativen Eingriff klar, sie hoffte aber, dass es sich bei ihr nicht verwirklichen würde.

[7] Ausgehend von diesen Feststellungen ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Aufklärung der Klägerin umfassend und mangelfrei war, nicht zu beanstanden.

[8] 2.2 Die Klägerin macht in ihre m außerordentlichen Rechtsmittel – erstmals konkret – geltend , sie sei weder darüber aufgeklärt worden, dass mit einer Darmperforation Lebensgefahr, insbesondere eine Sepsis, einhergehen könne , noch dass sie an einer lebensbedrohlichen Erkrankung leide. Da ein Patient mit einer solchen Erkrankung viel sorgfältiger abwägen werde, ob er sich einer risikoreichen Operation unterziehen möchte, fehle auch die Feststellung, dass sie über ihren Gesundheitszustand zum Zeitpunkt der Aufklärung nicht ausreichend aufgeklärt worden sei.

[9] Ob sich aus diesen Behauptungen ein Aufklärungsfehler der behandelnden Ärzte ableiten ließe, braucht nicht geprüft zu werden, weil sich die Revisionswerberin insoweit vom festgestellten Sachverhalt entfernt, als die Möglichkeit einer Sepsis, „die uU eine länger dauernde stationäre Behandlung erfordert“, im Aufklärungsbogen explizit angeführt wurde und ihr auch mitgeteilt wurde, dass sie an „Krebs“ leidet. Letztlich wäre aber auch deshalb nichts für sie zu gewinnen, weil sie sich nach den (dislozierten) Feststellungen des Erstgerichts „aufgrund der Diagnose (Eierstockkrebs) in jedem Fall operieren hätte lassen“, und zwar – wie ihr die Beklagte bereits in erster Instanz entgegengehalten hat – selbst bei einer noch weitergehenden Aufklärung.

Rückverweise