1Ob92/22v – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. HR Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E* KG, *, vertreten durch die Cerha Hempel Rechtsanwälte GmbH, Wien, gegen die beklagte Partei C*, vertreten durch die Cortolezis Partner Rechtsanwälte GmbH Co KG, Graz, wegen Verbesserung und Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 6. April 2022, GZ 4 R 250/21y 31, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 30. September 2021, GZ 34 Cg 8/21w 26, teilweise abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Der Beklagte verkaufte der Klägerin zu einem Pauschalpreis ein forstwirtschaftlich nutzbares Grundstück in einem Gesamtausmaß von 35,7257 ha, das zum Kaufzeitpunkt nicht in den Grenzkataster eingetragen war. Kaufgegenstand war nach der Vorstellung beider Parteien die Liegenschaft bis zur westlichen Grenze, wie sie sich aus dem Kataster ergab, daher einschließlich einer Teilfläche im Ausmaß von 22.615 m², die – wie dem Beklagten bereits damals bekannt war, worauf er die Klägerin aber nicht hinwies – von einem Dritten (dem Eigentümer der Nachbarliegenschaft) als Eigentum beansprucht wurde und wird. Auch wenn es den Parteien nicht auf den exakten Grenzverlauf ankam, sollte diese Teilfläche nach ihrer beider Vorstellung mitveräußert werden.
[2] Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren insofern statt, als es feststellte, dass der Beklagte der Klägerin für künftig entstehende Schäden aus dem Umstand haftet, dass der Dritte die Liegenschaft im Bereich dieser Teilfläche nutzt. Der Kaufgegenstand sei mangelhaft, weil entgegen der Zusicherung des Beklagten im Kaufvertrag, dass zum Übergabestichtag nach seinem Kenntnisstand keine Gerichtsverfahren drohten, die Klägerin einen Rechtsstreit gegen den Dritten führen müsse, wenn sie die von diesem beanspruchte Teilfläche selbst nutzen wolle. Daher bestehe ein Schadenersatzanspruch der Klägerin gegen den Beklagten nach § 933a ABGB dem Grunde nach zu Recht.
[3] In seiner dagegen gerichteten außerordentlichen Revision macht der Beklagte geltend, dass das Berufungsgericht der Klägerin in Verletzung des § 405 ZPO ein unzulässiges Aliud zugesprochen habe, weil diese eine Mangelhaftigkeit aus dem Grund eines mit dem Dritten drohenden Rechtsstreits wegen der Benutzung eines Teils des Kaufgegenstands nicht geltend gemacht habe. Dem Feststellungsbegehren der Klägerin liege ausschließlich die – nach den Feststellungen widerlegte – Behauptung zugrunde, dass durch die angeblich „vertragswidrig zu gering übergebene Fläche“ die Verpachtung nur eines und nicht zweier Jagdgebiete möglich sei. Es mangle der Klägerin daher – wie das Erstgericht zutreffend erkannt habe – am rechtlichen Interesse an der begehrten Feststellung.
[4] Mit diesen Ausführungen zeigt der Beklagte keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:
Rechtliche Beurteilung
[5] 1. Nach § 405 ZPO ist das Gericht nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist. Ob ein solches Aliud vorliegt, ergibt sich aus dem Vergleich zwischen dem gestellten Begehren und dem Urteilsspruch unter Berücksichtigung der rechtserzeugenden Tatsachen (RIS Justiz RS0041023). Dabei ist nicht allein das Klagebegehren, sondern auch der übrige Inhalt der Klage (RS0041078) und der weiteren Prozessbehauptungen (RS0041165) maßgebend. Ein Aliud liegt insbesondere auch dann vor, wenn der verlangte und der zugesprochene Leistungsgegenstand zwar gleichartig sind, aber aus verschiedenen Sachverhalten abgeleitet werden (RS0037610 [T30, T33]). Maßgebend für den Entscheidungsspielraum des Gerichts sind die vom Kläger vorgetragenen Tatsachen (RS0037610 [T34]).
[6] 2. Der Frage, wie ein bestimmtes Vorbringen zu verstehen ist und ob im Hinblick auf den Inhalt der Prozessbehauptungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist, kommt grundsätzlich keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (RS0042828 [insb T3, T4]; RS0044273 [T40]). Dies gilt dann nicht, wenn die Auslegung des Prozessvorbringens einer Partei durch das Rechtsmittelgericht mit dem Wortlaut des Vorbringens unvereinbar ist (RS0044273 [T43]). Das ist hier aber nicht der Fall.
[7] 3.1 In der Klage trug die Klägerin unter anderem vor, der Beklagte habe ihr die bereits entstandenen und darüber hinaus zukünftig aus seiner Vertragsverletzung entstehenden Schäden im Ausmaß der vollen Genugtuung zu ersetzen. Die Höhe der ihr aus den Mängeln des Kaufgegenstands bzw der Vertragsverletzung zukünftig entstehenden Schäden sei noch nicht bekannt, insbesondere seien weder die Kosten der Abwehr der unberechtigten Nutzung des fremdgenutzten Grundstücksteils, noch der verringerte Ertrag der Liegenschaft aufgrund einer Nichtzuerkennung der Befugnis zur Eigenjagd und deren Verpachtung bekannt. Sie habe jedoch ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Schadenersatzpflicht des Beklagten dem Grunde nach, um die Verjährung ihrer Ansprüche zu verhindern.
[8] 3.2 Diese Prozessbehauptungen decken die (teilweise) Stattgebung des erhobenen Feststellungsbegehrens durch das Berufungsgericht aus dem Grund, dass der Klägerin Kosten für die Abwehr der Eigentumsansprüche des die Teilfläche nutzenden Dritten drohen. In ihrer Replik kam die Klägerin zwar nur mehr auf die wegen der Minderfläche vermeintlich fehlende Möglichkeit zurück, zwei Jagdgebiete zu verpachten. Allein daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass sie die Begründung ihres Feststellungsinteresses auf dieses Vorbringen einschränken wollte. Das von ihr in dem Zusammenhang verwendete Wort „insbesondere“ legt vielmehr nahe, dass sie mit dem Verweis auf den Minderertrag einer statt zweier Jagdpachten die aus der mangelhaften Vertragserfüllung zu erwartenden Schäden bloß illustrieren wollte. Außerdem nimmt ihr modifiziertes Feststellungsbegehren nicht nur auf eine Mangelhaftigkeit der Liegenschaft „in Form der fehlenden Nutzung“ einer (etwas größeren) Teilfläche, sondern auch weiterhin explizit auf die Nutzung einer Teilfläche von 22.615 m² durch den Dritten Bezug.
[9] 4. Die außerordentliche Revision ist daher zurückzuweisen.