JudikaturOGH

11Os38/22f – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. Juni 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Juni 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fischer als Schriftführerin in der Strafsache gegen * F* wegen Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1, Abs 3 Z 1 StGB, AZ 112 Hv 37/20m des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

[1] Mit Strafantrag vom 11. Februar 2020 (ON 3) legte die Staatsanwaltschaft * F* als jeweils ein Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1, Abs 3 StGB idF BGBl I 2017/117 beurteilte Taten zur Last.

[2] Danach habe er am 5. November 2019 in W* Personen, die mit der Kontrolle der Einhaltung der Beförderungsbedingungen einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Anstalt betraut sind, während und wegen der Ausübung ihrer Tätigkeit am Körper verletzt, und zwar

(1) * K*, indem er ihm einen Fußtritt gegen dessen Knie versetzte, wodurch der Genannte eine Meniskusverletzung erlitt, und

(2) * M*, indem er ihn mit den Armen wegstieß, wodurch der Genannte eine Verletzung an der Wirbelsäule erlitt.

[3] Mit Urteil des Einzelrichters des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 8. Juni 2020, GZ 112 Hv 37/20m 11, wurde er – anklagekonform – zweier Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1, Abs 3 StGB idF BGBl I 2017/117 schuldig erkannt und hiefür zu einer (bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.

[4] Die dagegen erhobene Berufung des Angeklagten wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe „wies“ das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom 27. September 2021, AZ 31 Bs 41/21p, „zurück“. Jener wegen des Ausspruchs über die Schuld hingegen gab es Folge, hob das angefochtene Urteil auf, erkannte den Berufungswerber – in der Sache selbst – hinsichtlich der vom Anklagevorwurf zu 1 umfassten Tat eines Vergehens der Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1, Abs 3 Z 1 StGB schuldig und verurteilte ihn hiefür zu einer (bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafe von drei Monaten.

[5] Vom weiteren Vorwurf (2) sprach es ihn gemäß § 259 Z 3 StPO frei.

[6] In seinem auf diese Berufungsentscheidung bezogenen Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens behauptet der Verurteilte Verletzungen der Art 6 und 7 MRK, des Art 1 des (1.) ZPMRK sowie des Art 2 des 7. ZPMRK.

Rechtliche Beurteilung

[7] In Stattgebung der Berufung des Erneuerungswerbers wegen des Ausspruchs über die Schuld wurde das damit angefochtene Urteil – wie dargelegt – ohnedies (zur Gänze) aufgehoben. Weshalb er gleichwohl dadurch beschwert sein sollte, dass das Oberlandesgericht auf seine Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe – deren Ausführung es im Übrigen auf der Basis seiner Tatsachenfeststellungen (US 4) zu Recht (§ 63 Abs 2 StPO; RIS Justiz RS0125686 [T1, T2]) als verspätet ansah – keine Rücksicht nahm (§ 467 Abs 2 erster Satz iVm § 489 Abs 1 StPO), sagt der Antrag nicht.

[8] Soweit er darin eine Verletzung des „Art 6 Abs 3 lit c iVm Art 2 des 7 ZP EMRK und Art 1 ZP EMRK“ erblickt, versäumt er demnach, seine diesbezügliche Opfereigenschaft (Art 34 MRK) deutlich zu machen.

[9] Mit Blick auf die der Entscheidung in der Sache selbst (§ 474 iVm § 489 Abs 1 StPO) vorangegangene Beweisergänzung (§ 473 Abs 1, Abs 2 StPO, einschließlich der Einholung des Gutachtens eines medizinischen Sachverständigen [US 5 bis 7; vgl ON 23, 26, 28, 29 der Hv Akten]) durch das Oberlandesgericht – die der angesprochenen Konventionsnorm (gerade) Rechnung trug (vgl RIS Justiz RS0131763) – bleibt der Vorwurf einer darin gelegenen Verletzung des Art 6 Abs 1 MRK unverständlich.

[10] Gleiches gilt für die – zudem in grundlegender Verkennung des prozessualen Tatbegriffs (dazu Ratz , WK StPO § 281 Rz 502 ff) geäußerte – Kritik, entgegen Art 6 Abs 1 MRK liege dem Schuldspruch keine Anklage zugrunde, weil das Berufungsgericht, indem es (zu 1) den Eintritt eines (nach § 83 Abs 1 StGB tatbestandsmäßigen) Erfolgs verneinte, jedoch Versuch (§ 15 StGB) bejahte, einen „anderen Sachverhalt“ beurteilt habe (zur mangelnden Subsumtionsrelevanz der Abgrenzung von Versuch und Vollendung siehe im Übrigen RIS Justiz RS0122138).

[11] Auf eine Verletzung seiner aus Art 6 Abs 3 lit a oder b MRK garantierten Verteidigungsrechte durch mangelnde Information über den Wechsel in der Erscheinungsform der Tat (Vollendung/Versuch; zum Problem Ratz , WK StPO § 281 Rz 542 ff, insbesondere Rz 545; RIS Justiz RS0121419 [insbesondere T7]) beruft sich der Erneuerungswerber übrigens – zu Recht – nicht (vgl den mit der Ladung seines Verteidigers zum Gerichtstag am 27. September 2021 ergangenen Hinweis auf diesen geänderten rechtlichen Gesichtspunkt im Sinn des [gemäß §§ 474, 489 Abs 1 StPO auch im Berufungsverfahren geltenden – 14 Os 77/15b, 114/15v, 136/15d] § 262 erster Satz StPO).

[12] Ohne Begründungs- oder Tatsachenmängel in Bezug auf die den Schuldspruch tragenden Feststellungen des Berufungsgerichts zum Verletzungsvorsatz (US 5) deutlich und bestimmt aufzuzeigen entwickelt der Antrag den Vorwurf, das Oberlandesgericht habe „Strafnormen unvorhersehbar ausgelegt“ (Art 7 Abs 1 MRK), nicht auf der Basis jener Feststellungen, sondern auf deren Bestreitung. Einen Rechtsfehler als Grund für Erneuerung des Strafverfahrens macht er damit nicht prozessförmig geltend (RIS Justiz RS0125393 [T1]).

[13] Ebenso wenig gelingt es ihm, nach Maßgabe juristisch geordneter Gedankenführung darzulegen (siehe aber RIS Justiz RS0128393), inwiefern aus Art 2 7. ZPMRK – ungeachtet des Gesetzesvorbehalts im letzten Satz des Abs 1 leg cit ( Grabenwarter/Pabel , EMRK 6 § 24 Rz 171) – ein Verbot reformatorischer Entscheidung des Berufungsgerichts (siehe dazu erneut § 474 iVm § 489 Abs 1 StPO) ableitbar sein sollte.

[14] Davon abgesehen wendet sich der Antrag – (ua) unter wörtlicher Wiedergabe des Berufungsvorbringens (das er teils als „Rechtsdarlegungen iSd Art 7 EMRK“ bezeichnet), indes ohne die Behauptung, es sei „Art 6 EMRK, insbesondere auch die Unschuldsvermutung“ verletzt worden, methodengerecht aus der (solcherart bloß nominell herangezogenen) Grundrechtsverheißung abzuleiten (erneut RIS Justiz RS0128393) – mit Kritik an Beweiswürdigung und rechtlicher Beurteilung des Berufungsgerichts gegen den zweitinstanzlichen Schuldspruch. Damit verkennt er, dass die Behandlung von Erneuerungsanträgen nicht eine Auseinandersetzung nach Art einer zusätzlichen Beschwerde- oder Berufungsinstanz bedeutet, sondern sich vielmehr auf die Prüfung einer reklamierten Verletzung eines Rechts nach der MRK oder einem ihrer Zusatzprotokolle beschränkt (RIS Justiz RS0129606 [insbesondere T3]; überdies 15 Os 71/07s).

[15] Der Antrag war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 1, Abs 2 StPO).

Rückverweise