12Os45/22t – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 2. Juni 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Marko, BA, BA, in der Strafsache gegen * K* wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, AZ 8 U 63/21g des Bezirksgerichts Leopoldstadt, über die von der Generalprokuratur gegen einen Vorgang im Verfahren AZ 132 Bl 11/22d des Landesgerichts für Strafsachen Wien erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Artner, zu Recht erkannt:
Spruch
Im Verfahren AZ 8 U 63/21g des Bezirksgerichts Leopoldstadt verletzt die Beschlussfassung durch das Landesgericht für Strafsachen Wien als Beschwerdegericht am 3. März 2022 zu AZ 132 Bl 11/22d (ON 14) vor Einräumung einer Gelegenheit zur Äußerung zur Beschwerde der Staatsanwaltschaft an den Verurteilten binnen sieben Tagen § 89 Abs 5 zweiter Satz StPO.
Dieser Beschluss wird aufgehoben und dem Landesgericht für Strafsachen Wien aufgetragen, über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft vom 7. Februar 2022 (ON 12) nach dem Verurteilten eingeräumter Gelegenheit zur Äußerung neuerlich zu entscheiden.
Text
Gründe:
[1] * K* wurde mit Urteil des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 13. Dezember 2021 (zur verfehlten Datumsangabe in der Urteilsurschrift vgl Danek/Mann , WK StPO § 270 Rz 16), GZ 8 U 63/21g 8, des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt. Vom Widerruf der mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 25. Februar 2021, AZ 92 Hv 4/21p, gewährten bedingten Strafnachsicht wurde abgesehen (§ 494a Abs 1 Z 2 StPO) und die Probezeit nicht verlängert.
[2] Das Urteil erwuchs in Rechtskraft. Gegen das Unterbleiben der Probezeitverlängerung erhob die Staatsanwaltschaft jedoch Beschwerde (ON 12). Dieser gab das Landesgericht für Strafsachen Wien mit Beschluss vom 3. März 2022, AZ 132 Bl 11/22d (ON 14), Folge und verlängerte die Probezeit auf fünf Jahre.
[3] Dem Verurteilten war die Beschwerde vor dieser Beschlussfassung nicht zur Kenntnis gebracht worden (ON 1 S 5 f sowie Akt AZ 132 Bl 11/22d des Landesgerichts für Strafsachen Wien).
Rechtliche Beurteilung
[4] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, steht der letzterwähnte Vorgang mit dem Gesetz nicht im Einklang.
[5] Gemäß § 88 Abs 1 StPO ist eine Beschwerde bei dem Gericht einzubringen, das den bekämpften Beschluss gefasst hat ( Tipold , WK StPO § 88 Rz 10; Fabrizy/Kirchbacher , StPO 14 § 88 Rz 3). Dieses hat die Beschwerde mit dem Akt unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen (§ 88 Abs 3 erster Satz StPO).
[6] Das Rechtsmittelgericht hat über eine Beschwerde in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zu entscheiden (§ 89 Abs 1 StPO); vor seiner Entscheidung aber – von hier nicht vorliegenden Ausnahmen (§ 89 Abs 2a Z 4 StPO) abgesehen – dem Gegner der Beschwerde Gelegenheit zur Äußerung binnen sieben Tagen einzuräumen (§ 89 Abs 5 zweiter Satz StPO; vgl dazu 13 Os 95/08g).
[7] Damit wäre das Landesgericht für Strafsachen Wien als Beschwerdegericht (§ 31 Abs 6 Z 1 StPO) verpflichtet gewesen, die Beschwerde der Staatsanwaltschaft vor seiner Entscheidung dem Verurteilten (als Gegner der Beschwerde) mit dem Hinweis mitzuteilen, dass er sich innerhalb von sieben Tagen dazu äußern könne.
[8] Da ein Nachteil für den Verurteilten nicht ausgeschlossen werden kann, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, die Feststellung der Gesetzesverletzung gemäß § 292 letzter Satz StPO mit konkreter Wirkung zu verknüpfen.